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Bildung als Rettungsanker

Von Ina Weber

Politik

Die Wiener Wirtschaft sieht vor allem das zum Teil nicht vorhandene Bildungsniveau als Problem am Arbeitsmarkt - immer mehr Lehrstellen könnten aufgrund mangelnder schulischer Grundkenntnisse nicht mehr besetzt werden.


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Wien. Mehr HTL- und Fachhochschul-Absolventen, weniger AHS- und Uni-Absolventen würden am Wiener Arbeitsmarkt der Zukunft gebraucht werden. Die Wiener Wirtschaftskammer führte eine Bildungsbedarfsanalyse durch, die Stefan Ehrlich-Adam, Spartenobmann der Wiener Industrie und Chef der Sicherheitstechnikfirma Evva, gestern, Mittwoch, präsentierte. Die Kammer befragte 1500 Wiener Unternehmer mit mehr als 100.000 Mitarbeitern, welche Arbeitnehmer sie in den nächsten Jahren suchen und wie sie mit den derzeitigen zufrieden sind.

Die Probleme, die dabei zum Vorschein kamen, sind zum Teil bekannt. Die Unternehmen gaben an, dass die Schulkenntnisse der Lehrstellen-Bewerber nicht ausreichen würden. Laut Analyse sagen 69 Prozent der Unternehmer, dass das Niveau der Bewerber sogar schlechter geworden sei. Im vergangenen Jahr hätten aus diesem Grund 2000 offene Lehrstellen nicht besetzt werden können. Im Dezember 2015 gab es laut AMS etwa 55 offene Friseur-Lehrstellen, 29 offene Restaurantfachmann/frau-Lehrstellen und 29 Lehrstellen zum Zahnarztassistenten standen zur Verfügung.

Mittlere Reife gefordert

Damit die Betriebe zu gebildeteren Lehrlingen kommen, schlägt die Kammer vor, den Pflichtschulabschluss zu reformieren. Statt dem Polytechnikum als 9. Schulstufe, das "ohnehin zur Restschule degradiert wurde", sollte die Politik eine "Mittlere Reife" oder Mindest-Bildungsstandards, die auch eingehalten werden müssten, einführen. Es könne nicht sein, dass sich der Unternehmer mit seinem Lehrling hinsetzen muss, um ihm das Rechnen beizubringen, heißt es.

88 Prozent der Betriebe forderten und förderten Angebote wie "Lehre und Matura" beziehungsweise "Lehre nach der Matura". Das Problem sei akut, da in den nächsten Jahren immer mehr Lehrlinge gebraucht werden würden. Vor allem in dem Bereich Gewerbe und Handwerk. Dort werde der Bedarf in den nächsten fünf Jahren um 33,5 Prozent steigen.

Wie wünschen sich nun die Wiener Unternehmer ihre Arbeitnehmer der Zukunft? Die AHS ist als Abschluss dabei wenig nachgefragt und wenn, dann empfehlen 81 Prozent der Betriebe AHS-Abgängern ein technisches beziehungsweise naturwissenschaftliches Studium. An HTL-Absolventen hingegen gibt es in Zukunft einen zusätzlichen Bedarf, vor allem im Bereich der Elektrotechnik und Maschinenbau. Zwei Drittel der Unternehmen wünschen sich jedoch, dass in der HTL-Ausbildung auch mehr Wirtschaftswissen vermittelt wird.

FH-Absolventen gefragt

Die großen Gewinner sind laut Analyse die Fachhochschul-Absolventen. Dort gibt es laut Wirtschaftskammer den größten Zuwachs. Die Bereiche Technik, Informatik, Medizin und Gesundheit würden nachgefragt werden. Bei der Anzahl an Jobs für FH-Absolventen rechnen die Betriebe in den nächsten Jahren mit einer 15-prozentigen Steigerung. Das Angebot für Jobs für Uni-Absolventen soll hingegen nicht ganz so groß sein. "Wir brauchen nicht mehr Juristen", sagte Spartenobmann Ehrlich-Adam. Wenn schon Uni-Abschluss, dann in den Fachrichtungen Ingenieurwissenschaften, Techniker, Informatik sowie Naturwissenschaften. In den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften und Sozialwissenschaften gibt es laut Wiener Unternehmer bereits jetzt zu viele Absolventen.

Die Wirtschaftskammer forderte weiters einen Ausbau der Ganztagsschulen in Wien. Die Quote für ganztägige Betreuung von 41,4 Prozent sollte auf zumindest 45 Prozent bis zum Jahr 2020 gesteigert werden. 76 Prozent der befragten Unternehmer befürworteten den Ausbau von Ganztagsschulen in Wien. 24 Prozent der Befragten waren dagegen.

Das Unterrichtsfach Wirtschaft sollte bereits in der Volksschule als fixer Bestandteil eingeführt werden. Generell wünscht sich die Wiener Wirtschaftskammer mehr Wirtschaftsbildung an den Wiener Schulen.

Kein Mut für Reform

Zu guter Letzt würden diese von der Wirtschaftskammer geforderten Veränderungen nicht greifen, wenn das Image der Lehrlinge und Fachkräfte nicht verbessert wird. Die Kammer forderte daher einmal mehr einen Imagewandel von Lehre und Facharbeit und verwies auf ihre Kampagne "Mission.Job", mit der der Lehrberuf aufgewertet werden soll. Es seien weniger die Uni-Absolventen, sondern vielmehr die Lehrlinge und Techniker, die in Zukunft gefragt sein würden. 16 Prozent der Betriebe werden laut Analyse in den nächsten Jahren mehr Lehrlinge brauchen als sie heute ausbilden, das heißt die Ausbildungsform ist bei den Betrieben sehr gefragt.

Der Slogan "Karriere mit Lehre" hat damit weiterhin Gültigkeit. Immerhin haben 54 Prozent der Führungskräfte in Wiener Unternehmen einen Lehrabschluss.

Der derzeit auf Bundesebene diskutierten Bildungsreform teilte der Spartenobmann kein gutes Zeugnis aus. Die Bildungsreform existiere nur in Überschriften. "Ja nicht allzu viel verändern" ist laut Ehrlich-Adam das Motto. Es fehle der Mut und die Geschlossenheit auch wirklich etwas verändern zu wollen, sagte er. "Es ist traurig, dass die Zukunft der Jugend auf diesem Altar geopfert wird", so Ehrlich-Adam.