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"Bild" regiert die EU

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Eine europäische Verschärfung.


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Eigentlich wollte ich nicht mehr über Griechenland schreiben. Nicht schon wieder. Aber dann kam die Nacht der EU-Nächte. Und mit ihr eine Wut, die sich auch jetzt noch - nach einer Woche - artikulieren muss. Jeder Text braucht eine Emotion. Aber bei so einer Wut muss man aufpassen, nicht nur Sätze mit Rufzeichen zu schreiben: Es ist unfassbar. Was für ein Vorgehen. Einschnitt. Historisch!!!

Nun ist man dieser Tage mit seiner Wut nicht alleine. Es gibt vielmehr einen weltweiten Zorn. Vor allem die Stimmung gegenüber Deutschland ist gekippt. Die Vorwürfe gehen von: Griechenland sei wie ein feindlicher Staat behandelt worden. Es wurde unter Kuratel gestellt. Der Vertrag sei ein Kolonialvertrag. Bis zu: Das dunkelste Papier Europas seit dem Krieg. It’s a coup!

Man sollte dieser Liste aber einen weiteren Vorwurf hinzufügen. Einen Vorwurf, der in letzter Zeit ständig gegen Tsipras erhoben wurde: jener des Populismus. In der historischen EU-Nacht hat sich gezeigt: Der Populismus-Vorwurf lässt sich durchaus auch in die andere Richtung erheben. Überall hat man gelesen: Die EU-Verhandler haben auf ihre jeweiligen innenpolitischen Stimmungen geachtet.

Für Deutschland aber heißt das: Sie haben auf die "Bild"-Zeitung Rücksicht genommen. "Bild" gab den Ton vor. ("Wir dürfen uns nicht erpressen lassen." "Wir brauchen die Eiserne Kanzlerin".) Es gilt nicht nur: Merkel regiert nicht gegen "Bild". Es gilt vielmehr: "Bild" regiert die EU. Das ist die knappe Formel für die gegenwärtige Situation.

Ein Populismus, der sich nicht zuletzt daran zeigt, welchen Drall die EU-Forderungen in der kurzen Zeitspanne vor und nach dem griechischen Referendum genommen haben: Sie haben - ohne ökonomische Notwendigkeit - die strittigen wirtschaftlichen Maßnahmen in einen Rache- und Disziplinierungsfeldzug, in eine Machtdemonstration verwandelt. Eine europäische Verschärfung, die dem Vorgang ein emotionales mithin populistisches Moment verliehen hat.

Tsipras’ Populismus dagegen muss man immerhin eines zugute halten: Er hat damit versucht, die Volkssouveränität zu bewahren - gerade in einer virulenten Zeit, wo die nationale Souveränität ausgehöhlt wird. Es bleibe ihm nur diese symbolische Politik: die Organisation des Misstrauens. Deren Wert ermisst sich an den Folgen, die sein Rücktritt bringen würde. Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, was dann käme: Die Linke wäre auf Jahre weg. Eine desavouierte Mitte ohnehin. Der Weg wäre frei für den Vormarsch der extremen Rechten in Griechenland. Trotz all seiner Kapriolen schützt Tsipras derzeit Europa davor.

Das "deutsche Europa" hingegen hat mit seinem neuen deutschen Populismus (unter Umgehung seiner historischen Last) zwei neue Ausrichtungen in der EU salonfähig gemacht: eine Akzeptanz, eine Toleranz gegenüber dem Elend. Und die Trockenlegung der europäischen Ressource "Solidarität".

Wie weit diese Aufkündigung des Wohlfahrtsfundaments geht, zeigt sich nicht zuletzt an der Haltung der SPD. Es ist bitter zu sehen, wie Martin Schulz agiert. Aber es ist unerträglich, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel versucht, Merkel rechts zu überholen. Man muss es mit allem gebotenen Pathos sagen: Das Versagen der deutschen Sozialdemokratie in dieser Situation ist ein desaströses. Mit Rufzeichen!