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Bin Ladens Schüler wüten in Timbuktu

Von Michael Schmölzer und Alexander U. Mathé

Politik

Islamisten zerstören Weltkulturerbe vollständig.


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Bamako/Juba/Ouagadougou. In ganz Afrika geht die Angst um vor einem neuen, riesigen Konfliktherd in der Sahelzone. Seit Islamisten im Norden Malis Fuß gefasst haben, besteht die Gefahr eines Flächenbrandes, der weite Landstriche mit Terror überzieht. Die Menschen sind auf der Flucht, mehr als 200.000 suchen Schutz in den angrenzenden Staaten. In Mali selbst haben 155.000 ihr Heim verlassen, es spielen sich dramatische Szenen ab. Die Menschen versuchen, den mörderischen Kämpfen zu entkommen, die sich zwischen den Rebellengruppen - islamistischen und säkularen - abspielen.

Die islamistischen Gruppen Ansar Dine (Kämpfer des Glaubens), die Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika (Mujao) und die Al-Kaida im afrikanischen Maghreb bedrohen die Stabilität der gesamten Region, die Gefahr eines Afghanistan in Afrika wächst. Der Vergleich mit den Taliban ist nicht zufällig gewählt. Wie die Gotteskrieger am Hindukusch zerstören die Islamisten Kulturgüter von unvorstellbarem Wert. 2001 ließen auch die Taliban von den weltberühmten Buddha-Statuen im Tal von Bamiyan wenig übrig. Die in Stein gehauenen Figuren wurden in die Luft gesprengt, weil sie in den Augen der Islamisten unzulässige Konkurrenz zu Allah darstellten. Ein ähnliches Zerstörungswerk vollendeten die Islamisten jetzt zum Entsetzen der Welt in Timbuktu, einer Stadt, die zum UN-Weltkulturerbe zählt.

Mit Spitzhacken und Meißeln wurden Grabstätten islamischer Heiliger zerstört, gestern, Dienstag, haben die Fanatiker zwei Mausoleen der großen Djingareyber-Moschee geschleift, wie Augenzeugen berichten. Die "heilige Tür" der Sidi-Yahia-Moschee wurde bereits einige Tage zuvor zertrümmert. Alle Manifestationen des Volksislam, so die Fanatiker, müssten dem weichen, was sie für den "echten Islam" halten. Die Verehrung von Heiligen gilt den Fundamentalisten als gotteslästerlich.

Islamisten in Mali und Taliban sind ähnlich

Es gibt schon lange niemanden mehr, der den Islamisten Malis in den Arm fällt. Soldaten der regulären Armee haben sich längst aus dem Gebiet zurückgezogen, in der Hauptstadt Bamako muss die Regierung hilflos mitansehen, wie der Norden immer mehr in Anarchie und Gewalt versinkt.

Dass Ansar Dine und Taliban Brüder im Geiste sind, zeigt sich auch in ganz anderen Bereichen. Die afrikanischen Extremisten ließen "Ungläubige" auspeitschen, Alkohol, Zigaretten, Musik und Filmvorführungen sind verboten. Für Aufsehen und Empörung sorgten Videos, die zeigen, wie ein junges Paar in Timbuktu Stockhiebe erhält, weil es ein Kind hat, ohne verheiratet zu sein. Zeugen der Szene sind hunderte Schaulustige.

Libyscher Bürgerkrieg löst Instabilität aus

Die Wurzel der Tragödie in Mali liegt knapp ein Jahr zurück und ist im libyschen Bürgerkrieg zu suchen. Als die Niederlage Muammar Gaddafis unaufhaltsam näher rückte, strömten die Söldner des Diktators zurück in ihre Heimat in der Sahelzone. Bereits in den späten 1970er Jahren rekrutierte Gaddafi Soldaten aus dem Norden Malis und Nigers. Der libysche Diktator unterstützte auch mehr oder wenig offen Rebellionen in der Sahelzone. Bestes Beispiel war die Krisenregion Darfur. Gleichzeitig zwang er verfeindeten Parteien in der Zone aber auch Friedensvereinbarungen auf. Mit dem Tod Gaddafis fiel schließlich ein dominierender Faktor in der Region weg.

Die Söldner in Diensten Gaddafis - meist Tuareg-Nomaden - brachten schwere Waffen und zahllose Maschinengewehre aus libyschen Beständen nach Mali, begannen einen Aufstand gegen die Zentralregierung und zogen gemeinsam mit den Islamisten gegen die reguläre Armee. Die anfängliche Allianz zwischen Tuareg und Islamisten hielt aber nicht lange. Die Grenzen zwischen beiden Gruppen sind zwar fließend (so ist der Anführer von Ansar Dinar ein Tuareg), dennoch brachen Kämpfe zwischen ihnen aus, die ideologischen Gegensätze waren zu groß.

Die Tuareg sind seither auf dem Rückzug, geschlagen gibt man sich nicht. Die Kämpfe sind gnadenlos und haben Konsequenzen für die Zivilbevölkerung, die bei weitem noch nicht absehbar sind. Während die Islamisten ganz Mali unter ihre Kontrolle bekommen und überall die Scharia in ihrer striktesten Form einführen wollen, geht es bei den Tuareg "nur" um die Erfüllung eines alten Traums vom unabhängigen Land im Norden.

Doch das allein weckt schon Befürchtungen, auch die Tuareg könnten Lust auf mehr, auf einen großen eigenen Staat haben. Schließlich leben Angehörige des Nomaden-Stammes auch in Burkina Faso, Mauretanien, Algerien und Nigeria. In Niger stellen die Tuareg gar die große Mehrheit der Bevölkerung. Delikat für manchen westlichen Analysten ist, dabei, dass Niger der weltweit fünftgrößte Uranproduzent ist und acht Prozent am Weltmarkt hält.

Doch in Niger ist die Situation anders. Rebellische Tuareg haben hier zum Teil hohe Regierungspositionen inne. Zwei ihrer Anführer, Rhissa ag Boula und Aghali Alambo, die auch in Diensten Gaddafis standen, wurden zu Beratern des Präsidenten. Als solche war es ihre Aufgabe, die Destabilisierung des Nordens, das Einzugsgebiet nigrischer Söldner aus Libyen, zu verhindern. So verurteilte denn Niger auch die einseitige Unabhängigkeitserklärung von Nordmali.

Dass Mali der Unsicherheitsfaktor in der Region schlechthin ist, ist unbestritten. Boden-Luft-Raketen aus dem Fundus Gaddafis, Separatisten mit Anhängern in Nachbarländern und sogar lateinamerikanische Drogenbosse, die über ihren Umschlagplatz Guinea Bissau Routen nach Europa benötigen, lassen die Befürchtung aufkommen, Mali könnte sich zu einer neuen Terrorismus-Hochburg entwickeln.

Das internationale Interesse, die Situation unter Kontrolle zu bekommen, wächst. Bis zum 31. Juli müsse eine Regierung der nationalen Einheit in Mali gebildet werden, forderte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas. Sie bereitet eine 3000 Mann starke Interventionstruppe für Mali vor. Dazu ist jedoch noch die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates erforderlich. Seit ungefähr sechs Jahren haben die USA bereits militärische Trainingsprogramme in Mali verstärkt. Westliche Länder, allen voran Deutschland, bilden Sahel-Task-Forces.

Jacques Attali, Berater des verstorbenen französischen Präsidenten François Mitterrand, mahnt zu schnellem Handeln. Denn die Sezession Nordmalis unter dem Namen "Azawad" könnte eine Situation schaffen, die noch viel gefährlicher als Afghanistan sei und die ganze Sahel-Region ins Chaos stürzen könne.