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Bin Laden ist nur noch Inspiration

Von Georg Friesenbichler

Politik

Zellen operieren in einzelnen Regionen meist autonom. | Kaum Einfluss auf US-Wahlkampf. | Wien. Ausgerechnet kurz vor den Zwischenwahlen in den USA ist die Al Kaida wieder höchst aktiv. Kaum wurden Bombenbestandteile in aus dem Jemen stammenden Frachtgut entdeckt, schlug der irakische Zweig in der Hauptstadt Bagdad zu. | Bomben sollten vielleicht schon im Flugzeug explodieren | Blutiges Geiseldrama im Irak


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Und ein Selbstmordanschlag in Istanbul wird von der türkischen Regierung zwar der kurdischen PKK zugerechnet, diese weist den Vorwurf aber vehement zurück. In der Vergangenheit waren Al-Kaida-Ableger auch in der Türkei aktiv.

Man könnte dieses Zusammentreffen für eine Strategie halten, um in letzter Sekunde den Wahlkampf in den USA (siehe Seite 5) zu beeinflussen. Dagegen spricht, dass die konkurrierenden US-Parteien die Terrorbedrohung kaum zum Thema machen, aber auch, dass die Attentäter offensichtlich höchst unterschiedliche Ziele treffen wollten. Im Irak ging es um Gesinnungsgenossen im Land selbst und in Ägypten. Die jemenitischen Bomben sollten sich laut ersten Erkenntnissen hingegen gegen westliche Ziele richten.

Schon diese Umstände verweisen darauf, dass das sogenannte Terrornetzwerk keineswegs gut koordiniert agiert. Seit die Al Kaida am 11. September 2001 mit Terrorangriffen auf die USA ihr mächtigstes Lebenszeichen von sich gab, haben sich ihre Strukturen grundlegend gewandelt: Ihr Führer Osama bin Laden ist nicht mehr Kommandeur, sondern dient bestenfalls noch der Inspiration.

In Afghanistan, wo bin Laden möglicherweise heute noch lebt, spielen sie laut US-Geheimdiensten im Kampf der Taliban gegen die Zentralregierung kaum noch eine Rolle. Anderswo hingegen haben sich neue Gruppen gebildet, die sich zwar zu den Zielen Osamas bekennen, aber kaum von ihm gesteuert sind. Dazu gehört etwa die Gruppe, die sich heute Al-Kaida des islamischen Maghreb nennt und aus algerischen Islamisten hervorgegangen ist. Sie fällt vor allem durch Entführung und Lösegelderpressung von ausländischen Touristen auf.

Sonderfall Jemen

Im Irak hat die Al Kaida durch die US-Invasion 2003 zunächst gewaltigen Auftrieb erhalten, wurde aber durch eine neue Taktik der USA zurückgedrängt, die sunnitische Stammesfürsten zu Verbündeten im Kampf gegen Al Kaida machte. In jüngster Zeit gibt es allerdings Hinweise darauf, dass einstige Gefolgsleute der Al Kaida wieder in ihre Reihen zurückkehren, weil sie von den Versprechungen der Amerikaner enttäuscht sind und ihnen die Terrorgruppe lukrativere Angebote macht.

Ein besonderer Fall ist der Jemen. Hier wurde Osama bin Ladens Vater geboren, ehe er sich in Saudi-Arabien als Geschäftsmann etablierte, hier schloss der Sohn nach seinem Einsatz in Afghanistan Anfang der 90er-Jahren ein islamistisches Bündnis mit lokalen Rebellen. Er baute seine Vision eines weltumspannenden Gottesstaates aller islamischen Länder aus, aber der Kampf gegen das saudische Königshaus blieb ihm immer zentrales Anliegen. Die saudische Regierung ging ihrerseits radikal gegen Al-Kaida-Kämpfer vor, die alsbald wieder auf den Nordjemen auswichen. In den unzugänglichen Bergregionen findet die so gebildete "Al Kaida auf der arabischen Halbinsel" ideale Bedingungen vor, sowohl was die Verstecke als auch was die Ausbildungslager betrifft. Die USA unterstützen in den letzten Monaten massiv den Kampf der schwachen Zentralregierung gegen die Terroristen. Das wiederum bringt die Regierung in Misskredit bei der eigenen muslimischen Bevölkerung, weil der Westen als Feind angesehen wird - und Al Kaida gewinnt neue Rekruten.

Ähnliches gilt übrigens auch für das vom Jemen nur durch den Golf von Aden getrennte Somalia, wo Islamisten und kriminelle Banden den Großteil des Landes beherrschen. Auch diesen Staat betrachten die USA als Basis für Al Kaida. Diese Zuordnung erscheint allerdings vielen Experten als fragwürdig. Auch in Tschetschenien oder in der chinesischen Xiangiang-Provinz sehen die dortigen Regierung aus innenpolitischen Gründen Al Kaida am Werk. Mit bin Ladens Netzwerk, das westliche Geheimdienste als Dachverband autonom operierender Zellen beurteilen, haben diese Islamisten aber meist gar nichts zu tun.