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Billig - um jeden Preis

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Wirtschaft

Kritik auch an brisanten Arbeitsverhältnissen: Ryanair dementiert.


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London. Reicht es noch bis zur Landung? Irgendwann muss diese Frage am 14. Mai 2010 auch den Piloten des Flugs RY9ZC von Stansted (London) nach Alicante gekommen sein. Immerhin sahen sie sich gezwungen, per Notruf die Kollegen "am Boden" in Spanien zu alarmieren. Ihre Mayday-Meldung galt der Sorge, dass ihre Maschine nicht genug Treibstoff mitführte, um es bei weiterer Verzögerung zur Landebahn - in Valencia - zu schaffen.

Verursacht worden war die Krise durch widrige Winde. Nach zwei vergeblichen Landeversuchen in Alicante entschieden sich der 27-jährige Kapitän des Ryanair-Flugs und sein 22-jähriger Kopilot für ein Ausweichen nach Valencia. Nur hatten sie so wenig Sprit an Bord, dass der Umweg sie in ernste Schwierigkeiten brachte. Am Ende landeten sie mit einem Treibstoff-Rest für 30 Minuten Flugzeit. Wären die Flugbedingungen zu Beginn der Reise nicht so günstig gewesen, und wäre die Maschine nicht relativ unbefrachtet gestartet, wäre es noch knapper ausgegangen. Dann hätte Flug RY9ZC gerade noch Treibstoff für 15 Minuten gehabt.

Der Untersuchungsbericht der spanischen Zivilflug-Kommission Ciaiac zu diesem Vorfall ist inzwischen veröffentlicht worden - zusammen mit Untersuchungen zu gleich drei neuen Vorfällen dieser Art im vorigen Jahr über Spanien. Drei Ryanair-Maschinen befanden sich nämlich im Laufe des gleichen Tages, des 26. Juli 2012, auf dem Weg nach Madrid. Dabei kam es ebenfalls zu einer vom Wetter erzwungenen Umleitung nach Valencia und zu drei Mayday-Rufen. Keine halbe Stunde länger hätten diese Flüge dauern dürfen. Sonst hätten sie böse geendet.

Bei Ryanair ist man sich freilich keiner Schuld bewusst. "Es gibt ja", erklärt das Unternehmen, "keine Minimumanforderung betreffend verbliebener Treibstoffmenge bei der Landung einer Maschine." Nur für den Start gebe es ein vorkalkuliertes Mindestmaß. Und an das halte man sich ganz ordnungsgemäß. Die Entscheidung über Extrareserven liege dann beim jeweiligen Flugkapitän: "Und wir halten unsere Piloten durchaus dazu an, zusätzlichen Treibstoff mitzunehmen - falls sie ihn brauchen."

Begründen müssen Ryanair-Piloten jedenfalls gegenüber der Firmenleitung, wenn sie sich übers absolute Minimum hinaus eindecken wollen. Und wie der Londoner "Independent" diese Woche berichtete, haben "interne Memos" der vergangenen Jahre den Verdacht aufkommen lassen, dass Ryanair seine Piloten drängt, nur so viel Treibstoff zu tanken, wie "operationell" wirklich benötigt wird. Der irische Pilotenverband beschuldigt Ryanair sogar, in dieser Frage Druck auf seine Piloten auszuüben. Diese Beschuldigung hat Ryanair-Boss Michael O’Leary verärgert als "üble Lüge" zurück gewiesen.

Das Gebot der Langsamkeit

Grund für Zurückhaltung beim Tanken gäbe es natürlich. Eine Maschine mit weniger Gewicht verbraucht während des Flugs weniger Treibstoff. Da Ryanairs aktuelle Betriebskosten zurzeit fast zur Hälfte Treibstoffkosten sind, sucht der an allen Ecken und Enden sparende "Billigflieger" auch in diesem Bereich so gut es geht Kosten zu senken.

Darum sind Ryanair-Piloten in diesem Sommer zum Beispiel aufgefordert worden, "ein bisschen langsamer" als früher zu fliegen. Zwei Minuten mehr Flugzeit pro Flug sollen, auf die ganze Flotte berechnet, knapp 100 Millionen Euro im Jahr einsparen helfen. Auch die weitere Reduktion schweren Gepäcks, durch hohe Gebühren, soll den Spritverbrauch senken helfen.

Routinemäßiges Geizen beim Füllen des Tankes wird allerdings neuerdings als Sicherheitsproblem betrachtet. Aus Geldgründen nur mit minimalen Reserven zu starten, wie es Ryanair tue, werde künftig zu immer mehr gefährlichen Situationen bei der Landung führen, hat die spanische Flugbehörde schon gewarnt. Falls andere Fluggesellschaften aus Konkurrenzgründen diesem Beispiel folgten, müssten Flughäfen allerorten sich auf "simultane Hilferufe wegen Treibstoffmangels in Notsituationen" einstellen.

Fliegende Ich-AGs?

Nicht nur an dieser Front ist Ryanair jetzt erneut ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Eine Gruppe von Piloten hat auch bemängelt, dass die irische Fluggesellschaft versuche, immer mehr Piloten als Selbständige und nicht als Betriebsangehörige an sich zu binden. Die Betreffenden müssten sich verpflichten, lediglich für Ryanair zu fliegen. Sie würden aber nur für die Arbeit bezahlt, die ihnen jeweils zugeteilt werde. Uniformen, Kosten für die Anreise zum Flughafen und Hotelunterkunft hätten sie aus eigener Tasche zu bezahlen.

Ryanair hat diese Vorwürfe als "ungenau oder falsch" bezeichnet. Den Unterzeichnern eines Beschwerdebriefs an die irische Flugaufsicht hat das Unternehmen aber mit prompter Entlassung gedroht. Der Flugexperte David Learmount von der Zeitschrift "Flight International" beschuldigte die Fluggesellschaft daraufhin, sie setze ihre Piloten "wie ein Kriegsherr seine Söldner" ein. Vor allem das Prinzip der Bezahlung pro geleistete Arbeitsstunde beeinträchtige die Sicherheit von Flügen. Man müsse befürchten, dass Piloten auch dann zur Arbeit anträten, wenn sie "nicht vollkommen auf dem Damm", also etwa krank und eingeschränkt leistungsfähig wären.

Bittere Klagen

Auch aus den Reihen des Kabinenpersonals sind diesen Sommer wieder bittere Klagen laut geworden. Eine Ex-Stewardess aus Liverpool, Sophie Growcoot, hat über ihre örtliche Unterhaus-Abgeordnete Luciana Berger Ryanair an den Pranger gestellt. Growcoot berichtete, sie habe drei Monate "unbezahlten Urlaub" pro Jahr akzeptieren müssen, in diesem Zeitraum aber für niemand anderen arbeiten dürfen. Bezahlt worden sei sie nur für die Zeit, die sie "in der Luft" war - nicht für die Zeit zwischen zwei Flügen oder für die Zeit, die sie wegen Flugverspätungen oder infolge der Streichung von Flügen im Flughafen herumsaß. Einmal sei sie um vier Uhr morgens angerufen und zum Flughafen beordert worden. Weil es um diese Uhrzeit keine öffentlichen Verkehrsmittel gab, musste sie aus eigener Tasche ein Taxi bezahlen. Am Flughafen wurde ihr jedoch mitgeteilt, der Flug sei wieder gestrichen worden, weil sich nicht genug Passagiere fanden. Danach sei sie wieder heimgeschickt worden, ohne alle Bezahlung, "und ohne ein Wort der Entschuldigung".

Klagen wie die von Sophie Growcoot weist Ryanair ebenfalls entschieden von sich. "Diese Person", meint man bei Ryanair, sei gar nicht bei Ryanair angestellt gewesen, sondern bei einer ganz anderen Firma, und zwar bei Crewlink Ltd. Nun ist Crewlink Ltd jenes Unternehmen, von dem Ryanair sein Kabinenpersonal bezieht. Und Luciana Berger, die von Sophie Growcoot alarmierte Labour-Parlamentarierin, hat beider Firmen Geschäftspraxis "die reinste Ausbeutung" genannt. Die junge, ehemalige Stewardess soll nämlich auch gezwungen worden sein, 400 Euro für ihre Ryanair-Uniform aufzubringen. Und darüber hinaus die Kosten für einen obligatorischen Sicherheitskurs um 2000 Euro selbst zu begleichen.