Immer mehr Firmen lassen im Gefängnis produzieren. In Deutschland gibt es bereits eine Gefangenen-Gewerkschaft.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien/Berlin. Häftlinge haben ein Interesse, im Gefängnis zu arbeiten. Sei es, um einen Beruf zu erlernen, etwas Geld zu verdienen oder mit dem Lohn Angehörige draußen zu unterstützen. Arbeit ist auch ein wichtiger Teil des Resozialisierungsprinzips im Justizvollzug. Doch die klassische Vorstellung des Häftlings, der in der Wäscherei arbeitet, entspricht nicht mehr der Realität. Die Insassen in Österreichs Gefängnissen arbeiten nicht mehr nur in systemerhaltenden Betrieben, sondern zunehmend auch in eigenen Werkstätten, die von externen Firmen und Privatpersonen beauftragt werden können - zu weitaus schlechteren Konditionen, als dies am normalen Arbeitsmarkt der Fall wäre.
Die Justiz wirbt offensiv mit der Produktionsmöglichkeit im Gefängnis. Auf der Webseite des Justizministeriums justiz.gv.at ist etwa zu lesen: "Der Vorteil für Sie als Unternehmer besteht darin, dass hoch motivierte Arbeitskräfte sofort zur Verfügung stehen und bei einem derartigen Beschäftigungsverhältnis der Arbeitgeberbeitrag für die Sozialversicherung bei den Lohnkosten entfällt." Kein Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Einzahlung in die Pensionskassen. Sind die Resozialisierungsmaßnahmen also Arbeit oder Ausbeutung?
Im Mai 2014 gründete Oliver Rast, ehemaliges Mitglied einer linksradikalen militanten Gruppe, in der deutschen Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel eine Häftlings-Gewerkschaft. Mit großem Erfolg: In den wenigen Monaten seit der Gründung sind der "Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation" (GG/BO) bereits 850 Häftlinge in 70 Haftanstalten beigetreten. Das zentrale Ziel: Anerkennung des Arbeitnehmer-Status für arbeitende Inhaftierte, Anspruch auf den deutschen Mindestlohn, Einzahlung in die Pensionskassen. Am Donnerstag stellte Rast sein Modell im Wiener ÖGB-Verlag vor. Er ist zuversichtlich, dass auch in Österreich eine Gefangenen-Gewerkschaft nach deutschem Vorbild entstehen kann.
Unternehmen profitieren
Rast war wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Während des Vollzugs begann er sich zunehmend mit dem zu beschäftigen, was er als "Sonderwirtschaftszone Gefängnis" bezeichnet. Etwa 150 Millionen Euro wären 2013 mit der Arbeit hinter Gittern erwirtschaftet worden. Rund 45.000 der 65.000 in Deutschland Inhaftierten arbeiten in Gefängnis-Betrieben oder tagsüber während des Freigangs. Immer mehr Betriebe würden auf Arbeitskräfte hinter Gittern zurückgreifen. Das sei nicht nur für das Justizsystem, sondern vor allem für die Firmen und Konzerne ein gutes Geschäft. Speziell in den sogenannten "Unternehmerbetrieben" arbeiten Häftlinge in der Produktion für externe Firmen, diese sparen sich gegenüber dem freien Arbeitsmarkt nicht nur die Lohnnebenkosten, sondern zahlen Gehälter weit unter dem Mindestlohn.
75 Prozent Lohnabzug
Von rein resozialisierender Tätigkeit könne längst keine Rede mehr sein, so Rast. Im Zuge der rasanten Entwicklung des Niedriglohnsektors würden die Haftanstalten zusehends normalen Produktionsbetrieben gleichen. Produktionsbetriebe, deren Beschäftigten selbst ein Minimum an sozialrechtlichen Standards vorenthalten würde. In Österreich arbeiten zwischen 70 und 80 Prozent der mehr als 10.000 Inhaftierten - interne Lehr- und Arbeitsbetriebe sowie Freigänger zusammengerechnet, weiß der Sprecher der Generaldirektion für den Justizvollzug, General Josef Schmoll.
Arbeitende Häftlinge müssen in Österreich zwei Drittel ihres Lohns an die Justiz abgeben, haben aber immerhin nach Haftentlassung Anspruch auf Arbeitslosengeld. Welche Firmen wie viel in den Gefängnissen produzieren lassen, unterliege den Datenschutzbestimmungen und sei nicht öffentlich, sagte Schmoll. Die Palette reiche von "einfachen Fertigungsarbeiten" bis zu höher qualifizierter Tätigkeit.