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Bildungsoffensive in Ungarn

Von Peter Stiegnitz, Budapest

Politik

Die ungarische Jugend profitiert von einer "explodierenden" Bildungsoffensive: Sie arbeitet gerne, denkt innovativ und verdient, gemessen an den eher bescheidenen durchschnittlichen Einkommensverhältnissen der Magyaren, sehr gut.


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"Endlich ist es so weit, dass man auch an uns denkt; und nicht nur an Geschäft und Gewinn ." Antal Broz, ein Arbeiterrentner in der westungarischen Stadt Györ, der als Vorstandsmitglied eines Ungarndeutschen-Clubs seine Heimatstadt auch manchmal als "Raab" bezeichnet, ist zufrieden. Nicht nur mit seiner auch für ungarische Verhältnisse eher ansehnlichen Rente von 60.000 Forint (rund 250 Euro), sondern damit, dass sein 23-jähriger Enkel, ein so genannter "pályakezdö" (wörtlich: "Laufbahnbeginner") mit zusätzlicher Hilfe aus dem Staatssäckel rechnen kann.

Der Bildungs- und Wissenschaftsausschuss des Parlaments hat schon Ende November 2004 eine verstärkte Hilfe nicht nur für "Laufbahnbeginner" beschlossen, sondern auch für Frauen, die nach der Karenz wieder in den Beruf einsteigen wollen, und für Arbeitnehmer über 50.

Antal Broz ist froh, dass auch sein älterer Enkel, der voriges Jahr die Technische Universität in Budapest absolvierte, relativ schnell einen Job mit gutem Anfangsgehalt fand.

Die Statistiker geben dem glücklichen Großvater Recht. Absolventen der Technischen Universitäten können in Ungarn mit einem Durchschnittseinkommen von 240.000 Forint (1.000 Euro) rechnen. In der Studiendirektion der Budapester Universität für Technik und Wirtschaft wurde unter Leitung von Direktor Gábor Veres eine interessante Studie erstellt. Die Absolventen müssen durchschnittlich nicht länger als 2,5 Monate auf ihren ersten Arbeitsplatz warten. Trotz der relativ guten Anfangsgehälter von umgerechnet 1000 Euro ist die Fluktuation unter den jungen Ingenieuren groß: 7 Prozent der TU-Absolventen arbeiten innerhalb von zwei Jahren bereits am siebten Arbeitsplatz, 30 Prozent haben den zweiten Job, 63 Prozent haben in den ersten beiden Jahren noch keinen Arbeitsplatz gewechselt.

Zufriedene Jugend

Die ungarische Jugend, soweit man hier verallgemeinern kann, arbeitet gerne, denkt innovativ und verdient, für die eher bescheidenen Einkommensverhältnisse der Magyaren, sehr gut. So können manche Juristen mit Zusatzausbildung (Wirtschaft und Fremdsprachen) mit einem Anfangsgehalt von 300.000 Forint (1.250 Euro) rechnen. Das ist für Ungarn ein sensationeller Beginn.

Das Budapester Institut "Hay Group" hat im Vorjahr die berufliche Einstiegssituation junger Akademiker untersucht. Dabei wurden elf Unternehmen und über 100 Berufseinsteiger befragt. "Den größten Bedarf", so der Hay-Group-Experte Tamás Hettinger, "melden die Maschinenbauer und Energieunternehmen. Diese zahlen auch die höchsten Anfangsgehälter."

Junge Angestellte in der Administration, wie zum Beispiel Buchhalter und Lohnverrechner, deren Arbeit auch in Ungarn immer mehr von Computern übernommen wird, können nur mit eher bescheidenen Anfangseinkommen von mit höchstens 140.000 Forint (580 Euro) rechnen.

Relativ gut verdienen in Ungarn nicht nur junge TU-Absolventen, sondern auch Facharbeiter - und das Dank des dualen Ausbildungssystems, das vor zehn Jahren österreichischen und deutschen Beispielen folgend eingeführt wurde. Zufrieden zeigte sich auch Tamás Bihall, Leiter des Kollegs der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK), mit der extrem praxisorientierten Ausbildung. 70 Prozent der jungen Facharbeiter und Techniker, letztere mit Matura, finden bereits im ersten Jahr einen guten Arbeitsplatz.

Im Gegensatz zum guten Ausbildungsniveau der heutigen ungarischen Jugend registrieren die DUIHK-Experten was ältere Arbeitnehmer anlangt, eine relativ mangelhafte Fachkompetenz. So sind fast 90 Prozent aller ungarischen Betriebe mit den durchschnittlichen Kenntnissen ihrer Mitarbeiter eher unzufrieden. Vor allem die fehlenden Fremdsprachenkenntnisse und mangelnde Bereitschaft, neue EDV-Systeme zu erlernen, verursachen diesen Betrieben erhebliche Schwierigkeiten. Groß ist die Diskrepanz zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern in Ungarn. "Während die älteren", so eine leitende Mitarbeiterin des ungarischen Arbeitsministeriums, "Arbeiter und Angestellten ihre Minderqualifikation sogar 'nationalpolitisch' entschuldigen ('Wir leben hier in Ungarn, wo es genügen muss, wenn man Ungarisch spricht .!'), zeigen sich die Jungen aufgeschlossen und lernbegierig." So drängen selbst nach über einem Jahrzehnt der "freien" Universitäten immer mehr junge Menschen, vor allem Mädchen, in die "höchsten Schulen" des Landes.

"Berufsglück" im Westen

Die ungarische Bildungsoffensive scheint zu "explodieren". Unabhängig von späteren Chancen drängt ein Gutteil der ungarischen Jugend zur Weiterbildung und das auf allen Ebenen. Fachlich gut gerüstet, mit entsprechenden Fremdsprachen- und EDV-Kenntnissen, sucht ein nicht unbeträchtlicher Teil der Mittel- und Hochschulabsolventen sein "berufliches Glück", wenn auch nur für eine gewisse Zeit, im westlichen Ausland. An einen längeren Aufenthalt im Ausland oder gar eine Auswanderung denkt kein ungarischer Jugendlicher mehr, man bleibt im Herzen immer ein "stolzer Ungar".

Einige Zahlen

In Ungarn gibt es gegenwärtig 2,5 Mio. Kinder und Jugendliche. Darunter sind 1,2 Mio. Kindergarten- und Pflichtschulbesucher. 250.000 Jugendliche sind Fachmittelschüler. 30.000-40.000 Schüler legen jährlich die Facharbeiterprüfung ab. Knapp 200.000 Schüler besuchen die Mittelschulen. 400.000 Studenten lernen an den Hochschulen und Universitäten.