Studie: Österreich bei Hochschulzugang auf dem letzten Platz. | Soziologe Manfred Prisching: "Wursteln gehört zum System." | Wien. Nach welchen Mechanismen werden heute Schulen und Hochschulen gelenkt? Wie weit reicht die Autonomie, die im letzten Jahrzehnt lautstark den Bildungseinrichtungen gewährt - oder (auch so sehen es viele) "aufgezwungen" - wurde? Wer trägt wofür Verantwortung? Welche Aufgaben hat die Politik, welche die Institution, welche das Individuum? Mit diesen Fragen befasste sich am Montag und Dienstag in Wien unter dem sperrigen Titel "Governance in Schule und Hochschule" ein Workshop der Arge Bildung und Ausbildung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.
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Bei Governance geht es, so Lothar Zechlin vom Zentrum für Hochschul- und Qualitätsentwicklung der Universität Duisburg-Essen, in einer Kurzdefinition um das "Management von Interdependenzen", letztlich also um ein Sich-Abstimmen aller Betroffenen zu einer wirksamen Steuerung des Bildungs- und Wissenschaftsbetriebes.
Dass dabei in Österreich, aber nicht nur dort, im Bereich von Schule und Hochschule heute etliches gar nicht bewusst gesteuert wird, sondern einfach "passiert", war bei der Veranstaltung nicht zu überhören. Früher habe der Staat alles verordnet und geregelt, später setzten viele auf den Markt und den freien Wettbewerb, beides habe nicht wirklich funktioniert, erläuterte der Grazer Soziologe Manfred Prisching. Aus Gesprächen mit Praktikern leitet er ab, dass zum Beispiel die Matura in Österreich nur in etwa 30 Prozent der Fälle exakt nach den vorgesehenen Regeln ablaufe. International können Länder, die vorpreschen, etwa beim Hochschulzugang, andere unter Zugzwang setzen. Macht zum Beispiel ein Land einen Numerus clausus, müssen das die anderen nachmachen, wollen sie nicht in Schwierigkeiten geraten.
Auf nationaler Ebene habe sich das Ministerium von der Weisungsspitze zur Supervisionsinstanz entwickelt, die Politik könne nicht mehr rechtlich, sondern nur noch finanziell steuern, was, so Prisching, einen begrenzten Spielraum bedeute, wenn man nicht "große Brocken" an Geld hergebe. Zu einem großen Teil regiere im Hochschulwesen der Bluff, resümierte der Grazer Soziologe: "Wursteln gehört zum System."
Lothar Zechlin warf die Frage auf, "ob wir nicht heute Musterbeispiele von Reformfassaden vor uns haben" und im Grunde alte Muster weiterleben, eine These, die die Wiener Philosophin Elisabeth Nemeth bestätigte: "Es wird unglaublich viel auf Ebenen entschieden, die angeblich gar nicht existieren."
Möglicherweise scheitere das Management an den Hochschulen daran, "weil der eine nicht steuern kann und der andere nicht gesteuert werden will". Im Machtspiel der Rektorate, Uni-Räte und Senate seien die Senate jetzt abgewertet, aber wo es ihnen möglich sei, gelte: "Das Imperium schlägt zurück."
Als "krasse Ausnahme" in Europa wertet Sigrun Nickel vom deutschen Centre for Higher Education Development in Gütersloh das Fehlen von Zugangsregelungen und Studienplatzbewirtschaftung an den Universitäten in Österreich. Damit landet die Alpenrepublik in einer noch nicht veröffentlichten Studie über die Steuerung von Hochschulsystemen in 33 europäischen Ländern an letzter Stelle. Nickel zitierte eine Abhandlung von 1986, wonach den Leitungskräften einer Universität "ein hohes Maß an vernünftiger Verrücktheit" abverlangt sei.
Ein Beispiel, wie unausgegoren manche neue Gesetze sind, lieferte Marlies Krainz-Dürr, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kärnten. Ein Paragraf räumt dem Rektor, ein anderer dem Hochschulrat das Recht ein, Institutsleiter einzusetzen. Auf Anfrage im Ministerium, wer nun das Recht habe, kam die Antwort: "Beide." Und auf die Nachfrage der Rektorin, was passiere, wenn sich die beiden nicht einig seien, hieß es: "Schauen Sie, dass das nicht vorkommt."
"Wettbewerb in einer Kultur des Vertrauens"
Der Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel, Organisatorin der Tagung, war es ein Anliegen, einmal sowohl das Schulwesen als auch Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen an einen Tisch zu bringen. Sie bemängelte, dass im Schulsystem nach der Volksschule selektioniert werde, während der Uni-Zugang weitgehend offen sei.
Vertreter der Schulen kritisierten, dass mit der Einführung von Autonomie eine Flut von Kontrollen, eine wahre "Qualitätsbürokratie", eingesetzt habe. Damit werde in Finnland sehr sparsam umgegangen, betonte dagegen Esko Poikela, Schuldirektor im Pisa-Musterland. Hans Weder, langjähriger Rektor der Universität Zürich, verwies auf seine Erfahrung, dass Vertrauen und Wertschätzung entscheidender für den Erfolg seien als ständige Kontrollen. Christiane Spiel redete am Ende für den Bildungsbereich einem "Wettbewerb in einer Kultur des Vertrauens" das Wort.