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In den ersten elf Monaten der ÖVP-FPÖ-Regierung seien 40 Vorhaben bereits umgesetzt worden, zogen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer gestern nach dem letzten Ministerrat in diesem Jahr eine erwartungsgemäß positive Bilanz: "Damit haben wir vieles deblockiert, was an Reformstau in den letzten Jahren übrig geblieben ist", sagte Schüssel. Beide verwiesen auf die überaus schwierige Zeit - den Druck von außen und innen auf die Regierung. In den schwierigen Momenten habe man sich gegenseitig Mut gemacht, betonten die beiden Regierungschefs.
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Auch Selbstkritik am Ende der Bilanz fehlte nicht: Das überaus schwierige Jahr habe seine physische und psychische Schmerzgrenze ausgelotet, gab der Kanzler zu. Damit sei wohl auch zu erklären, dass er "das eine oder andere Mal zu hart reagiert" habe: "Ich hoffe, mich im nächsten Jahr bessern zu können." Auch das Tempo sei vielleicht in einigen Bereichen zu schnell ausgefallen, weshalb die nötige Vorbereitung gefehlt habe. Schüssel verwies etwa auf die Einführung der Studienbeiträge, die besser vorbereitet hätte werden können. Er sei aber mit dem Regierungsteam sehr zufrieden: "Der Ministerrat arbeitet gut zusammen."
Auch die Vizekanzlerin sieht im Nachhinein einiges, "das man hätte besser machen können". Manche Diskussionen wären überflüssig gewesen, wenn vorher ausgereifte Vorschläge vorgelegt worden wäre. Als Beispiel nannte Riess-Passer die Wartezeit beim Arbeitslosengeld, die ja mit der Gewerkschaft zu harten Auseinandersetzungen und schließlich zur Einigung über die Saisonverlängerung im Tourismus geführt hat. Vieles sei auch deshalb in dieser Eile passiert, weil die Erwartungen an die neue Regierung, möglichst alles und möglichst schnell zu verändern, so groß gewesen seien, "aber wir sind auf einem guten Weg".
Gefragt, was denn die schwierigste Stunde in diesem ersten Jahr gewesen sei, sagte der Kanzler: "Es hat viele schwierige Momente gegeben". Eine der "bittersten Stunden" sei für ihn die Verhängung der Sanktionen am 31. Jänner durch die 14 EU-Staaten gewesen, "weil sie mir als überzeugtem Europäer der ersten Stunde einen Dämpfer versetzt hat". Auch "die objektive Wucht mancher Probleme" hat für Schüssel zu den schwierigen Phasen in der neuen Regierung gezählt. Gelöst habe man das, indem man sich gegenseitig Mut zugesprochen und sich motiviert habe.
Für die Vizekanzlerin waren die schwierigsten Stunden des Jahres jene rund um die Katastrophe von Kaprun, weil sie die Grenzen der eigenen Handlungsfähigkeit und des Möglichen aufgezeigt habe.
Nicht gelten lassen wollte der Kanzler die Kritik von NR-Präsident Heinz Fischer, der ein Zurück zur Konsensdemokratie gefordert hatte. Seit Februar seien 37 Prozent aller Gesetze im Nationalrat einstimmig beschlossen worden, wollte Schüssel der "Erinnerung Fischers nachhelfen". In der 21. Gesetzgebungsperiode seien 25,7 Prozent einstimmige Beschlüsse gefallen, insgesamt liege man über dem Durchschnitt der letzten drei Legislaturperioden bei einstimmigen Abstimmungen.
Die Bilanz der Regierung sei auch deshalb so bemerkenswert, weil es so großen Druck von außen und innen gegeben habe. Sie wolle das Demonstrationsrecht in keiner weise einschränken, aber "die Gewaltbereitschaft von Demonstranten ist nicht zu rechtfertigen", verwies Riess-Passer auf 84 Beamte (von 29.000 eingesetzten Beamten), die im Zuge der 215 Demonstrationen gegen die Regierung bisher verletzt worden seien.
Als größten Erfolg der Regierung bewerteten Schüssel und Riess-Passer die Beschlüsse von drei Budgets, die eine "Zukunft ohne Schulden" eröffnen sollen. Die Budgetsanierung erfolge überwiegend ausgabenseitig, zwei Drittel der Arbeitnehmer seien nicht betroffen und das untere Einkommensdrittel werde mit 5 Mrd. Schilling entlastet.
"Es wird in Österreich neu regiert: Schlechter, ungerechter, ineffizienter", zog SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Doris Bures eine eigene Bilanz über das erste Jahr der schwarz-blauen Koalition. Für Bures zeigt sich das "neu Regieren vor allem im enormen Marketingaufwand, den die FPÖ-ÖVP-Koalition betreibt. Die propagandistische Begleitmusik der unsozialen Wende wird mit Steuergeldern bezahlt."
Bures kritisierte im Pressedienst der SPÖ insbesondere die "falsche Budgetpolitik, mit ihren zum Teil katastrophalen Auswirkungen auf sozial Schwache", die "systematische Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Standards" und die "völlig rückwärtsgewandte Frauenpolitik". Was die FPÖ betrifft, so hätten wenige Monate ihrer Regierungsbeteiligung gezeigt, dass sie "weder personell noch inhaltlich in der Lage ist, ihre Versprechungen auch nur ansatzweise einzuhalten".