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Bildungshunger

Von Reinhard Göweil

Leitartikel

Österreich möchte gerne die Akademikerquote erhöhen. Doch anstatt vielleicht über neue Universitäts-Standorte nachzudenken, wird überlegt, wie Knock-out-Prüfungen an den bestehenden organisiert werden könnten. Den Weg zur Matura wollen einige ÖVP-Landeshauptleute gänzlich selber organisieren, sogar das Wort "Standortwettbewerb" der Schulen (gemeint sind die Länder) fiel.


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Wie beim Asyl versinkt auch im Schulbereich viel Hausverstand im Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern. Dass die Lehrer - auch wenn sie das nicht gerne hören - länger in der Klasse stehen, um Kapazität freizuschaufeln, auf dass in schwierigeren Klassen mit mehreren Lehrern unterrichtet werden kann, wird nicht mehr diskutiert.

Der Politik ist der Bildungshunger abhanden gekommen, die letzte wirkliche Reformerin im Ministeramt war Hertha Firnberg nach 1970.

Bildung wird derzeit gerne unter dem Postulat der Effizienz diskutiert. Die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer haben natürlich Interesse, dass sie gute (breiter gebildete) Facharbeiter und Akademiker bekommen. Bildung ist aber eine gesellschaftliche Aufgabe - eine ihrer höchsten, wenn nicht die höchste.

Die Zahl der Eltern, die über Schule und Lehrer schimpfen, steigt. Die Zahl der Studierenden, die gegen unwürdige Studien-Bedingungen protestieren, ebenfalls. Österreich aber diskutiert, ob die Länder oder der Bund die Lehrer einstellen darf. Bürgermeister versuchen, per Verordnung ihre Schule im Ort vollzukriegen, aber sie fragen nicht, ob nicht vielleicht die Schule schlecht ist. Über die Autonomie der Schule diskutiert niemand.

Eine Umfrage des Sora-Instituts unter Wiener Jugendlichen hat ergeben, dass die Zustimmung zur FPÖ steigt, je geringer deren Bildung ist. Bildung ist für Demokratien auch Selbstschutz. Auch dies diskutiert niemand.

Erst wenn die Regierung erkennt, dass der Bund-Länder-Lehrerstreit oder Studiengebühren bloß Randthemen in der Bildungsdebatte sind, kann sich etwas zum Positiven verändern. Bildung muss aus den Klauen der Parteipolitik und der Lehrergewerkschaft befreit werden. Es wäre wahrlich hoch an der Zeit, dass die Politik wieder selbst Bildungs-Hunger verspürt.