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Bildung, Steuern: Experten als Nussknacker

Von Clemens Neuhold und Brigitte Pechar

Politik

Acht Verhandlungsteams wollen bis Dezember eine Regierung bilden.


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Wien. Mit den Verhandlungen über die neue Regierung beginnt auch das große Schweigen. Die acht Verhandlungsteams lassen sich verständlicherweise nicht in die Karten schauen. Denn sie wollen möglichst rasch Ergebnisse erzielen und bis Dezember eine Regierung formen. Indiz dafür, dass die Verhandler ihre Zeitvorgabe ernst nehmen: Die Verhandlungsführer Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger lehnen den Vorstoß von Noch-Finanzministerin Maria Fekter ab, ein provisorisches Budget für 2014 zu zimmern. Das bräuchte es für den Fall, dass man über Neujahr hinaus verhandelt. Eile ist also geboten. An der Härte der Nüsse, die zu knacken sind, ändert das aber nichts. Deswegen sind Experten gefragt - die "eigenen" aus den Ministerien, aber auch Experten von außerhalb des Politbetriebs, auf die die Volkspartei verstärkt zurückgreifen möchte. Die "Wiener Zeitung" hat Experten befragt, wie die härtesten Nüsse bei Bildung, Steuern und Staatsfinanzen zu knacken wären.

Die Bildungsnuss

Noch-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, die bereits das Lehrerdienstrecht mitverhandelt hat, und Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer verhandeln ein Schlüsselthema: Bildung. In der SPÖ versucht man seit Otto Glöckel - Initiator der Reformpädagogik der Zwischenkriegszeit, Verfechter der Gesamtschule und Gegner von Bildungsprivilegien - das Konzept von einer gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen umzusetzen. In der ÖVP gab es bis dato massiven Widerstand. Erst am Wochenende erneuerte Seniorenbund-Präsident Andreas Khol seine Abneigung. Kompromissvorschläge aus Expertenhand sind also gefragt.

Gerhard Krassnig, der im Zuge des Spindelegger-Projekts "Unternehmen Österreich 2025" den Arbeitskreis "Bildung und Lernen" leitete, ist überzeugt, dass der Gordische Knoten gelöst werden muss. Er plädiert dafür, die Bildung in der ideologiefreien Zone zu behandeln. "Es muss eine gewisse Bewegung der ÖVP geben. Sonst fällt ihr das irgendwann einmal auf den Kopf", sagte er. Es gehe bei all den Themen Gesamtschule, Ganztagsschule in verschränkter Form nicht um Ideologien. Seine Erfahrung habe gezeigt, dass alle Experten der Meinung seien, dass eine Trennung der Schüler mit zehn Jahren viel zu früh sei. "Das ist eine Tatsache, keine Ideologie", betonte Krassnig. Auch der Abschied vom Frontalunterricht und eine verschränkte Form der Ganztagsschule werde in den Eliteuniversitäten der USA und Englands gepflogen. "Alleine daran sieht man, dass es hier nicht um Ideologie der Kategorie Staat versus Familie geht." Ganz wichtig sei auch Schulautonomie: Direktoren müssten sich ihre Lehrer aussuchen können.

Optimistisch ist Michael Landershammer, Bildungspolitiker der Wirtschaftskammer. Haslauer handle als Rechtsanwalt sehr überlegt. "Wir dürfen halt keine Jahrhundertreform erwarten."

Für Landersthammer sind das Wichtigste die Lehrer. Daher müsse man das Lehrerdienstrecht ordentlich verhandeln - gleichzeitig müsse man den Lehrern Infrastruktur zur Verfügung stellen. Außerdem mahnt er ebenfalls eine Schulautonomie ein.

Auch Bildungsexpertin Christa Koenne, die an der Neugestaltung der Lehrerausbildung beteiligt war, ist "optimistisch, weil alle wissen, dass Handlungsbedarf gegeben ist". Und obwohl der Gesamtschulbefürworter Haslauer die Verhandlungen auf ÖVP-Seite führt, rät sie dazu, das Pferd nicht am Schwanz aufzuzäumen. "Man muss klarlegen: Was sind die Bildungsziele innerhalb der schulpflichtigen Zeit und daraus die Organisation ableiten", sagt Koenne, die selbst jahrelang AHS-Direktorin war. Es könnten alle einer Meinung sein, wenn diese Bildungsziele klar seien. Für das Ende der Pflichtschulzeit rät Koenne zu einem Abschluss mit Eventcharakter, einer Mittleren Reife. Was die AHS betrifft, sagt die Expertin, dass Langformen durchaus Sinn machten - etwa für Sport- und Kunst-AHS. Genau so sieht das auch Haslauer. Nicht ganz unwichtig ist für Koenne die Entscheidung, wo Bildung personell oder ressortmäßig landen wird. Sollte es zum Wissenschaftsministerium von Karlheinz Töchterle wandern, wäre das eine gute Lösung.

Grund für den Optimismus der Experten ist die Entscheidung der ÖVP für Haslauer. Denn Haslauer hatte zuletzt wieder betont: "Im Bildungsbereich muss alles offen diskutiert werden." Wobei er deutlich auf die Meinung der ÖVP-"Westachse" Vorarlberg, Tirol und Salzburg, die entgegen der Linie der Bundespartei für eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen eintritt, verwies.

Die Steuernuss

Das Ob ist kein Streitpunkt mehr zwischen Rot und Schwarz: Die Österreicher sollen weniger Steuern auf ihre Löhne zahlen. Das Wie ist offen: Die Entlastung auf Pump zu finanzieren, geht in Zeiten von Schuldenbremsen und EU-Defizitschranken nicht mehr. Also müssen die Mittel wo anders losgeeist werden. Bisher waren eine neue Vermögensteuer und eine neue Erbschaftssteuer ab einer Freigrenze von einer Million die bevorzugten Quellen der SPÖ. Die ÖVP sagte stets Njet dazu.

Am Montag ging SPÖ-Chef Werner Faymann den ersten Schritt auf den Wunschpartner in der künftigen Regierung zu und sagte, Vermögensteuern sind keine Koalitionsbedingung. Und auch SPÖ-Grande Michael Häupl sagt nun: "Erbschaftssteuern sind nicht so rasend wichtig." Also woher sonst nehmen?

Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Christian Keuschnigg, plädiert für eine radikale Durchforstung sämtlicher Staatsausgaben - von Unternehmensförderungen, über Steuerbefreiungen bis hin zu Sozialleistungen. "In Ländern wie den Niederlanden und Schweden wurden im Zuge einer Verzichtsplanung sämtliche Posten durchgekämmt und dann nach einer Dringlichkeitsordnung gereiht: Was brauchen wir, was wollen wir als Staat und was hat geringere Priorität."

Mit dem, was die Regierung durch einen solchen Verzicht auf gewisse Ausgaben reinholt, könne sie die Steuern 1:1 senken. Und die international hohe Steuerquote könne sinken, was dem Standort hilft.

Für den IHS-Chef ist klar, dass mehr Geld in Forschung und Entwicklung fließen müsse, auf der anderen Seite seien vergünstigte Mehrwertsteuersätze, der Verzicht auf Studiengebühren oder gewisse Familienförderungen nicht treffsicher. Oft seien solche Steuerzuckerl sozial begründet, profitieren würden aber auch jene, die sie nicht brauchen. Selbst die Begünstigung des 13. und 14. Gehalts könnte gezielter umgeschichtet werden. Um den Widerstand von einzelnen Lobbys zu brechen, dürfte man "keinen Bereich schonen", sagt Keuschnigg und verweist auf den Rechnungshof, der den Ausgabendschungel der Republik wiederholt kritisch durchforstet hat.

Für Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) muss zu allererst ein Kassasturz kommen. Wenn dann Spielraum für eine Steuersenkung da ist, plädiert sie anders als Keuschnigg sehr wohl für eine Gegenfinanzierung über neue Steuern. Von einer Vermögensteuer hält sie nichts, da diese wegen des Bankgeheimnisses schlecht durchsetzbar und international sowieso ein Auslaufmodell sei. Sie plädiert für eine Erbschaftssteuer und eine Anhebung der Grundsteuer. Noch wichtiger sind aus ihrer Sicht aber Ökosteuern, weil diese einen starken Lenkungseffekt haben. Bei der Anhebung der Mineralölsteuer oder einer neuen CO2-Steuer habe Österreich noch Spielraum. In die eierlegende Wollmilchsau "Verwaltungsreform" sollte man aus ihrer Sicht keine so großen Erwartungen stecken. Denn was dort gespart wird, brauch die neue Regierung für Zukunftsausgaben in Bildung, Forschung und Entwicklung.

Die Budgetnuss

Gemeinsam mit der Steuernuss muss die Budgetnuss geknackt werden, oder anders gesagt: das Nulldefizit 2016. Anders als früher können die Vorgaben der EU nicht mehr einfach vom Tisch gewischt werden. Leicht wird es aber nicht. Denn die verstaatlichten Problembanken Hypo Alpe Adria, Kommunalkredit und Volksbanken (teilverstaatlicht) könnten den Budgetplan um Milliarden sprengen. Auch die bereits eingeplante Finanztransaktionssteuer dürfte ausfallen. 2014 sorgt Liechtenstein für Abhilfe. Das Steuerabkommen mit dem Fürstentum spült das Geld reuiger Steuersünder in die österreichischen Kassen. Aber wie werden dann die Lücken gefüllt? Womöglich kann sich die Regierung es dann gar nicht mehr leisten, auf die eine oder andere Expertenmeinung zu verzichten.