Zum Hauptinhalt springen

Biden - Was dann?

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Joe Biden ist nicht der Präsident einer US-Renaissance.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Er zeichnete ein düsteres Bild Amerikas. Er sprach von verrostete Fabriken, die wie Grabmäler in der Landschaft verstreut sind. Und er sprach von Arbeitsplätzen, die verschwunden sind und Fabriken, die zugesperrt haben, während Politiker sich bereichert haben. Doch nun werde er alles ändern: "Gemeinsam werden wir Amerika wieder stark, wohlhabend, stolz und sicher machen. ... Together we will make America great again."

So tönte die Inaugurationsrede von Donald Trump, als er am 20. Jänner 2017 zum Präsidenten der USA angelobt wurde.

Doch "great" ist in Amerika nichts mehr: Die Pandemie ist außer Kontrolle, die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordwert. Doch Trumps Präsidentschaft war schon vor der Pandemie eine "Zeit der Finsternis", wie sein demokratischer Herausforderer Joe Biden in seiner Rede auf der Convention am Donnerstag festgestellt hat. Kommende Woche werden die Republikaner Donald J. Trump zum Präsidentschaftskandidaten nominieren.

Die Demokraten wollen seine Wiederwahl mit allem Mitteln verhindern. Aber: Selbst wenn Joe Biden die Wahl gewinnen sollte, was dann? Amerikas Probleme enden nicht damit, dass der jetzige Bewohner des Weißen Hauses ein Mann mit schwerer Persönlichkeitsstörung, unterentwickelten Rechtsempfinden und nicht vorhandenem Verantwortungsbewusstsein ist.

Der Journalist und Autor Ben Judah hat schon im März in einem Essay im britischen "Guardian" darauf hingewiesen, dass Trump keine Ausnahme, sondern ein Produkt des amerikanischen Status Quo ist. Trump ist Symbol der Dekadenz des politischen Systems der USA, nicht deren Ursache. Würde Biden, der bereits in den Jahren 1988 und 2008 eine Präsidentschaftskandidatur versucht hat, als 46. Präsident der Vereinigten Staaten jener Mann sein, der die USA in ein Zeitalter der Post-Corona-Renaissance führt?

Das Ende des US-Erzrivalen, der UdSSR im Jahr 1991 dient als mahnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn ein System an der Problemlösung scheitert. Im Buch über das Ende der Sowjetunion aus den Jahr 2008 "Everything Was Forever, Until It Was No More: The Last Soviet Generation" schreibt der Autor Alexei Yurchak über den Hypernormalisierungs-Effekt: Seit Jahrzehnten sei damals immer klarer geworden, dass das Sowjet-System nicht überdauern kann, aber niemand hatte eine Alternative, also taten alle bis zum Schluss so, als würde die UdSSR prima funktionieren.

Freilich: Ein Vergleich der USA mit der UdSSR ist äußerst gewagt: Die USA verfügen über eine erfolgreiche Volkswirtschaft und einen funktionierenden Rechtsstaat. Aber die Vereinigten Staaten brauchen tiefgreifende Reformen, mit einem bloßen Personalwechsel an der Spitze ist es nicht getan.