Zum Hauptinhalt springen

Bio, aber tödlich

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Wenn sich populistische Politiker der Impfgegner annehmen, droht ernsthafte Gefahr für Leib und Leben - vor allem der Kinder.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wenn nicht alles täuscht, wird im nahenden EU-Wahlkampf ein eher neuartiges, nicht unproblematisches politisches Phänomen zu beobachten sein: der "Bio-Populismus". Darunter ist freilich nicht, wie man meinen könnte, ein besonders naturnaher oder vor allem in den bevorzugten Wohngebieten des Bobo-Milieus angesiedelter Populismus gemeint. Sondern: die besonders brisante Verbindung aus Impfskepsis, einer generellen Technikfeindlichkeit sowie einer diffusen Angst vor dem Hereinströmen fremder Krankheiten und dem Bemühen, daraus Wählerstimmen zu generieren.

"Bio-Populismus" - eine Wortschöpfung des Londoner Magazins "Economist" - arbeitet also wie jeder andere Populismus auch, indem er weitgehend irrationale Ängste als Grundlage seines Geschäftes benutzt. Besonders die immer zahlreicher werdenden Impfgegner in Europa bieten dieser Schule des zeitgenössischen Populismus einen perfekten Nährboden, da praktisch alle traditionellen Parteien aus Vernunftgründen Impfen für eine Notwendigkeit halten. Der Bio-Populist hingegen bietet seiner Klientel an, das Impfen, vor allem der Kinder, zu einer Privatsache zu machen wie das regelmäßige Haareschneiden.

Als Erstes erkannt hat diese politische Marktlücke der Italiener Beppe Grillo, Gründer der heute mitregierenden "Fünf-Sterne-Bewegung", und später Lega-Chef Matteo Salvini, der Impfungen für "sinnlos und in vielen Fällen gefährlich, wenn nicht gar schädlich" hält und deshalb die Impfpflicht abschaffen will. Auch Marine Le Pens "Rassemblement National" in Frankreich appelliert gerne an die Emotionen der Impfgegner, ebenso wie die deutsche AfD. Sie alle wollen, ebenso wie die FPÖ, ausschließlich den Eltern überlassen, ob und wogegen Kinder geimpft werden sollen; eine Impfpflicht gegen bestimmte Krankheiten lehnen sie ab.

Dabei ist wenigstens der FPÖ-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein zugutezuhalten, dass sie das Thema nicht populistisch urbar macht, sondern die "leider vorhandene Impfskepsis" für ein Problem hält. Und was für ein Problem. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mangelnde Impfbereitschaft erst jüngst zu einer der zehn wichtigsten Gesundheitsgefahren der Welt erklärt. Sie stellt die schlechten Impfquoten damit auf eine Stufe mit der Schreckensseuche Ebola, der Antibiotikaresistenz, der Übergewichts-Epidemie und der globalen Luftverschmutzung. Mit der Folge, dass gefährliche Krankheiten, die eigentlich schon fast besiegt schienen, wieder zu einem bisweilen letalen Problem werden. Im ersten Halbjahr 2018 etwa erkrankten in der EU 41.000 Menschen an Masern, im ganzen Jahr 2017 waren es noch 24.000 und 2016 gar nur 5273 gewesen.

Das Problem dabei: Impfungen gegen extrem ansteckende Seuchen wie Masern bieten nur dann der gesamten Population Schutz, wenn mindestens 95 Prozent geimpft sind. Wer seine Kinder nicht impfen lässt, gefährdet damit nicht nur deren Gesundheit, sondern auch das Wohlergehen anderer Menschen. Was fehlt, ist nicht ein bio-populistischer EU-Wahlkampf, sondern eine ernsthafte wissenschaftliche Evaluierung der Frage, ob Eltern wirklich das Recht haben sollen, das Leben ihrer und anderer Kinder wegen irgendwelcher esoterischen Spinnereien aufs Spiel zu setzen. Seinen Kindern den Unterricht zu verweigern, ist ja schließlich mit gutem Grunde auch kein Recht der Eltern.