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Bilden statt Tunnels bauen

Von Stefan Meisterle

Wirtschaft

Offene Plattform schafft Mechanismen für die Kooperation mit Politik und Verwaltung.


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Wien. Vom morgendlichen Blick in die Online-News über den Arbeitsalltag vor PC und Laptop bis zum abendlichen Email-Check am Firmen-Handy: Das Internet hat Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändert. Doch während andere Länder sich den neuen Technologien bereitwillig öffnen, droht Österreich in Sachen Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) den Anschluss zu verlieren. Im Networked Readiness Index des World Economic Forum, der den technologischen Reifegrad der Länder misst, liegt Österreich auf Platz 19, weit hinter den nordischen Nationen, der Schweiz und den Niederlanden. Das zu ändern hat sich die 2008 gegründete Internetoffensive Österreich zum Ziel gesetzt, die von einem Förderverein der großen IKT-Unternehmen des Landes gestützt wird. Im Gespräch erklärt Rudolf Kemler, Präsident der Initiative und Generaldirektor von HP Austria, wie das gelingen soll

"Wiener Zeitung": Drei von vier Haushalten und 98 Prozent der Unternehmen haben einen Internetanschluss. Wozu braucht Österreich eine Internetoffensive?Rudolf Kemler: Die Internetoffensive hat nicht primär die Maximierung der Anschlüsse vor Augen, sondern will erreichen, dass man das Internet als gesellschaftlichen Begriff wahrnimmt. Wir reden dabei nicht über etwas, das "nice to have" ist, sondern über ein Thema, das das Land massiv beeinflusst. Die Wertschöpfung der IKT-Branche liegt bei 9 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukts, Anm. ), 40 Prozent der Produktivitätssteigerung kommen von ihr, sie ist einer der wenigen Wachstumstreiber. In den vergangenen Jahren sind aber viele Basisarbeitsplätze in der IT, etwa in der Programmierung, verloren gegangen. Aufträge, die jetzt nach Bulgarien, Rumänien oder auch nach Indien vergeben werden. Das bedeutet natürlich auch einen Abfluss bei Forschung, Investitionen und Entwicklung. Wenn man das weiterdenkt, sitzen wir hier irgendwann auf dem Trockenen. Wir müssen daher versuchen, die höherwertigen Tätigkeiten, die in der Wertschöpfungskette entstehen, im Land zu halten.

Wie soll das gelingen?
Man hat dafür zunächst Messlatten ausgewählt, die allerwichtigste davon ist der Network Readiness Index (NRI), der jährlich vom World Economic Forum WEF neu aufgelegt wird und für den sich auch die EU in ihrer Digitalen Agenda entschieden hat. Österreich hat bei diesem Index eine bewegte Entwicklung hinter sich, in den letzten Jahren mehrheitlich leider auch eine negative. Die beste Platzierung war der 15. Platz im Jahr 2007, bis 2011 rutschten wir auf die 21. Position ab, um uns heuer geringfügig um 2 Plätze zu verbessern. Die Kernziele der Internetoffensive sind, Österreich in zwei Stufen unter oder zumindest näher an die Toppositionen dieses Index zu bringen.  In einem ersten Schritt wollen wir in die Top-10 Europas, letztendlich wollen wir eine Platzierung unter den Top-5. Es geht dabei aber nicht ums Ranking, sondern um die Frage der Wertschöpfung Österreichs. Wir wollen Österreich in eine Lage bringen, die dann auch im NRI eine Topposition bedeutet.

Die Internetoffensive ist eine offene Plattform, bei der Projektvorschläge für die Politik erarbeitet werden. Wie funktioniert das im Detail?
Über 400 Personen, darunter auch hochkarätige Leute aus der Wirtschaft, haben bereits mitgearbeitet, es waren praktisch alle Ministerien und auch die Universitäten an Bord. Die Arbeitskreise selbst sind im Wesentlichen Expertenrunden. Die Ideen, die sich hier durchsetzen, landen in einer Projektkoordination, die sie dann an das Kompetenzzentrum Internetgesellschaft (KIG) übergibt. Hier kommen die Stimmen der Ministerien dazu, es wird diskutiert, welche Mittel notwendig wären und wie wichtig die Idee ist. Aus diesen Prozessen entsteht regelmäßig ein Prioritätenkatalog, der dann im Ministerrat eingebracht und beschlossen wird.

"Die Tür ist offen"Die österreichische IT-Branche ist sehr kleinteilig strukturiert. Waren an der Entstehung der Projektvorschläge auch Kleinunternehmer beteiligt?
Mittel- und Kleinunternehmen haben aufgrund ihrer Kapazitäten oft nicht die Chance, sich für diese Dingen so intensiv einzusetzen wie die großen IKT-Unternehmen. Aber Kleinunternehmer sind sehr wohl in den Arbeitskreisen vertreten. Wenn jemand kommt und mitmachen möchte, kann er das jederzeit – die Tür ist offen. Jeder hat die die Chance, im Internetforum der Internetoffensive seine Inputs einzubringen. Sind diese substanziell interessant, wird man sehr schnell in den Arbeitskreis kommen. Natürlich muss der Arbeitskreisleiter feststellen, ob derjenige ein anerkannter Experte ist. Wenn es nur um Partialinteressen geht, die für die Allgemeinheit uninteressant sind, kann es natürlich schon sein, dass die im Arbeitskreis hängen bleiben. Das ist ein ziemlich demokratischer Prozess.

Die Internetoffensive wird von einem Förderverein getragen und organisiert. Hier sind wesentliche Unternehmen der IKT-Branche vertreten. Hat  dieser Verein maßgeblichen Einfluss auf Entstehung und Zusammensetzung von Projektvorschlägen und Prioritätenkatalogen?<br style="font-style: italic;" /> Der Förderverein hat den einen Sinn, die paar großen IKT-Unternehmen zusammenzufassen, die bereit sind, Geld dafür auszugeben, damit der Prozess läuft. Es gibt hier keine lobbyistischen Interessen, sondern hier wird sachliche Arbeit gemacht, ohne, dass man irgendeine Auftragsvergabe im Hinterkopf hätte. Jeder Arbeitskreis sucht sich möglichst viele Experten aus Wirtschaft,  Wissenschaft oder Interessensvertretungen. Da sind jede Menge Menschen mit Expertenstatus drin, die nicht Teil des Fördervereines sind.

Wenn jemand kommt, und Mitglied des Fördervereines möchten werde, heißen wir ihn übrigens auch willkommen. Wir sind keine closed-user-group. Wir unterhalten uns mit allen und haben bisher auch niemanden abgelehnt. Man muss lediglich bereit sein, sich einzubringen, das kostet Zeit und Arbeit.

Wie wird gewährleistet, dass die Ideen, die in der Internetoffensive entstehen, auch umgesetzt werden?
Im KIG ist sowohl die fachliche als auch die politische Seite vertreten, hier sitzen die verantwortlichen Sektionschefs aus den Ministerien und ein Kabinettsmitglied. Damit hat man sowohl die Leute, die das langfristig steuern, als auch jene, die kurzfristig um ihre politischen Akteure tätig sind. Im KIG wird auch dafür gesorgt, dass die Ministerien die Verantwortung für einzelne Vorhaben übernehmen: Jedes Projekt hat einen Träger und ist aus dessen budgetärer Gebarung zu finanzieren. Die ersten beiden Prioritätenkataloge sind so, wie sie aus dem KIG gekommen sind, im Ministerrat beschlossen worden.

Welche Rolle spielt die Internetoffensive im KIG?
Das KIG untersteht direkt dem Ministerrat und besteht aus vier Schlüsselministerien - und der Internetoffensive. Wir sind der wesentlichste Inputgeber des KIG. Die Internetdeklaration, ein Dokument, das aus der Internetoffensive kam, ist neben den laufenden Projekten der Ministerien die wesentliche Arbeitsgrundlage des KIG.

Intelligente Investitionen
Eine Ihrer Forderungen sind Investitionen in die IKT-Infrastruktur. Geht es da um Förderungen?
Seit es die Internetoffensive gibt, ist nicht die leiseste Forderung nach Förderungen erhoben worden. Was wir wollen, ist ein sinnvoller Einsatz der vorhandenen Mittel. Im aktuellen Regierungsprogramm wurde für Straße und Schiene ein Investitionsvolumen von 42 Milliarden Euro veranschlagt – im Bereich Informationstechnologie waren es 50 Millionen. Würde ich nur fünf Prozent dieser Milliarden in ein Segment investieren, das eine größere und nachhaltigere Wertschöpfung verspricht, als zu betonieren und Tunnels zu bauen, gewinne ich dauerhafte Arbeitsplätze im Land.

Oft erwachsen aber aus Investitionsprojekten der Verwaltung Aufträge für die Wirtschaft.
Das ist aber auch nichts Negatives. Es gibt öffentliche Ausschreibungsverfahren, da passieren dann ohnehin Rituale, bei denen der Bestbieter gewinnt. Es ist nicht so, dass da Früchte von den Bäumen fallen, die sonst nicht da wären. Manchmal geht die Entwicklung aber einfach in die falsche Richtung, wenn wir Schritte sehen, die nicht sinnvoll sind, versuchen wir, das den Kollegen von den Ministerien mitzugeben.

Als ein Beispiel dafür kann man sich die Frage der Vergabe von Bandbreiten im Mobilfunk ansehen. Die Regierung wird hergehen und die Frequenzen neu versteigern. Wenn sie nun aus budgettechnischen Gründen hohe Versteigerungsansätze fährt, zieht sie Kapital aus den IKT-Unternehmen heraus, das eigentlich in die Entwicklung dieser Breitband-Infrastruktur gehen sollte. Besser wäre es da, den Versteigerungswert niedriger zu halten und dafür das Commitment zu verlangen, dass der Ausbau des Netzes rasch zu erfolgen hat, statt auf diesem Wege Budgetlöcher zu stopfen. Das verstehe ich aber nicht als Förderung, sondern als Frage der intelligenten Infrastrukturpolitik.

Bildung mit SystemDie Branche fordert seit langem auch Fortschritte in der IT-Bildung. Wie ist der Standpunkt der Internetoffensive dazu?
Um die höherwertige Wertschöpfung im Land halten zu können, muss ich sehr früh in der Ausbildung Schritte setzen. Da ist Österreich in einem hoffnungslosen Rückstand, wir haben bis zum Pflichtschulabschluss keine koordinierte Vorgehensweise. Wenn jemand mit 15 die Pflichtschule verlässt, müsste er fähig sein, mit einem Computer umzugehen. Er ist deswegen noch lange kein IT-Wissenschaftler und auch nicht auf einen IT-Job vorbereitet, aber auf die Nutzung der modernen Technologien: Er ist kritisch, aber auch wissend.

Es gibt Initiativen vom Unterrichtsministerium, von Schulen und Eltern, IT-Wissen zu vermitteln. Ist das nicht genug?
Das ist besser als gar nichts, aber definitiv nicht die Lösung. Es braucht eine Systematik dahinter: Die Lehrer müssten das Gleiche vermitteln, mit den gleichen Methoden arbeiten. Weil IT ein lebendes Thema ist, muss ich das Wissen der betreffenden Lehrer zudem auch permanent updaten können. Wenn ein Lehrer die Schulung verlässt, ist das Wissen in einem Jahr vielleicht schon spürbar überholt. Lehrer müssen also auch die Chance haben, mit den Veränderungen mitzuleben.

Die Diskussion mit dem Bildungsministerium ist da aber schwierig, die politische Aufmerksamkeit in dem Ministerium ist nicht auf dieses Thema gerichtet. Die Versuche, mit Frau Schmied darüber zu reden, sind allesamt gescheitert. Da brauchen wir eine massive Entwicklung.

Aufholbedarf trotz internationaler Spitzenplätze?Ein Punkt in den jüngsten Prioritätenkatalogen zielt auf eine Modernisierung der Verwaltung ab. Die heimische Verwaltung belegt in europäischen E-Government-Rankings allerdings regelmäßig Spitzenplätze. Macht die öffentliche Hand nicht ohnehin längst alles richtig?
Die gute Platzierung im E-Government-Ranking ist sicher erfreulich, aber kein Kissen, auf dem wir uns ausruhen können. Die anderen Länder Europas haben da deutlich aufgeholt und uns zum Teil wahrscheinlich sogar schon überholt. Wir sind bei der Schnittstelle zwischen Bürger und IT des Bundes zugegebenermaßen gut unterwegs – auch wenn das noch stark von den Entwicklungen vor 2006 getragen ist, Stichwort E-Finance, help.gv und dergleichen. Die dahinter vorhandenen verwaltungstechnischen Aspekte sind allerdings bei weitem nicht auf dem Level wie die Schnittstellen zum Bürger.

Vor allem dort, wo es keine direkten Berührungspunkte mit dem Bürger gibt, müsste die öffentliche Hand Verwaltungsvereinfachungen vorantreiben. Das betrifft Fragen wie Dokumentation, Ablage, Zugänglichkeit, usw. – all das könnte die notwendigen Ressourcen verringern. Ziele wie die geplante Reduktion der Beamtenstellen werden nur realisierbar sein, wenn ich die Prozesse besser organisiere. Sonst steht man in drei Jahren da und stellt fest, dass das nicht geht, weil sonst alles zusammenbrechen würde.

Es ist dabei auch wichtig, dass man stärker in Richtung business cases denkt: Derzeit wird bei der Gebarung des Bundes eher budgetär orientiert gedacht. Wenn ich aber Einsparungsprogramme fahre, werde ich im Regelfall erst investieren müssen. Das geht zumeist über Budgetzeiträume von ein bis zwei Jahren, bei größeren Themen auch über die Legislaturperiode hinaus - etwa wenn man an Gesundheit oder Bildung denkt. Wenn ich Einsparungspotenzial heben möchte, muss ich zuerst für Veränderung sorgen, was im Regelfall Investment bedeutet. Erst dann kann ich die Früchte ernten.

"Bei uns gibt es keine Partikularinteressen"Die Internetoffensive ist nicht die einzige Branchenvertretung, es gibt eine Reihe von Verbänden, Vereinigungen und Initiativen. Arbeitet man zusammen oder kocht jeder sein eigenes Süppchen?<br style="font-style: italic;" /> Die Zusammenarbeit ist gegeben, weil alle in den Arbeitskreisen mitgearbeitet haben und in ihrem Bereich selbst aktiv waren. Aber als Fachverband der Wirtschaftskammer vertrete ich beispielsweise 13.200 Unternehmen in der IKT-Branche und habe daher natürlich ganz andere Prioritäten und Fragestellungen, als das Land in Summe voranzubringen. Ähnlich ist das auch mit anderen Vereinigungen, die eben ihre Interessen vertreten.

Die Internetoffensive ist jedoch in der Brille der Politiker so etwas wie eine Branchenvertretung geworden, wenn es um einen größeren Horizont geht. Die Internetoffensive geht sicher nicht her und fordert, dass für IKT-Unternehmen jener und dieser Steuersatz gesenkt werden muss. Das machen andere. Wir versuchen, zu überlegen, wie wir das Land voranbringen können. Das unterscheidet uns von anderen Vereinigungen, die ihre Partialinteressen verfolgen. Bei uns gibt es keine Partialinteressen.

Wenn man sich ansieht, wie unsere Prioritätenkataloge entstehen, wer hier aller eingebunden ist und wie viele Ebenen sie durchlaufen müssen, ist mein Eindruck schon, dass wir noch niemals etwas in Österreich hatten, das auch von der Qualität her auch nur annähernd vergleichbar gewesen wäre.

Am IKT-Konvent, den die Internetoffensive organisierte, durfte man mit Werner Faymann und Michael Spindelegger erstmals auch Kanzler und Vizekanzler als Redner begrüßen. Ist die IKT-Branche am politischen Radar angekommen?<br style="font-style: italic;" /> Ich glaube schon. Die Bewusstseinsbildung hat gefruchtet. In der Öffentlichkeit ist dieses Bewusstsein zwar noch nicht da, wichtig ist aber, dass diejenigen, die die Veränderung in der Hand haben, die ersten sind, die das Thema verstanden haben. Die Organisation folgt der Strategie.