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Big Brother’s smarte Söldner

Von Georg Biron

Reflexionen
Ein Leben ohne Internet und soziale Netzwerke ist für immer mehr Menschen unvorstellbar – doch damit steigt auch die Überwachbarkeit.
© ullstein bild/Wodicka

Trotz der neuen Datenschutz-Grundverordnung werden Facebook, Google und Co. auch weiterhin ausspionieren.


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"Influencer sind Personen, die wegen ihrer öffentlichen Präsenz in den Medien und ihrer Bekanntheit in den sozialen Netzwerken werbliche Dienste anbieten können", erklärte Niklas Wiesauer, "Onliner des Jahres 2016", kürzlich bei einer Experten-Diskussion über Digital-Business-Trends und "das Potenzial von Influencer Marketing als erfolgreiches Marketinginstrument". Influencer Marketing ist eine Form des Online-Marketings, bei der die Auftraggeber mit Hilfe solcher Influencer über deren Social-Media-Kanäle Werbung machen.

Laut Wiesauer, bei der Österreich-Filiale der Agentur Mindshare seit kurzem Leiter des Invention-Teams, das für Social Media, Content Marketing und Innovation verantwortlich ist, setzen neuerdings viele Unternehmen auf digitale VIPs, um Produkte und Dienstleistungen zu vermarkten.

Werbebusiness

Das Ziel dabei ist es, die Konsumenten genau dort abzuholen, wo sie sind, und von der großen Aufmerksamkeit, die sie ihren beliebten YouTube-Stars und Insta-gram-Sternchen entgegenbringen, zu profitieren. "Das Werbebusiness hat sich durch die sozialen Medien extrem verändert", so Wiesauer, der seit 2016 auch als Gastdozent an der FH Wien für Kommunikationswirtschaft tätig ist. Sein Arbeitgeber Mindshare ist eine global agierende Media- und Marketingagentur mit Hauptsitz in New York und London. Das Unternehmen beschäftigt derzeit rund 6000 Mitarbeiter und ist mit 115 Büros in 82 Ländern vertreten. In Österreich ist Mindshare die viertgrößte Mediaagentur und im digitalen Marketing führend.

"An Facebook kommt heute niemand vorbei, der eine erfolgreiche Marketing- oder Werbestrategie umsetzen möchte", sagt Wiesauer. "Vor allem die mobilen Geräte sorgen dafür, dass die Zielgruppen so gut wie immer und überall verfügbar sind. In Europa sind die Werbeumsätze bei Facebook zuletzt um fast 50 Prozent gestiegen."Facebook ist ein einziger Superlativ - und eine Geldproduktionsmaschinerie: 1,4 Milliarden täglich aktive Facebook Nutzer, 250 Millionen tägliche Nutzer von Instagram Stories (gehört zu Facebook) sowie 250 Millionen tägliche Nutzer von WhatsApp (gehört zu Facebook) sorgen für volle Kassen.

Zwar ist es kostenlos, Mitglied bei Facebook zu sein und sich mit Menschen auf der ganzen Welt zu vernetzen, doch die Facebookler tragen mit ihren ganz persönlichen wertvollen Daten zum Profit bei. 70 Millionen Unternehmen weltweit sind aktuell auf Facebook zu finden, und 15 Millionen Unternehmensprofile zeigen sich auf Instagram. Für Konzernchef Mark Zuckerberg ist der Plafond noch lange nicht erreicht. Er kündigte an, nun deutlich mehr Augenmerk auf WhatsApp und die Messenger-Funktion von Facebook zu legen, um auch mit diesen beiden Chat-Plattformen Geld zu machen.

Social-Media-Experte Niklas Wiesauer.
© Mindshareworld

Laut Facebook nahm der Konzern im Jahr 2017 insgesamt 9,3 Milliarden Dollar ein. Der Großteil davon stammt durch Einnahmen aus Werbeanzeigen. Von den fast zwei Milliarden Menschen, die das Netzwerk weltweit nutzen, loggen sich die meisten über Smartphones oder Tablets ein. Facebook bezieht mittlerweile den Hauptanteil der Werbeerlöse (87 Prozent) über die mobilen Geräte. Auch der soziale Fotodienst Instagram ist ein starker Umsatzbringer. Und Messenger hat heute bereits mehr als 1,2 Milliarden aktive Nutzer pro Monat. Ein Leben ohne Smartphone, Internet oder soziale Netzwerke ist für immer mehr Menschen unvorstellbar - schon bei Kindern unter zehn Jahren gehört das Chatten zum Alltag.

Sammeln & Filtern

Dozent Bela Mutschler, Professor an der Hochschule Weingarten, erklärt seinen Studentinnen und Studenten, wie Zuckerberg und Konsorten Gewinne machen: "Facebook sammelt Daten. Alter, Familienstand, Geschlecht und Beruf sind zumeist noch Informationen, die man im Profil selbst angibt. Durch das Liken und Teilen werden die Vorlieben jedes einzelnen Users konkreter und für Firmen interessanter. Zum Zeitpunkt des Einloggens werden bereits Filter gesetzt, mit denen versucht wird, Werbung zielgenau zu platzieren. Selbst anhand der Tipp-Geschwindigkeit analysieren spezielle Computerprogramme, ob der Nutzer entspannt ist oder nicht, und sie passen die Werbung dementsprechend an. Diese Kommerzialisierung ist die Lizenz zum Gelddrucken."

Mit den Daten seiner Nutzer verdient Facebook Unsummen, weil die Werbung kostengünstig, zielgruppengerecht und passgenau platziert wird. Facebook hat so viele Daten gesammelt, dass es seine Mitglieder in soziale Klassen einteilen kann und so ziemlich alles über Freizeitverhalten und Lifestyle weiß.

Kreative Methoden

Um seinen Usern auf die Schliche zu kommen, nutzt Facebook kreative Methoden. Zum Beispiel Fotos, die bei Facebook hochgeladen werden. Der Tech-Blog "Gizmodo" behauptet, dass Facebook kleinste Kratzer auf der Fotolinse eines Smartphones erkennen kann. Dazu würden selbst ein paar Staubkörnchen ausreichen. Die sind dann in den Fotos sichtbar. Dadurch kann Facebook erkennen, welche Fotos mit welcher Handykamera gemacht worden sind.

Sind also zwei Personen mit derselben Kamera fotografiert worden, egal wo und wann, so ist anzunehmen, dass sich die beiden Personen kennen - und mit dem Fotografen bekannt sind. Außerdem checkt Facebook, ob sich zwei Menschen gleichzeitig am selben Ort aufhalten, ob sie dieselbe Bar oder dasselbe Hotelzimmer besuchen. Haben sie unter Umständen eine Affäre? Sogar, ob sich zwei Leute gegenübersitzen oder nebeneinander gehen, lässt sich durch die Sensoren im Smartphone erkennen. Der "gläserne Mensch" ist also längst Realität.

Facebook ist aber bei weitem nicht der einzige eifrige Datensammler. Auch Amazon und Google bunkern jede Menge Wissen über die Nutzer ihrer Dienste und wandeln das in bare Münze um, wenn sie die Daten beispielsweise verkaufen. Informiert man sich zum Beispiel bei Google über Reiseziele, Autos oder Filme, Bücher oder CDs, so wird man schnell feststellen, dass zu den interessanten Suchbegriffen zielgerichtete Werbeeinschaltungen auf den Screens auftauchen.

Auf den Fersen: Smartphones ermöglichen ein Bewegungsprofil.
© Ullsteinbild/Thielker

Smartphones mit Googles Betriebssystem Android liefern Bewegungsdaten, die Suche im Internet gibt Aufschlüsse über intime Details wie Krankheiten. Als größter Werbeanbieter im Netz kann Google seinen Nutzern auch abseits des eigenen Portals auf den Fersen bleiben.

Scott Galloway, Professor an der New York University, erklärte am 22. Jänner 2018 auf der Digitalkonferenz DLD in München, dass Facebook, Amazon, Apple und Google mittlerweile so mächtig geworden seien, dass ehrlicher Wettbewerb von ihnen verhindert werde. "Wir müssen etwas tun", sagte Galloway und forderte die Zerschlagung der Giganten.

Welche Methoden Facebook etc. nutzen, um die User auszuforschen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. "Facebook checkt aber deutlich mehr über uns, als wir selbst freiwillig preisgeben", weiß Experte Niklas Wiesauer. Auch wenn man bestimmte Funktionen seiner Geräte ausschaltet und Verlinkungen unterbindet, der "große Bruder" ist dennoch bestens informiert.

"Facebook weiß ziemlich genau, was wir den Tag über machen, wo wir uns aufhalten und wen wir kennen. Und zwar auch dann, wenn wir diese Daten nicht bewusst teilen. Denn Facebook greift auf Telefonbücher und Kontakte zu oder registriert, wenn wir uns in ein neues WLAN einloggen", schreibt das Online-Portal kontrast.at und kritisiert, dass Facebook "Kontakt-Ketten" aufbaut. Haben etwa zwei User, die sich nicht kennen, dieselbe Telefonnummer einer Person im Handy gespeichert, so kann Facebook auch hier eine Verknüpfung herstellen und die Leute miteinander in Verbindung bringen.

Mithören am Telefon

So richtig "spooky" wird es, wenn man den neuesten Gerüchten glaubt, die behaupten, dass Facebook einzelne Telefonate seiner Community mithört und in den Gesprächen nach Schlüsselwörtern sucht, um das richtige Produkt zur richtigen Zeit bewerben zu können. So hat etwa eine Universitätsprofessorin für Massenkommunikation der University Of South Florida erklärt, sie habe in einem privaten Telefongespräch den Wunsch geäußert, in Afrika eine Jeep-Safari machen zu wollen. Keine Minute später, so Prof. Kelli Burns, wurde ihr auf Facebook eine entsprechende Werbung angezeigt.

Dass man bei Facebook mithört, wird von Zuckerbergs smarten Söldnern gar nicht geleugnet. Diese Audio-Analysen würden jedoch "nicht dazu verwendet, um Werbung zu personalisieren", erklärte ein Facebook-Sprecher auf Anfrage der britischen Online-Zeitung "The Independent". Die Facebook-Werbepartner orientieren sich an Nutzer-Interessen oder demographischen Informationen, nicht aber an den Infos aus dem Smartphone-Mikrofon.

Ähnliche Vorwürfe gab es aber bereits 2014. "Damals hieß es, die App würde nicht ‚immer zuhören‘ und die Audio-Informationen niemals speichern", berichtet futurezone.at. "Auf den Hilfe-Seiten von Facebook heißt es, dass die App zuhört, was um die User herum passiert. Allerdings nur, um herauszufinden, was sich die Leute gerade im TV ansehen oder welche Musik sie hören, um ihnen Posting-Vorschläge machen zu können."

"Facebook weiß, wer wie lange welchen Porno im Netz anschaut, ohne dass der Nutzer das mitbekommt", sagt der österreichische Jurist Max Schrems, der sich einen Namen gemacht hat, weil er Facebook mit einer groß angelegten Sammelklage wegen missbräuchlicher Verwendung persönlicher Daten vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) sehen will. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagt er:

"Wir reden ständig darüber, dass wir in Europa den besten Datenschutz haben. Tatsächlich wird der aber nicht durchgesetzt. Und natürlich wissen das die Konzerne und nutzen das aus. Bei der Klage gegen Facebook geht es um mehrere Punkte. Zum Beispiel hat (der ehemalige CIA-Mitarbeiter und Whistleblower) Edward Snowden aufgedeckt, dass Facebook und viele andere US-Konzerne Nutzerdaten an (den amerikanischen Auslandsgeheimdienst) NSA weitergeben."

Ende Jänner 2018 erhielt Max Schrems von den EU-Richtern eine Abfuhr: Er könne keine Sammelklage gegen Facebook einbringen. Prompt bekam er daraufhin vom SPÖ-Europa-Abgeordneten Josef Weidenholzer eine Beileidsbekundung: "In der ganzen EU müssen sich Bürger auf ihr Recht auf Datenschutz verlassen können. Gerade im Fall von sozialen Netzwerken wie Facebook zeigt sich, dass der moderne Datenschutz an seine Grenzen stößt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes stärkt leider die Posi-tion von Facebook und nicht den Schutz der Privatsphäre. Europaweite Sammelklagen wären ein wichtiges Instrument, um besseren Datenschutz für alle Europäer durchzusetzen."

Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) tritt am 25. Mai 2018 in Kraft. Bis dahin müssen alle Datenanwendungen an die überarbeitete Rechtslage angepasst werden. Jedes Unternehmen, das in irgendeiner Weise personenbezogene Daten verarbeitet (z. B. eine Kundendatei führt, Rechnungen ausstellt, Lieferantendaten speichert), ist davon betroffen. Damit kommen wesentliche Neuerungen auf die Unternehmen zu. Wer sich nicht da-ran hält, muss mit empfindlichen Strafen von bis zu 20 Millionen Euro rechnen.

Ob sich Facebook, Amazon oder Google dadurch von ihren profitablen Geschäftsmodellen abbringen lassen, darf jedoch ernsthaft bezweifelt werden. Auch stellt sich den heimischen Juristen die Frage, bei welchem Gericht man bei Verstößen solch mächtiger globaler Player eine etwaige Klage einbringen könnte.

Digitaler Nachlass

Nicht einmal der Tod befreit die Menschen automatisch aus den Klauen der Daten-Kraken. Das Internet, so heißt es, vergisst nichts. Auch wenn ein Mensch in der analogen Welt stirbt, bleiben seine digitalen Spuren im Netz erhalten. Profile auf Facebook oder Twitter, in Partnervermittlungsbörsen oder anderen Plattformen und Diensten wie Youporn, Netflix, Ebay, Spotify, iTunes, Google Play, Dropbox, Songkick etc. verschwinden nicht automatisch. Während die analoge Hinterlassenschaft in Testamenten oft penibel genau aufgelistet ist, wird auf das Leben im Internet oft gründlich vergessen.

Der Verband der österreichischen Internetprovider (ISPA) hat den Leitfaden "Digitaler Nachlass" verfasst, in dem sinnvolle Ratschläge zu finden sind, wie das Leben auch im Netz zur Ruhe kommt. Eine Liste mit Online-Mitgliedschaften, Profilen und Login-Daten sollte auf jeden Fall rechtzeitig bei einem Notar hinterlegt werden, damit dieser im Todesfall eine Anleitung zum Löschen eventuell peinlicher oder sensibler Accounts hat. Darüber hinaus sollte ganz klar geregelt werden, so die ISPA, wer nach dem Ableben eines Users Zugriff auf die persönlichen Daten erhält. Das Onlineverzeichnis www.backgroundchecks.org stellt dar, wie leicht oder schwer es ist, Online-Profile von Verstorbenen zu löschen. So stellt man etwa bei Xing das Profil einer als tot gemeldeten Person zunächst inaktiv und sendet eine Mail an den Profil-Besitzer. Wird diese E-Mail drei Monate lang nicht beantwortet, dann wird das Profil gelöscht. Bei Facebook hilft man sich mit "Gedenkseiten" weiter. Friends der Toten können dort weiterhin ihre Einträge posten. Die Angehörigen können aber auch auf dem Rechtsweg beantragen, dass ein Facebook-Account komplett gelöscht wird.

Die Wiener Städtische Versicherung hat das Problem erkannt und bietet einen vifen Nachlass-Service für die digitale Welt an, der im Todesfall alle Formalitäten bei Behörden und Krankenkassen bis hin zu Telekommunikations- und Energieanbietern regelt. Hinzu kommen auch Online-Verträge, Mitgliedschaften bei E-Mail-Diensten oder bei Facebook, Twitter oder Xing. Initiiert hat diesen Service die Bestattungs- und Versicherungsservicegesellschaft m.b.H. Wiener Verein, eine Tochter der Wiener Städtischen Versicherung.

Es gäbe "ein großes Interesse von Kunden und Bestattern", verrät Robert Lasshofer, Generaldirektor der Wiener Städtischen, dem Wirtschaftsmagazin "Trend", und glaubt, dass solche Dienstleistungen bald fixer Bestandteil jeder Bestattungsvorsorge sein werden. "Der Bedarf ist groß und wird weiter steigen." Die Versicherung übernehme die Kündigung von rund 250 Diensten. Die Erben müssen nicht wissen, auf welchen der Verstorbene aktiv war, auch brauchen sie weder Zugangsdaten noch Passwörter.

"Ohne professionelle Hilfe stellt diese Situation Betroffene vor eine kaum lösbare Aufgabe", so Lasshofer.

Georg Biron, geboren 1958 in Wien, ist Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler. Zuletzt ist von ihm erschienen: "Buchstabensuppe. Das große Georg Biron Lesebuch" (Verlag Der Apfel, Wien 2017).