"Lehre mit Matura": Mit neuen Förderprogrammen will Siemens in Wien die Lehrlingsausbildung weiter aufwerten.
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Wien. Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun ist ganz sicher: "Es gibt einen wirklich entscheidenden Grund dafür, dass Industrieunternehmen weiterhin in Wien und Österreich tätig sind, obwohl es anderswo Kostenvorteile gibt: Das ist die gute Ausbildung der Mitarbeiter." Die aktuelle Diskussion um Budgetkürzungen im Schulbereich sieht Hesoun - auch Präsident der Industriellenvereinigung Wien - daher durchaus "besorgt". "Wenn das in Teilbereichen nicht mehr funktioniert, wird sich das für den Standort negativ auswirken."
Aber: "Klagen über das Schulsystem waren noch nie produktiv. Die Unternehmen müssen überlegen, was sie selbst tun können, um das Niveau zu heben." Gemeinsam mit Wiens Finanz- und Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner präsentierte Hesoun am Donnerstag im Siemens-Werk Simmering eine Zwischenbilanz der Aus- und Weiterbildungsinitiativen des Konzerns.
Lehre mit Matura
Siemens sieht sich mit vielen Projekten als "Vorreiter und Maßstab für künftige Entwicklungen am industriellen Ausbildungssektor" - besonders stolz ist man aber auf den Erfolg der im Vorjahr gestarteten "Lehre mit Matura".
"Siemens ermutigt und unterstützt seit 2013 jeden neuen Lehrling in Wien, parallel zur Berufsausbildung die Berufsreifeprüfung zu absolvieren. Wir sind österreichweit das einzige Unternehmen, das ein derartiges Programm für einen ganzen Standort organisiert", so Hesoun.
Im Vorjahr nahmen 17 Lehrlinge teil, heuer sind es bereits 33, denen - zur Hälfte während der Arbeitszeit - ermöglicht wird, an den Vorbereitungskursen zur Berufsreifeprüfung der Volkshochschule (VHS) Floridsdorf teilzunehmen.
Das nützt auch dem Unternehmen: "Die Lehrlinge erreichen Deutsch-, Englisch- und Mathematik-Kenntnisse auf Matura-Niveau. Außerdem erhalten sie eine vertiefende Ausbildung in einem vierten, persönlich gewählten Fachbereich. Eine junge Elektronikerin kann etwa Industrieelektronik belegen, und hat damit das beste Rüstzeug für einen zukünftigen Job". "Karriere mit Lehre" hat bei Siemens übrigens Tradition: Jeder Zehnte in den oberen Management-Ebenen hat als Lehrling im Unternehmen begonnen.
Auch die Gesamtzahl der Lehrlinge ist im Steigen: Im Jahr 2013 fingen in Wien 45 Lehrlinge an, 2014 werden es 57 sein. In ganz Österreich bildet Siemens derzeit rund 500 Lehrlinge aus, heuer im Herbst starten 120 weitere in einen von insgesamt 21 angebotenen Berufen - von Elektrotechnik über Mechatronik und diversen Sparten der Metalltechnik bis Industriekaufmann.
Und -frau, selbstverständlich. Selbstverständlich zumindest bei Siemens, wo man schon seit 1977 mit mehreren - auch preisgekrönten - Initiativen bemüht ist, Mädchen und Frauen in klassische "Männerberufe" zu holen. "Während etwa im Bereich der Städte- und Raumplanung Frauen mittlerweile Fuß gefasst haben, sind die klassischen Ingenieursbereiche, wie Elektrotechnik und Maschinenbau noch immer traditionell den Männern vorbehalten", weiß Hesoun. "Oftmals ist es nicht das mangelnde Interesse an Wissenschaft und Technik, sondern der mangelnde Mut, in männerdominierte Bereiche vorzudringen und Muster aufzubrechen. Uns geht es dabei weder um Image noch um Quoten, sondern um die Tatsache, dass hier viel verborgenes Potenzial liegt, das wir heben wollen", erklärt er die Gründe für das Engagement.
"Als ich 2002 den "Töchtertag" angeregt habe, war Siemens das erste Wiener Unternehmen, das mitmachte", erinnert sich Brauner und lobt die Gleichstellungsinitiativen auch aus Sicht der Wirtschaftsstadträtin: Denn das Potenzial von 50 Prozent der Bevölkerung nicht zu nützen, sei nicht nur unfair, sondern dumm.
Qualifikationsplan 2020
"Wenn wir als Unternehmen über das Thema erfolgreich arbeiten reden, dann reden wir in Wahrheit über Bildung", betonte Hesoun. Wesentlich dabei sei, dass Politik und Wirtschaft auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Siemens unterstützt daher auch den von Brauner initiierten "Qualifikationsplan Wien 2020".
Auch Brauner sieht Bildung als "zentralen Schlüssel zu beruflichem Erfolg, ja sogar überhaupt für ein erfülltes Leben". Auf jeden Fall bekommen besser Qualifizierte viel leichter überhaupt einen Job: "Man muss sich nur vor Augen halten, dass mehr als 50 Prozent der Arbeitslosen Menschen mit keiner weiteren Ausbildung nach der Pflichtschule sind". Wichtigstes Ziel sei es daher, den Anteil von gering qualifizierten Personen deutlich zu verringern, indem "wir ein engmaschiges Netz an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen bereitstellen - die Ausbildungsbetriebe spielen dabei eine zentrale Rolle".
Hilfen - wie den verdoppelten "Bildungstausender" - soll es auch für all jene Lehrlinge geben, die es "nicht geschafft haben, auch noch den zweiten Fuß über die Ziellinie der Ausbildung zu setzen": Immerhin 20 Prozent aller knapp 11.000 insgesamt in Wien 2013 angetretenen Lehrlinge sind bei der Abschlussprüfung durchgefallen - zu viele treten kein zweites Mal an.
Schon stolz auf den Ulf
"Am Anfang war es schon schwer, den Burschen zu beweisen, dass man auch was von Technik versteht": Für Stefanie St. (17), die derzeit in Simmering im dritten Lehrjahr zur Lackiertechnikerin ausgebildet wird, war die ältere Schwester, die sich für einen technischen Beruf entschieden hatte, Anstoß und Mut machendes Vorbild. Mittlerweile fühlt sie sich voll akzeptiert und bereut ihre Berufswahl nicht: "Es ist allein schon ein großartiges Gefühl, am Abend mit der Bim nach Hause zu fahren und zu wissen: An dem Ding habe ich mitgearbeitet."