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Ob es nach einem Beitritt zur EU besser wird? Ein älterer Herr mit grau-meliertem Bart schüttelt den Kopf. "Es ändert sich nichts", so seine Philosophie. "Und wenn, dann immer nur zum Schlechten, nie zum Guten." Und sollte sich wider Erwarten doch etwas zum Guten ändern, dann will er es erst mit eigenen Augen gesehen haben, bevor er es glaubt.
Die "Samtene Revolution" des Jahres 1989 hat Herrn Zdenek wahrlich nicht mit Glacéhandschuhen angefasst. Während um ihn herum das Prager Nachtleben langsam in Schwung kommt, sitzt er auf einer kalten Steinstufe unweit der Karlsbrücke und hält den Vorüberziehenden einen Plastikbecher entgegen. "Unter dem Kommunismus war alles viel billiger", ärgert er sich. "Da gab's die "Start"-Zigaretten noch um vier Kronen, heute kosten sie schon 32."
Während sich Zdenek an die gute alte Zeit erinnert, kommen Student Radek und Einzelhandelskaufmann Mirek den Weg entlang. Die orange Joppe, Leiterwagen und Besen weisen die beiden allerdings eindeutig als Straßenkehrer aus - "nur ein nächtlicher Nebenjob", wie beide betonen. Das Leben in Prag ist eben teuer und lässt vielen keine Freizeit. Radek sagt "natürlich Ja" zu einem EU-Beitritt Tschechiens, der, ein positiver Ausgang einer Volksabstimmung am 14/15. Juni vorausgesetzt, bereits 2004 erfolgen könnte. Er glaubt, dass dieser Schritt "wirtschaftlich gut" wäre. Das sähe man schon an der Entwicklung in den EU-Staaten Portugal und Spanien. Allerdings könne es lange dauern, bis sich die tschechische Wirtschaft an den EU-Rest angleiche. Besonders fürchtet er, dass das Wohnen in Prag nach einem EU-Beitritt noch teurer werden könnte. "Der einfache Mann müsste dann aufs Land ziehen", meint Radek.
Kollege Mirek gibt sich eher einsilbig. Er will bei der EU-Volksabstimmung "eher mit Nein" stimmen. Man wisse ja nicht, was dann auf das Land zukomme, lautet seine Begründung.
Dass die Tschechen einen EU-Beitritt per Votum noch verhindern könnten, hat Vaclav bislang noch nie gehört. Gemeinsam mit seinem Kollegen, der den Decknamen "Gorgol" führt, versucht er, den nächtlichen Touristenstrom in ein nicht über alle Zweifel erhabenes Lokal umzuleiten. "Die Politiker reden immer so, als wären wir schon längst in der EU", meint Vaclav verächtlich. Dennoch behagt ihm die Idee einer EU-Mitgliedschaft Tschechiens. "Dann kommt Auslandskapital und die Löhne steigen endlich." Die Frage nach dem Verdienst beantwortet aber "Gorgol". Etwa 700 Kronen (23 Euro) verdiene er pro Nacht, dazu gäbe es eine geringe Provision, wenn die durch ihn gewonnenen Kunden "das Angebot im Lokal etwas ausführlicher nutzen".
Dem Taxifahrer Martin Vlcek geht es hinsichtlich der EU nicht in erster Linie ums Geld. Viel wichtiger erscheint ihm, dass "die EU-Politiker unsere Volksvertreter zähmen werden". Denn die tschechischen Mandatare seien inklusive der hiesigen Bürokratie "allesamt Hochstapler", wettert er. "Die Politik zieht Gauner an, in dem Metier haben es Schurken viel leichter als Ehrliche - in der EU werden sie es mit dieser Art aber schwerer haben." Chauffeur Vaclav Havlenta, der gerade zeitunglesend auf Kundschaft wartet, ist von der EU ebenfalls positiv eingenommen. Stufenweise werde es ab 2004 Fortschritte in allen Bereichen geben, ist er sich sicher. Nach dem Beitritt könnte es schon auch Verlierer geben, er wüsste allerdings nicht, wer das genau sein sollte.
Die weitgehend wohlwollende Einstellung der beiden "Taxler" dürfte gemäß jüngsten Umfragen in der Tschechischen Republik dem Mehrheitsmeinung entsprechen. Sind doch angeblich 61 Prozent für und nur 17 Prozent gegen einen Beitritt. Der Rest ist noch unentschlossen.
Die tschechische Regierung will trotzdem nichts riskieren und hat bereits am 13. Februar die Durchführung einer 200 Millionen Kronen teuren Info-Kampagne absegnen lassen. Eine Info-Hotline, ausgestattet mit acht Telefonen, gibt es schon seit dem 1. Oktober 2001. Für den Beitritt geworben werden soll in allen Medien, zusätzlich auf riesigen Plakatwänden und zahllosen Info-Foldern. Auch allerlei Heiteres soll dabei geboten werden. So ist ein Wettbewerb für die originellste Textversion zur haydnschen Europa-Hymne ebenso vorgesehen wie "Europäische Wochen" im Rahmen deren einzelne EU-Länder kulturell-kulinarisch näher gebracht werden sollen. So dürfen sich die Bewohner des tschechischen Marktfleckens Prostajov schon jetzt auf eine "griechische Woche" in der zweiten Aprilhälfte freuen.
Kritische Geister bemängeln allerdings, dass ein Großteil des anvisierten Programms bislang nur auf dem Papier bestehe. Die Kampagne sei viel zu spät dran und die Vorgaben der verschiedenen Ministerien stümperhaft, meinen vor allem diejenigen tschechischen Werbefachleute, die die lukrativen Aufträge unter Umständen gerne selber erhalten hätten. Sicher ist, dass die Organisation der bereits geführten und der in Planung befindlichen EU-Kampagne äußerst unübersichtlich ist. So lässt es sich Premier Vladimir Spidla nicht nehmen, einen individuellen Werbefeldzug zu starten. Daneben hat fast jedes Ministerium sein eigenes Info-Programm, die einzelnen Parteien wollen da nicht zurückstehen.
"Einfach ,Ja' zur EU - und damit basta"
Schadenfreudig machen die Tschechen auf die zahlreichen Unzulänglichkeiten und Pannen aufmerksam, die sich aus dem organisatorischen Tohuwabohu ergeben. So wurden schon beim Logo der ganzen Kampagne: "ANO" - was soviel heißt wie "Ja" (zur EU) - von den Verantwortlichen statt der zwölf EU-Sterne nur neun verwendet. Darauf käme es den Leuten aber gar nicht an, so die Rechtfertigung auf Anfragen irritierter Diplomaten und Journalisten. Letztere kritisieren an den Kampagne-Plänen, dass ethnische Minderheiten, Frauenthemen, Anliegen der Kirche und der Gewerkschaften völlig ausgeklammert seien. Auch fehlten Elemente, die zu einer Diskussion führen könnten: "Einfach 'Ja zur EU' und damit basta" echauffiert sich etwa ein Journalist der tschechischen Tageszeitung "Mlada fronta dnes".
Dazu kommt, dass nun auf das heftigste ein Streit zwischen verschiedenen Agenturen, die im Rahmen der Kampagne um Aufträge im Gesamtwert von ca. 70 Millionen Kronen rittern, ein heftiger Streit entbrannt ist. Gegen die Einsetzung der von der Regierung erkorenen Firma haben jetzt zwei andere Prozesse angestrengt. Die erwählte Agentur habe nämlich "mehr Erfahrung mit Bierwerbung als mit Volksaufklärung", so die Argumentation der nicht Berücksichtigen. Das für die Kampagne zuständige Ministerium hat noch bis Montag nächster Woche Zeit, um auf die Anschuldigungen zu antworten. Geben sich die beiden Klägerfirmen dann nicht zufrieden, könnte die Causa an das Handelsgericht weitergehen und die Abhaltung der Kampagne wäre überhaupt gefährdet.
Was Herrn Pavel Sedlacek nicht im Geringsten stören würde. Ist es seiner Initiative "ESA" doch darum zu tun, einen tschechischen EU-Beitritt zu verhindern. Auf der Homepage http://www.euroskeptik.cz listet er Punkt für Punkt seine Argumente auf: Kernpunkt seiner These ist, dass die EU den Mitgliedern eine undemokratische "eurosozialistische Struktur" aufzwinge. Zudem sei die EU ein "Treibhaus der Korruption": Die EU-Kommission veruntreue jährlich geschätzte fünf Mrd. Euro. Auch sei um den Fortbestand der Benes-Dekrete zu fürchten. Ab 1. Mai will Sedlacek den oberen Teil des Wenzelsplatzes (rund um das Denkmal für den Dissident Jan Pallach, der sich 1968 nach dem Einmarsch der Sowjettruppen aus Verzweiflung selbst verbrannt hatte) für sich reservieren lassen, um Kundgebungen und Diskussionen zu veranstalten. Kurz vor dem EU-Referendum wolle er mit einem Rock-Konzert für seine Sache werben. Eine Chance, die Stimmung innerhalb der Tschechischen Republik entscheidend beeinflussen zu können, gibt sich Sedlacek allerdings selbst nicht. Marketa, Redakteurin der tschechischen Tageszeitung "Lidove Noviny", beziffert die Zahl seiner Anhänger auf "einige hundert Leute, vor allem Rechtsradikale". Tschechiens EU-Gegnerschaft sieht sie überproportional unter der Landbevölkerung und den älteren Menschen vertreten. "Die Älteren sehen immer nur die Tatsache, dass alles teuerer wird und vergessen dabei, dass sie ja auch dementsprechend mehr Geld in die Tasche bekommen". Und Klara, Journalistin bei der "Prague Post" meint: "Viele Ältere sind zwar gegen die EU, aber auch der Ansicht, dass die Jüngeren darüber entscheiden sollten. Denn die betrifft es ja schließlich."
Auf Herrn Zdenek, der wie jede Nacht auf einer Steinstufe unweit der Karlsbrücke sitzt und den Passanten einen Plastikbecher hinhält, können Tschechiens EU-Gegner jedenfalls nicht bauen. Zum Referendum am 14/15 Juni will er nicht hingehen. Aufhalten kann er ohnedies nichts, denn das Unheil ist bereits geschehen: "Seit 14 Tagen pressen sie schon keine neuen Halis (tschechisches Kleingeld im Wert von einem halben Euro-Cent, Anm.) mehr. Die braucht nämlich keiner, wenn sie diesen April die Preise wieder 10 bis 20 Prozent anheben."
Die Serie wird kommenden Freitag mit "Slowakei" fortgesetzt.