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Norbert Darabosch, dem studierten Politstrategen und Historiker, in Sachen kurzem Gedächtnis zu widersprechen, mag vermessen klingen. Trotzdem staute sich in mir - nicht zuletzt auch wegen der zahlreichen aufrührenden Wortspenden der Bildungsministerin - ein leichter Groll an, der hinaus will.
Der Name der umstrittenen Neuen Mittelschule führt uns nämlich in eine Zeit zurück, die außerhalb des kurzen Gedächtnisses liegt.
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie und dem Ende des Ersten Weltkrieges mutete Einiges - vor allem in Wien - modern an, wobei modern nicht immer "besser" bedeuten muss.
Auch die Bildungspolitik sah sich mit ernsten Problemen konfrontiert.
Grob gegenübergestellt gab es einerseits zwischen der Volksschule und der Hochschule die Mittelschule, andererseits die Pflichtschulen, nämlich die 8-klassige Volksschule oder nach 4 Klassen Volksschule die Bürgerschule.
Damals wie heute war Bildung auch vom materiellen und ideellen Einsatz der Eltern abhängig. Das war den damaligen SozialdemokratInnen ein Dorn in der viel gerühmten Chancengleichheit.
1919 übernahm mit Otto Glöckel ein Sozialdemokrat die Unterrichtsverwaltung. Zumindest in den eigenen Reihen dürfte Otto Glöckel erfolgreich gewirkt haben. Er wurde 1922 Präsident des Wiener Stadtschulrates, wo 1920 bis 1934 eine umfassende, endgültige Schulreform versucht wurde. Ziel war das Umsetzen der viel bemühten Chancengleichheit. Hochschule sollte nicht mehr über die Mittelschule nur für Reiche erreichbar sein.
Die Schulreform (wie gesagt, die vor 100 Jahren) sah eine vollkommene Demokratisierung vor. Nach vier Jahren Volksschule wechselten alle auf die allgemeine Mittelschule, in der es zwei unterschiedlich anspruchsvolle Klassenzüge geben sollte. Mit individueller Förderung. Nach Bedarf. Für alle Schüler.
In Wien wurden sechs Versuchsschulen (für VersuchsschülerInnen) eingerichtet, in denen sowohl Bürgerschullehrer als auch Mittelschullehrer unterrichteten.
Was davon gehalten wurde und wird, kann sich jede und jeder selbst ausmalen.
Hat die Politik in 100 Jahren nichts dazugelernt? Sind Versuche mit SchülerInnen noch immer der Weisheit letzter Schluss?
Hier sei auf die Vienna International School verwiesen. Diese Privatschule vermittelt rund 1.400 Schülerinnen und Vorschulkinder unstrittig Wissen auf höchstem Niveau. Das jährliche Schuldgeld beträgt pro Kind und Jahr bis zu Euro 17.500,-- Daher können Lehrergehälter zwischen Euro 60.00,-- und Euro 88.000,-- bezahlt werden. Manche Lehrer sollen sogar die 100.000-Euro-Grenze überschreiten. Weil dieses Wissensvermitteln auf höchsten Niveau auch staatlich gewollt wird und gewährleistet werden soll, bekommt die private Vienna International School jährlich Förderungen von
Euro 5 Millionen, die um weitere 2,5 Millionen indirekte Förderungen auf Euro 7,5 Millionen aufgestockt werden. Egal wie förderungsabhängig ein Schüler oder eine Schülerin auch sein, mit diesen Förderungen werden spätere Existenzsorgen von vornherein weggefördert.
Ein schwarzes Bild, das ich nicht so stehen lassen will. Unterricht in öffentlichen Schulen wird immer anspruchsvoller. Weniger für die Schüler, sondern für die Lehrkräfte. Früher verstand ich nie die Etymologie von Lehrkraft. Heute weiß ich, obwohl ich kein Lehrer bin, dass Lehren sehr viel Kraft voraussetzt. Was Kleinverdienerinnen leisten, in der von der Bildungsministerin so oft geschmähten viel zu kurzen Arbeitszeit, ist meiner Meinung ein modernes Heldentum.
Schade finde ich nur, dass es fast ausschließlich dem privaten Engagement dieser Lehrerinnen und nicht dem Wirken der Bildungspolitik zu verdanken sein wird, wenn auch in 100 Jahren ausgelernte Schüler das jämmerliche Versagen der Phrasendrescherei in der Bildungspolitik artikulieren werden können.
Es sei denn, newspeak setzt sich endgültig durch; für Phrasen vollkommen ausreichend. Hierfür genügt ein kurzes Gedächtnis.