"WZ"-Interview mit Bildungsministerin. | Scharfe Kritik an SPÖ-Bildungspolitik. | Konzentration auf Deutschkurse für Ausländerkinder. | Wien. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer ist sich sicher: "Die Bildungspolitik wird ein wichtiger Bestandteil des Wahlkampfes sein." Im Gegensatz zur ÖVP vertrete die SPÖ im Programm "Startklar" die Meinung, allein durch Neuorganisation der Schule könne die Qualität der Schule gefördert werden. "Das ist falsch. Sogar die Zukunftskommission sagt: 80 Prozent des Erfolgs der Schule hängt von den Lehrern und Lehrerinnen ab. Die Organisation trägt höchstens 10 bis 15 Prozent zu Veränderungen bei. Und wenn man weiß, was eine Umorganisation kostet und für Unsicherheiten mit sich bringt, stellt sich die Frage: Steht das dafür?"
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Wenn daran gedacht werde, Hauptschulen und AHS-Unterstufen zusammenzulegen oder berufsbildende Schulen mit AHS-Oberstufen zu verknüpfen, so sei sie "strikt dagegen". Aussagen, wonach man alles "modulartig" anbieten solle, hält Gehrer "für eine gefährliche Drohung". Zweite Differenz zur SPÖ sei der Leistungsgedanke: "Wenn ich sage, dass ich nur mehr freiwillig eine Klasse wiederholen kann, dann kann jeder mit einer beliebigen Zahl von Fünfern aufsteigen." Man solle Klassenwiederholungen möglichst reduzieren, aber so suggeriere man: Leistung hat keinen Stellenwert. "Man soll auch denen, die sich schwerer tun, das Gefühl geben: Ich leiste etwas."
Zu den umstrittenen Materien gehört auch die neue Quotenregelung für Mediziner, die laut Gehrer von heimischen Europarechtlern wie dem Innsbrucker Walter Obwexer als EU-konform bewertet wird. Sie entspreche den Werten, die der EuGH beurteilt: Mobilität und Nichtdiskriminierung: "Wir haben uns redlichst bemüht, eine Regelung zu finden. Dass 20 Prozent der Studienplätze Studierenden aus anderen europäischen Ländern vorbehalten sind, ist enorm, das gibt es sonst in keinem anderen Land."
Hart kritisiert Gehrer hier die SPÖ: "Kollege Gusenbauer hat gesagt, wir sollten die alte Regelung einführen und uns wieder klagen lassen. Das tun wir nicht. Ich finde es sehr bedauerlich und unverständlich, dass die SPÖ im Bundesrat diese Regelung beeinsprucht hat. Wie kann ich beeinspruchen, dass 80 Prozent der Studienplätze in Medizin denen zur Verfügung stehen, die ein österreichisches Maturazeugnis haben? Das ist doch nicht im Sinn der jungen Leute. Jetzt besteht wieder Unsicherheit, und wir müssen einen Beharrungsbeschluss im Parlament fassen. Hinter vorgehaltener Hand sagt mir jeder, diese Regelung ist vernünftig."
Zum Begehren etlicher Rektoren, sich Studierende aussuchen zu können, verweist Gehrer auf den Wert freier Hochschulzugang, den es aber nicht überall gebe, "nicht in der Kunst, nicht in der Musik, nicht im Sport". Wenn sich die Unis in Zukunft zumindest die PhD-Studierenden aussuchen wollen, werde man darüber "die Diskussion ernsthaft führen müssen".
Gibt es Bemühungen, die Initiatoren des "Institute for Science and Technology Austria" (Ista) in Gugging wieder ins Boot zu holen? Für Gehrer ist "die Geschichte sehr einfach". Man habe die Gruppe arbeiten lassen, ihre Vorschläge aufgegriffen, viel Geld zur Umsetzung herbeigeschafft. Dann hätten sich einige zurückgezogen, ihr Mittun sei aber willkommen:
"Anton Zeilinger ist im Prinzip der Vater dieses Projektes, die Türe für ihn ist jederzeit offen, es ist seine Entscheidung, ob er wieder hereinkommen will." Sie sieht das Projekt auf einem guten Weg: "Ich glaube, dass das eine sehr große Erfolgsgeschichte wird."
Die Hektik um die jüngst angelaufenen Tests für die nächste Pisa-Studie ist Gehrer unverständlich, sie sei nirgends so vorhanden wie in Österreich. Das sei ein alle drei Jahre stattfindender Test mit einem bestimmten Schwerpunkt: "Er sagt nichts über Schulqualität aus oder ob sich Kinder an Schulen wohlfühlen."
Für Kinder nichtdeutscher Muttersprache leiste der Bund mehr als er müsste: "Wir haben die Möglichkeit geschaffen für Deutschkurse im Kindergarten und dass man Kinder in der 1. Klasse für Kurse herausnimmt. Einwanderer müssen möglichst schnell sprechen lernen. Sprache ist der erste Schritt, irgendwo daheim zu sein."
Gehrer ist bewusst, dass vor allem Wiener Pflichtschulen Probleme haben, denn es gibt Viertel mit sehr hohem Ausländeranteil und entsprechend zusammengesetzten Schulklassen: "Ich plädiere dafür, dass man an diesen Standorten spezielle Modelle entwickelt und alle Hilfen dorthin gibt. Die Wiener Zuständigen für das Pflichtschulwesen - der Stadtschulrat und Vizebürgermeisterin Grete Laska - sollten alle Kräfte dort konzentrieren und mit der neuen Pädagogischen Hochschule Modellprojekte entwickeln: Wie unterrichtet man diese Kinder, damit sie bei uns Heimat finden? Ich weiß nicht, ob das geschieht."
Die Gewalt an den Schulen will Gehrer mit allen Mitteln reduzieren: "Es geht um Hinschauen statt Wegschauen. Wenn Lehrer etwas bemerken, sollten sie sich nicht zu gut sein, Hilfe zu holen: den Direktor, Schulpsychologen, Mediatoren. Kinder, die gewalttätig sind, erfahren oft daheim selbst Gewalt, hier muss man das Jugendamt einschalten. Man kann das nicht tolerieren. Keine Toleranz gegenüber Gewalt. Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Schüler zu Mediatoren auszubilden."
Auch nach elf Jahren im Bildungsressort denkt Gehrer nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen: "Glücklich ist ein Mensch dann, wenn er ein Ziel erreicht und das nächste schon vor Augen hat." Ihr Ziel ist, die in ihrem Ressort eingeleiteten Maßnahmen noch umzusetzen, insbesondere das Projekt der Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten. "Es ist eine Sensation, dass die Universitäten auf drei Jahre wissen, über wie viel Geld sie verfügen können, das gibt es sonst in ganz Europa nicht."