Regime Assad bezeichnet die Vorwürfe als "unlogisch und fabriziert".
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Wien/Damaskus. Beispielloses Kriegsverbrechen des Assad-Regimes oder ausgeklügelte Inszenierung der Rebellen, die in Damaskus von der Armee in die Defensive gedrängt werden? Diese Frage bleibt vorerst unbeantwortet. Die Gegner des syrischen Diktators sprechen von 1300 Toten, die in der Nacht auf Mittwoch ein Giftgas-Angriff der Armee gefordert haben soll. Die Zahl, so die Rebellen, könnte noch steigen: Man habe ein Viertel im Vorort Zamalka entdeckt, in dem "die Häuser voller Toter" seien.
Die vorhandenen Bilder sind hochgradig verstörend: Im Internet tauchen zahlreiche Amateur-Videos und Fotos auf, die ein Kriegsverbrechen belegen wollen. Eine Sequenz, die angeblich im Damaszener Vorort Kafr Batna aufgenommen wurde, zeigt ein Zimmer mit mehr als 90 Leichen. Darunter viele Babys, Kinder sowie Frauen und ältere Männer. Die Haut der Toten ist kreidebleich, äußere Verletzungen sind nicht zu sehen. Auf dem Fußboden liegen Verletzte, Sterbende und Tote nebeneinander; zu sehen ist, dass die Opfer stark verengte Pupillen und Schaum vor dem Mund haben. Ein Arzt erzählt von 50 toten Kindern, die er in seinem Armen gehabt habe.
Der britische Chemiewaffen-Experte Hamish de Bretton Gordon sagt gegenüber der BBC, die Symptome würden auf einen Chemiewaffen-Einsatz hinweisen. Sollte es sich um eine Inszenierung handeln, sei sie "sehr gut gemacht", heißt es an anderer Stelle.
Was geschehen ist, liegt noch im Dunkeln. Die Rebellen behaupten, mit Nervengas bestückte Raketen seien im Osten der Hauptstadt niedergegangen. Die syrische Armee weist das in einer im TV verlesenen Ansprache ausdrücklich zurück: Die Vorwürfe seien "unlogisch, fabriziert", heißt es hier. Der Einsatz von Giftgas während der Anwesenheit von UNO-Inspektoren im Land wäre "politischer Selbstmord, so ein ranghoher Vertreter der syrischen Sicherheitskräfte. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Angriff auf das Konto von radikalen islamistischen Rebellen gehe.
Limitiertes UN-Mandat
Das Problem besteht darin, dass es im syrischen Bürgerkrieg immer noch keine von unabhängiger Seite beglaubigten Berichte gibt. Jedenfalls weisen auch internationale Experten auf Ungereimtheiten hin. Warum, so fragen sie, ordnet das Regime just zu dem Zeitpunkt Giftgas-Angriffe auf Zivilisten an, da ein UN-Team im Land ist, um den Einsatz von Giftgas zu überprüfen. Es wäre "sehr seltsam", wenn Assad ausgerechnet in diesem Moment zu solchen Mitteln greifen würde, ist etwa der ehemalige schwedische Diplomat Rolf Ekeus, der in den 1990er Jahren ein Team von UN-Waffeninspektoren im Irak geleitet hatte, skeptisch. Dazu kommt, dass sich die UN-Inspektoren nur wenige Kilometer von dem Ort, wo sich die Tragödie abspielte, aufhalten. Ungewöhnlich vorsichtig formuliert sind auch die Informationen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London: Sie spricht zwar von schweren Bombardements mit hunderten Toten, erwähnte jedoch keine Giftgasangriffe.
Ekeus’ Landsmann Ake Sellström - er ist Chef des 20-köpfigen UN-Expertenteams - reagiert auf die Vorwürfe der Rebellen ebenfalls vorsichtig. Die Sache klinge wie "etwas, das man untersuchen sollte", so der Giftgas-Experte. Sellström mus jedes Wort genau abwägen, sein UN-Mandat ist stark limitiert: So dürfen nur drei festgelegte Orte nach dem flüchtigen Giftgas untersucht werden. Und die Inspekteure dürfen kein Urteil darüber abgeben, wer die chemische Munition verschossen hat. Doch genau das ist die entscheidende Frage.
Das syrische Regime blieb am Donnerstag ihrer Linie treu und wollte den UN-Inspektoren kurzfristig keinen Besuch der Stadtviertel erlauben, wo es am Mittwoch zu dem Massaker gekommen sein soll. Dafür bedürfe es einer speziellen Genehmigung durch die Regierung, ließ Informationsminister, Omran al-Soabi wissen. Eine Möglichkeit, die Vorwürfe der Rebellen umgehend zu entkräften, ist somit ungenutzt verstrichen. Moskau, das mit dem Regime Assad auf das Engste verbündet ist, verkündete schließlich, dass Damaskus zu "maximaler Kooperation" mit den UN-Waffeninspekteuren bereit sei. So wolle man Zugang zu sichergestellten Proben ermöglichen. Eine Klärung der jüngsten Vorfälle und eine Klärung der Frage, wer in der Vergangenheit Giftgas eingesetzt hat, wird das nicht bringen.
Sollte das syrische Regime tatsächlich Chemiewaffen eingesetzt haben und das von den UN-Inspektoren auch festgestellt werden, hätte das weitreichende Konsequenzen. Die USA, Großbritannien und Frankreich müssten dann konkrete Handlungen setzen. Der Griff zu Giftgas ist international geächtet, zuletzt wurde es von Saddam Hussein 1988 im großen Stil zur Ausrottung der kurdischen Minderheit im Irak benutzt. US-Präsident Barack Obama hat anfänglich von einer "roten Linie" gesprochen, die dann überschritten wäre. Weder in Washington noch in Paris oder London ist die Lust groß, in den Strudel eines immer unübersichtlicher werdenden Konflikts zu geraten. Die Obama-Administration will deshalb von "roten Linien" nichts mehr wissen - diese würden nicht gezogen, lässt eine Sprecherin des US-Außenministeriums wissen. Am weitesten wagt sich Frankreich vor: Die Entsendung von Bodentruppen wird in Paris zwar ausgeschlossen, nicht aber die Errichtung von Flugverbotszonen und Luftangriffe.