Beliebtheits-Hoch der Kanzlerin in Deutschland, Kampf um Linie in Europa.
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Wien/Berlin. Europas "Eiserne Lady" ist derzeit auf Europa-Tour. Am Freitag stattet sie Wien einen Besuch ab - und wirbt dabei um Unterstützung für ihren Kurs in der Finanz- und Schuldenkrise. Fast verschämt stellt Angela Merkel auf ihrem Kanal im Videoportal YouTube fest, dass es ihre erste bilaterale Visite in Österreich seit 2006 ist. Viele Ereignisse kamen dazwischen, die den Fokus der deutschen Kanzlerin vom Nachbarland weglenkten: Erst brach die globale Finanzkrise ab 2007 über die EU herein, dann die Schuldenkrise. In dieser heiklen Phase heißt es nun für Merkel, Verbündete um sich zu scharen und Allianzen zu schmieden - auch in Wien.
Als Vorhut Merkels fungiert Außenminister Guido Westerwelle, der am Mittwoch auf Stippvisite in Wien weilte. "Haushaltspolitische Disziplin und Wachstum als Ergebnis von Wettbewerbsfähigkeit, nicht von neuen Schulden" - so lautet nach Berliner Leseart die Lösung für die verfahrene Situation. Westerwelle sparte nicht mit Kritik an früherer deutscher und französischer Politik: "Die Aufweichung der Maastricht-Kriterien durch Deutschland und Frankreich zählt zu den historischen Fehlern in Europa." Ab 2004 rüttelten der damalige Kanzler Gerhard Schröder und Staatschef Jacques Chirac am Stabilitätspakt. Dadurch seien laut Westerwelle die finanziellen Probleme in der EU entstanden, denen man nun mit klaren Regeln und verschärften Sanktionsmechanismen begegnen müsse.
Tunlichst vermied Westerwelle jedoch bei seinem Auftritt konkrete Lösungsvorschläge. Der frühere Chef der liberalen FDP wollte sich auch nicht zum Vorstoß von Außenminister Michael Spindelegger äußern, wonach EU-Länder künftig bei Nichteinhaltung der Regeln sogar mit dem Ausschluss aus der Eurozone rechnen müssten: "Die Hilfe für Griechenland ist keine Einbahnstraße. Wir werden hart verhandeln, verbindlich und respektvoll im Ton. Und dass der Ton die Musik macht, versteht man nirgends besser als im Kulturland Österreich."
Eintracht ist passé
Beziehungen in Moll herrschen zwar nicht zwischen Österreich und Deutschland, von Eintracht sind die Spitzenpolitiker der beiden Nachbarländer jedoch weit entfernt. Letzter Akt war die Forderung von Kanzler Werner Faymann Ende August, der sich für eine Verlängerung der Rückzahlungsfristen Griechenlands bei seinen Krediten um bis zu drei Jahre aussprach. Der SPÖ-Vorsitzende torpedierte damit nicht nur das Ansinnen Merkels, die zuvor übereinstimmend mit Frankreichs Präsidenten François Hollande darauf gepocht hatte, dass Griechenland bereits 2014 das EU-Defizitkriterium von einem Budgetdefizit unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfüllt.
Faymann fuhr damit auch eine andere Linie als Finanzministerin Maria Fekter, die den deutschen Kurs in einem Interview unterstützte. Die ÖVP-Politikerin trägt zwar inhaltlich die Linie des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble und Merkels mit - auch in der Ablehnung gemeinschaftlicher Anleihen, während sich Faymann in der Vergangenheit für Eurobonds starkgemacht hatte. Dass Fekter im Sommer via Medien Griechenland implizit einen EU-Austritt nahelegte, kam aber in Berlin wiederum alles andere als gut an.
Auf wen ist Verlass?
Auch der designierte Staatssekretär im Außenministerium, Reinhold Lopatka (ÖVP), kritisierte Faymanns Ansage, noch bevor die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ihren Bericht zu Griechenland vorgelegt habe. "Ich will, dass die österreichische Bundesregierung im richtigen Lager ist", so Lopatka in Brüssel. Harte Einschnitte sehen die Geldgeber für Griechenland vor: Die Bürger sollen künftig weniger verdienen, länger arbeiten und leichter entlassen werden können. Das geht aus einem E-Mail der Troika an das Athener Arbeitsministerium vor. Einsparungen über 11,5 Milliarden Euro in den kommenden beiden Jahren sieht das neue Sparpaket der Hellenen vor.
Von einer "soliden Haushaltsführung" spricht Angela Merkel hingegen in Zusammenhang mit Österreich und Deutschland. Diese stehe prototypisch für "eine bestimmte Herangehensweise an Probleme" beider Länder, so die Kanzlerin im Vorfeld der Visite. Bei lediglich 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll das deutsche Budgetdefizit für 2013 liegen, so die Berechnung des Internationalen Währungsfonds; für Österreich rechnet die Nationalbank mit einem Defizit von 1,6 Prozent im kommenden Jahr. Gebannt blicken politische Beobachter derzeit auf die Niederlande - bislang ein verlässlicher Partner von Merkels Sparkurs. Dort könnte der liberale Premier Mark Rutte am 12. September abgewählt und eine neue Regierung von den Sozialisten unter Emile Roemer geführt werden. Diese kündigten bereits ein Referendum über den EU-Fiskalpakt an, der eine verschärfte Budgetkontrolle durch Brüssel vorsieht. Zwar will Roemer das Budgetdefizit des Landes, das derzeit bei 4,5 Prozent des BIP liegt, senken, jedoch erst ab 2015.
Rund um Merkel könnte es daher demnächst einsam werden, auch wenn sie vom US-Magazin "Forbes" zur mächtigsten Frau der Welt gekürt wurde. Umso wichtiger ist für die Kanzlerin der Besuch in Wien, um Österreichs Regierung als Ganzes von ihrem Kurs zu überzeugen. Schon heute, Donnerstag, trifft Merkel übrigens in Madrid Spaniens Premier Mariano Rajoy trifft. Dieser ist zwar ein konservativer Parteifreund der deutschen Kanzlerin, als Regierungschefs eines der Problemländer der Eurozone blickt Rajoy jedoch durch die Brille eines Empfängerstaates.
Bayern schießen quer
Mit Abweichlern hat Merkel auch in der eigenen Koalition zu kämpfen, Querschüsse kommen insbesondere aus der bayerischen Schwesterpartei CSU. Deren Generalsekretär Alexander Dobrindt hatte wiederholt den raschen Austritt Griechenlands aus der Eurozone gefordert und auch als unvermeidlich bezeichnet. Auch CSU-Chef Horst Seehofer, von der seriösen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gar als "Crazy Horst" tituliert, ist immer für ein Störfeuer Richtung Berlin gut, und der bayerische Finanzminister Markus Söder forderte gar, "ein Exempel" an Griechenland zu statuieren.
Die Wähler goutieren hingegen Merkels Handling der Krise: Die seit 2005 amtierende Kanzlerin - nach Luxemburgs Jean-Claude Juncker längstdienendes Regierungsoberhaupt in der EU - genießt unter Deutschlands Bürgern das größte Vertrauen aller Politiker. Mit 65 von 100 Punkten im Ranking des "Stern" erreicht Merkel derzeit die höchste Zustimmungsrate seit Juli 2009. Finanzminister Schäuble liegt auf Rang vier. Für eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition würde es nach jetzigem Stand dennoch nicht reichen: Zwar führen CDU/CSU mit fast 40 Prozentpunkten unangefochten, aber die chronisch schwachen Liberalen müssten um den Einzug in den Bundestag zittern. Für die Wahlen im Herbst 2013 kündigt sich als Alternative ein Bündnis der Union mit der SPD an. Den Sozialdemokraten fehlen derzeit 13 Prozent auf die CDU - und ein Spitzenkandidat für die Wahl.
Bangen vor Richterspruch
Merkels gewichtigster innenpolitischer Gegenspieler ist derzeit das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Am 12. September entscheidet es, ob der 700 Milliarden Euro schwere Rettungsfonds ESM gegen das Grundgesetz verstößt. Dieser sollte eigentlich bereits seit Anfang Juli in Kraft sein. Kritiker fürchten, mit dem Rettungsinstrument trete der Bundestag seine Budgethoheit ab. Ein Nein der Richter hätte gravierende Folgen: "Ohne Deutschland macht der ESM keinen Sinn", warnte bereits der Rettungsfonds-Chef Klaus Regling im "Spiegel". Beobachter gehen daher davon aus, dass die Richter den deutschen Beitrag über 190 Milliarden Euro nicht verhindern, jedoch Bedingungen stellen werden.
Wenig Zeit bleibt für das Nachdenken über Lehren aus der Krise. Ob sich ein EU-Konvent mit der Zukunft der Union beschäftigen solle, ließ Außenminister Westerwelle am Mittwoch bei seinem Besuch offen. Während Merkels Europaberater derzeit in Brüssel dafür Stimmung macht, gibt es aus dem Berliner Kanzleramt noch ein Dementi. In Werner Faymann hätte Merkel zumindest in dieser Frage einen Verbündeten: Er lancierte bereits im Sommer einen unerwarteten Vorstoß für einen Konvent.
Aktiv gegen Assad
Neben innenpolitischen Baustellen und der Euro-Rettung muss Merkel auch auf der weltpolitischen Bühne Handlungsstärke beweisen. Immer stärker positioniert sich die Berliner Regierung gegen Syriens Machthaber Bashar al-Assad: verbal, indem zuletzt Außenminister Westerwelle zur Bildung einer Übergangsregierung aufrief. Neben Worten lässt die Regierung Taten folgen und stellt 22 Millionen Euro für Flüchtlinge zur Verfügung. Westerwelle schloss Mittwoch in Wien auch die Aufnahme von Flüchtlingen nicht aus. Der Handlungsspielraum endet bislang aber spätestens im UNO-Sicherheitsrat, wo sich die westlichen Vetomächte nicht mit Russland und China einigen können. Eineinhalb Jahre nach Beginn des Konflikts, über 15.000 Tote später.