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"Bildung soll Hoffnung geben"

Von Barbara Ottawa

Politik

Nach einer Woche ist die Mehrheit der Schüler entschlossen, wieder nach Bosnien oder Kroatien zurückzukehren. "Deutsch ist eine europäische Sprache und sie zu lernen wird uns weiterhelfen", ist einer der Teilnehmer der Sommer-Deutschsprachschule für kroatische und bosnische Stipendiaten des Kroatischen Kulturvereines Napredak überzeugt. Der Leiter des österreichischen Zweiges des Kulturvereines, Filip Zlousic, hofft mit dem Sprachkurs einigen Jugendlichen die Entscheidung zu erleichtern, nicht aus den vom Krieg zerrütteten Gebieten wegzuziehen. "Gute Ausbildung kann Hoffnung geben", sagt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".


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Bereits seit 1995 lädt der österreichische Zweig des Kroatischen Kulturvereins Napredak, das Wort bedeutet Fortschritt, jeden Sommer seine Stipendiaten, Jugendliche aus Bosnien und Kroatien, zum Deutsch-Intensivkurs nach Wien.

Die Teilnehmer sind bunt gemischt, von Maturanten bis Diplomanden. Diesmal sind es 24, die für etwa drei Wochen, vom 15. Juli bis zum 9. August, in Wien ihre Deutschkenntnisse verbessern. "Trotz des ethnischen Namens ist der Kulturverein aber nicht nur für kroatische Schüler offen", erklärt Zlousic. Dennoch sind die geförderten Studenten meist aus Bosnien, oder auch als ehemalige Flüchtlinge bereits in Kroatien eingebürgerte Bosnier. "Ich weiß gar nicht, ob einer davon wirklich in Kroatien geboren ist", überlegt er.

Studenten in Bosnien, etwa aus Sarajevo, Mostar oder Banja Luka, und Kroatien erhalten ein monatliches Stipendium in der Höhe 700 Schilling aus dem Stipendierungsfond von Napredak Österreich. Wenn noch Geld vorhanden ist, werden auch bosnische und kroatische Jugendliche, die in Österreich studieren, gefördert. "Egal, ob sie hier nur wegen der Ausbildung sind oder einen festen Wohnsitz haben", betont Zlousic.

Seit seinem Bestehen hat der Verein insgesamt 50 Stipendien an Studenten "in der Heimat" - wie der Leiter von Napredak Österreich formuliert - vergeben und 20 an in Österreich Studierende. "Allein heuer waren es achtzehn in Bosnien und acht in Österreich. Das war ein gutes Jahr", zeigt sich Zlousic zufrieden.

Der Verein finanziert sich und seine Stipendien aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden - sowohl von Landsleuten als auch von Österreichern. Studenten erhalten manchmal aber auch eine Einzelförderung durch Firmen, die das Potential des Studenten sehen. "Wir suchen nach Partnern, die sich mit unserer Idee identifizieren, die verstehen was für Chancen für die Zukunft in einer solchen Zusammenarbeit liegen", erläutert Zlousic.

Singen als Lernhilfe und Ausdruck der Identität

"Freude schöner Götterfunken" ist ihr Lieblingslied, erzählt Christine Scharrer, eine der Lehrerinnen in der Sommersprachschule. "Ich weiß nicht wieso, aber so ist es und sie können es nicht nur auf Deutsch singen, sondern auch in jeder ihrer Landessprachen", ist nicht nur Scharrer überrascht. Für Zlousic ist es klar: "Das ist die Europahymne."

Insgesamt haben die Teilnehmer des Deutsch-Intensivkurses 90 Unterrichtseinheiten. Sie sind in zwei Gruppen, je nach Grundwissen, geteilt. "Jeder der Teilnehmer muss schon etwas Deutsch gelernt haben. Es wäre zu teuer, sie wirklich von Null weg zu betreuen", erläutert Zlousic.

"Wir haben schon Deutsch gelernt, aber hier ist es besser, weil hier sind wir in einer deutschen Umgebung", erklärt Igor, ein Germanistikstudent aus Tuzla. Scharrer, die betreuende Lehrerin der "schlechteren" Gruppe, meint: "Viele verstehen sehr gut Deutsch, sie konnten aber kaum sprechen."

Auf jeden Fall seien sie alle sehr motiviert, sehr engagiert und der Unterricht gehe gut voran. Gelernt wird nicht nur mit Büchern sondern auch mit Kinderliedern. Einer der Teilnehmer hat sogar seine Bassgeige mitgebracht.

Thomas Bauer, genauso wie seine Kollegin vom Verband der Wiener Volksbildung zur Verfügung gestellt, ist der Betreuer der Fortgeschrittenen. Er gibt Hausaufgaben, ist sehr genau mit der Aussprache und legt großen Wert darauf, dass sie Alltagssprache lernen und nicht "geschwollen reden", wie er es formuliert. Die Lehrer selbst sprechen beide kein Kroatisch. Zlousic sieht darin einen Vorteil. So sind beide Seiten gezwungen alles in Deutsch zu paraphrasieren.

Die deutsche Sprache werde in Bosnien und Kroatien immer weniger unterrichtet. Die internationalen Organisationen bringen Englisch als Umgangssprache mit und so kann sich die Lehrerin in der Anfängergruppe auch manchmal mit dieser Sprache weiter helfen.

Warum Deutsch - Zwischen Geschichte und Europa

"Je mehr Sprachen du sprichst, desto mehr Leben lebst du", zitiert einer der Anfänger wie aus der Pistole geschossen. Viele andere Kursteilnehmer erklären, dass Deutsch eine europäische Sprache ist und es deshalb wichtig und hilfreich ist sie zu lernen.

Für Zlousic, selbst Germanist, gebürtig in Sarajevo, gibt es andere Gründe für Bosnier und Kroaten Deutsch zu lernen: "Die historischen und kulturellen Verbindungen zwischen Österreich und Bosnien-Herzegowina sind sehr stark. Jetzt müssen diese erhalten werden und vor allem wirtschaftliche Beziehungen müssen neu geschaffen werden". Er ist überzeugt, dass die Napredak-Stipendiaten für viele Firmen als Partner am Balkan wertvoll sein können.

Ein großes Problem sei allerdings, dass über 62 Prozent der Jugendlichen aus Bosnien weg will. "Wir wollen helfen, dass sie bleiben und eine Zukunft sehen", betont Zlousic. "Eine gute Ausbildung kann Hoffnung geben." Die älteren anwesenden Schüler zeigen sich mehrheitlich entschlossen in ihre Heimat zurückzukehren. Nur Alexandra eine Dolmetschstudentin aus Bosnien, die auch an der Universität Wien studiert hat, will unbedingt in Österreich bleiben.

In der Anfängergruppe zeigt sich da schon ein anderes Bild, die meisten würden gerne in Österreich oder Deutschland studieren. "Es ist viel schöner als in Bosnien", sagt einer.

Neben dem Unterricht auch soziales Programm

Die Teilnehmer am Deutschintensivkurs sind in einem Heim der Jungarbeiterbewegung in Penzing untergebracht. "Wir zahlen einen Sonderpreis für die Miete", verrät Zlousic.

"Die jungen Leute sollen sich bekannt machen, und auch die Gelegenheit haben, Erfahrungen auszutauschen", so der Leiter von Napredak Österreich. Und dazu haben die Schüler und Studenten in den Wochen, die sie in Wien verbringen, auch reichlich Zeit. Es werden Ausflüge und Besichtigungen organisiert und ein gemeinsames Abendprogramm darf auch nicht fehlen.

"Wir fahren in die Wachau oder verbringen einen Tag im Kunsthistorischen Museum", erzählt ein Schüler. Auch ein Besuch der Universität Wien darf nicht fehlen. "Einige haben in Österreich auch Verwandte oder Bekannte, die sie im Zuge ihres Aufenthalts besuchen können", so Zlousic.

Napredak lädt für die Deutschsommerschule auch kroatisch- oder bosnisch-stämmige Professoren oder Geschäftsleute ein, die über ihre Erfahrungen berichten. Außerdem versucht Zlousic immer Treffen mit Gewerkschaften, Hochschülervertretungen und anderen Vereinen zu organisieren, damit Erfahrungen ausgetauscht werden können. "So sollen Beziehungen zwischen österreichischen Vereinen und ihren Kollegen in Bosnien und Kroatien aufgebaut werden", erklärt er.

Napredak Österreich - Eine Brücke zur "Heimat"

Seit 1995 hat der Kroatische Kulturverein Napredak eine "inhaltliche Filiale" in Wien, formuliert Zlousic. Es ist keine gesetzlich eingerichtetes Büro des Vereines. Das primäre Ziel war die Förderung von Mittelschülern und Studenten. Mit Verbindungen zwischen Österreich, Bosnien-Herzegowina und Kroatien soll den Landsleuten geholfen werden.

Im Verein arbeiten alle ehrenamtlich. Ein Ziel wäre es, eine Bürokraft, zumindest für ein paar Stunden in der Woche, einzustellen aber "das trauen wir uns noch nicht", so Zlousic. Dazu müsse der Verein zuerst noch ein bisschen gestärkt werden und man müsse sich noch etwas "in Professionalität üben". Später wolle man auch die EU miteinbeziehen.

Neben den Deutschkursen bietet Napredak aber auch Kroatischkurse für Österreicher an (Kontaktadresse siehe Infobox). "Die Leute nützen das Angebot aus Liebesgründen, wegen geschäftlicher Verbindungen - etwa im Tourismus - oder einfach weil sie schon jahrelang nach Kroatien auf Urlaub fahren, aber kein Wort der Sprache sprechen", erklärt Zlousic. Napredak veranstaltet auch Podiumsdiskussionen und Buchpräsentationen. "Eine der großen Diskussionen war über die Internationalität von Bosnien-Herzegowina. Wir hatten diverse Historiker eingeladen und es war sehr interessant", erzählt Zlousic.

Jedes Jahr wird ein Benefizkonzert, ein Folkloreabend, gestaltet, dessen Reinerlös in den Stipendienfond von Napredak Österreich fließt. Es gibt aber auch die Möglichkeit einzelne Studenten zu fördern. Letztes Jahr haben zwei Firmen dieses Angebot genützt. Die unterstützten Studenten konnten auch ein Ferialpraktikum bei den Firmen ablegen.

Die Stipendiaten sind Studenten aus Jus, Wirtschaft und Soziologie. Zlousic würde sich wünschen, dass mehr Technikstudenten teilnehmen. Napredak ist immer auf der Suche nach Leuten, die "ein Gefühl für unsere Anliegen haben". Es sei schwierig Geld von "unseren Leuten" aufzutreiben, denn als Zuwanderer führe man eine Art Doppelleben, das auch mehr kostet, erklärt Zlousic.

Das Sparpaket habe sich auch in den Spenden für Napredak niedergeschlagen, aber unter anderen sei die österreichische Bischofskonferenz bisher sehr großzügig gewesen. Von der Wirtschaftskammer erhofft sich Zlousic, dass sie die Chancen für die Zukunft der wirtschaftlichen Beziehungen erkennt, die dieser Verein eröffnet.

Bedanken möchte sich Zlousic auch bei den anderen Spendern, die den Jugendlichen die Stipendien ermöglicht haben. Bei einer Feier für die Sponsoren sollen diese sich selbst ein Bild machen, dass die Jugendlichen trotz des Krieges "normale" junge Leute sind, die in der Zukunft Europas eine wichtige Rolle spielen können.