Lyon. Interpol sieht nach dem Tod von Osama bin Laden eine erhöhte Terrorgefahr in der Welt. Die internationale Polizeiorganisation forderte deshalb am Montag "besondere Maßnahmen der Wachsamkeit". "Den meistgesuchten Terroristen der Welt gibt es nicht mehr, aber der Tod bin Ladens bedeutet nicht das Verschwinden der Organisationen, die Al-Kaida angegliedert oder davon inspiriert sind", teilte Interpol-Chef Ronald Noble in Lyon mit.
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Der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus müsse deshalb weitergehen, forderte Noble. Die Polizeibehörden in den 188 Staaten, die zu Interpol gehören, seien in höchster Alarmbereitschaft vor möglichen Vergeltungsschlägen der Al-Kaida. Erst vergangene Woche waren bei einem Anschlag im marokkanischen Marrakesch, hinter dem Al-Kaida vermutet wird, 16 Menschen gestorben.
Obama warnt vor Angriffen
In seiner Rede an die Nation bezeichnete US-Präsident den Tod Bin Ladens zwar als bisher größten Erfolg der USA im Kampf gegen Al-Kaida. Zugleich warnte er aber, dass die Organisation weitere Angriffe vorbereiten werde. Daran gebe es "keinen Zweifel", sagte Obama. "Wir müssen und wir werden zu Hause und im Ausland wachsam bleiben." Ähnliche Warnungen gaben auch andere westliche Regierungen aus.
So waren auch bereits am Montag im Internet Drohungen radikaler Islamisten zu lesen. So kommentierte ein Nutzer die Bilder jubelnder Menschen in den USA mit den Worten: "Feiert die Nachricht (vom Tod Bin Ladens) soviel ihr wollt, Ungläubige. Denn ihr habt hienieden nur wenig Zeit, um es zu tun". Auch die radikalislamischen Taliban drohten mit Anschlägen in Pakistan und den USA.
Aufspaltung Al-Kaidas
Experten gehen allerdings davon aus, dass sich mit dem Tod Bin Ladens die Aufspaltung von Al-Kaida beschleunigen wird. Al-Kaida habe jetzt ein "Zentrum" in Pakistan, im Irak einen auf Angriffe gegen Schiiten ausgerichteten sunnitischen Zweig und einen jemenitisch dominierten Ableger auf der arabischen Halbinsel, sagt Jean-Pierre Filiu, Professor an der Pariser Politik-Kaderschmiede Sciences Po und Autor eines Buchs über Al-Kaida. Die Gruppe Al-Kaida im islamischen Maghreb (Aqmi) wiederum habe sich zwar mit ihren Beziehungen zu dem Saudi-Araber Bin Laden gebrüstet, sei aber schon zu dessen Lebenszeiten als größtenteils eigenständige Organisation gesehen worden.
Die bisherige Nummer zwei von Al-Kaida, der Ägypter Ayman al Zawahiri, werde nicht in der Lage sein, seinen Willen in ähnlicher Weise innerhalb des Terrornetzwerks durchzusetzen, wie dies Bin Laden gelungen sei, sagt Filiu voraus. Ähnlich sieht es der französische Anti-Terror-Richter Marc Trevidic. Bin Laden sei als ideologischer Anführer "als einziger in der Lage gewesen, die vielen disparaten Gruppen in aller Welt zusammenzuhalten". Deshalb sei seine Tötung ein "sehr schwerer Schlag" für Al-Kaida.
Gerade um zu beweisen, dass sie durch den Tod ihres Chefs nicht paralysiert sei, werde Al-Kaida allerdings wieder zuschlagen, ist sich Frank Faulkner, Terrorismusexperte an der britischen Universität Derby, sicher. Er hält Vergeltungsschläge für unvermeidlich. Die Frage sei lediglich, wann und wo. Al-Kaida werde zwar nicht sofort zuschlagen. Aber die Gruppe wolle beweisen, dass sie noch über genügend Schlagkraft verfüge, "um ihre Feinde anzugreifen".
Angst vor Vergeltung
Zuvor hatten die USA bereits ihre diplomatischen Vertretungen in aller Welt in Alarmbereitschaft versetzt. Grund ist die Befürchtung, dass Terroristen Vergeltungsanschläge verüben könnten. US-Amerikaner in Staaten, "in denen die Tötung Bin Ladens Gewalt auslösen könnte", wurden in einer weltweiten Reisewarnung aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben. (APA/AFP)
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