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Seit dem Vorliegen der Pisa-Studie steht die Frage nach der Zukunft unseres klassischen Schulsystems wieder auf der Tagesordnung nicht nur bildungspolitischer Debatten.
Die Wiener Architekturtheoretikerin Sonja Hnilica hat der Schularchitektur und ihrer intendierten Funktionalität eine gleichsam monographische Untersuchung gewidmet, die, wie schon der Titel ihres (lehr-)reich bebilderten Buches "Disziplinierte Körper. Die Schulbank als Erziehungsapparat" verrät, das Phänomen "Schulbank" zum zentralen Ausgangspunkt ihrer grundlegenden Analyse des eben nicht zuletzt auch architektonisch vermittelten Disziplinarsystems "Schule" macht. Und dies nicht unbegründet. Denn die Schulbank, deren Aufstieg und Fall Hnilica in Foucault'scher Perspektive einer eingehenden Betrachtung unterzieht, ist das Kernstück einer Architektur, die zum Ziel hat, den Schülerkörper zu disziplinieren.
In der diskursiven Idee "Schulbank" als einer perfekt in den Tisch integrierten Bank manifestiert sich ein streng mechanistisches Körperbild; der Körper und der ihm innewohnende Geist des Schülers sollen durch Apparat und Architektur geformt werden.
In der das ganze 19. Jahrhundert über sehr erbittert geführten Diskussion um die Schulmöbel überkreuzen sich verschiedene Diskurse: Fragen der industriellen Standardisierung treffen auf strategisch-militärische staatliche Interessen, pädagogische Ideale, die Hygienebewegung und bürgerliche Sexualmoral.
Ein in vieler Hinsicht lehrreiches Buch und schönes Beispiel origineller Interdisziplinarität.
Sonja Hnilica: Disziplinierte Körper. Die Schulbank als Erziehungsapparat. edition selene, 167 Seiten, mit zahlr. Abb., 18,60 EURO.