Forscher bauen an einer Organoiden Intelligenz, die von menschlichen Zellen angetrieben wird.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Künstliche Intelligenz (KI) könnte sich künftig zur Organoiden Intelligenz (OI) weiterentwickeln. Forscher der Johns Hopkins University in Baltimore haben genau das im Sinn. Sie wollen einen Biocomputer entwickeln, der von Millionen menschlicher Zellen angetrieben wird und die Leistung siliziumbasierter Computer knacken könnte und das noch dazu energieeffizienter. Als biologische Hardware dienen dreidimensionale Gehirnorganoide, die im Labor gezüchtet werden.
Die KI kann bereits auf beeindruckende Leistungen verweisen - von der Diagnose medizinischer Erkrankungen bis hin zum Verfassen von Gedichten. Dennoch ist das ursprüngliche Modell - nämlich das menschliche Gehirn - den Maschinen nach wie vor in vielerlei Hinsicht überlegen. Deshalb können wir etwa mit trivialen Bildtests im Internet unsere Menschlichkeit unter Beweis stellen. Was wäre, wenn wir, anstatt zu versuchen, die KI gehirnähnlicher zu machen, direkt zur Quelle gehen würden?, fragen sich die Wissenschafter.
Sie wollen ein hocheffizientes System entwickeln, das Probleme lösen kann, die für digitale Computer unerreichbar sind. Zudem soll eine solche OI die Entwicklung in der medizinischen Forschung unterstützen. Dazu werden aus menschlichen Stammzellen gezüchtete Hirnorganoide mit technischem Equipment verbunden und durch maschinelles Lernen, Big Data und anderen Techniken trainiert.
Besser im Lernen
Hirnorganoide sind im Labor gezüchtete dreidimensionale Kulturen von Gehirnzellen. Obwohl es sich dabei nicht um "Mini-Gehirne" handelt, haben sie wichtige Aspekte der Gehirnfunktion und -struktur gemeinsam. So zum Beispiel Neuronen und andere Zellen, die für kognitive Funktionen wie Lernen und Gedächtnis wichtig sind. Genau das ist von großer Bedeutung. Denn: "Während siliziumbasierte Computer sicherlich besser mit Zahlen umgehen können, sind Gehirne besser im Lernen", erklärt Thomas Hartung von der Johns Hopkins University in der im Fachblatt "Frontiers in Science" publizierten Arbeit. So wurde etwa AlphaGo, jene KI, die im Jahr 2017 die weltbesten Go-Spieler besiegte, mit Daten aus 160.000 Spielen trainiert. Ein Mensch müsste mehr als 175 Jahre lang fünf Stunden am Tag spielen, um so viele Spiele zu erleben.
Dennoch ist das Gehirn in anderer Hinsicht überlegen. Denn "wir stoßen an die physikalischen Grenzen von Siliziumcomputern, weil wir nicht mehr Transistoren in einen winzigen Chip packen können. Aber das Gehirn ist völlig anders verdrahtet. Es hat etwa 100 Milliarden Neuronen, die über 1.015 Verbindungspunkte miteinander verknüpft. Das ist ein enormer Leistungsunterschied im Vergleich zu unserer heutigen Technologie", erklärt der Forscher.
Die derzeitigen Organoide müssten für die KI noch vergrößert werden. Parallel dazu entwickeln die Forscher auch Technologien, um mit der biologischen Hardware zu kommunizieren - das heißt, ihr Informationen zu senden und auszulesen, was sie "denkt".
Medizin und Ethik
Ein Einsatzgebiet sehen die Forscher auch in der Medizin. OI könnte helfen, neurologische Erkrankungen zu verhindern und zu behandeln, heißt es in der Studie. "Wir könnten etwa die Gedächtnisbildung in Organoiden von gesunden Menschen und von Alzheimer-Patienten vergleichen und versuchen, die Defizite zu beheben. Wir könnten OI auch nutzen, um zu testen, ob bestimmte Substanzen, wie etwa Pestizide, Gedächtnis- oder Lernprobleme verursachen", so Hartung.
Die Entwicklung der Organoiden Intelligenz zu einer kommerziellen Technologie könnte noch Jahrzehnte dauern, räumen die Forscher ein. Denn es gibt auch ethische Bedenken, eine Intelligenz zu entwickeln, die lernen, sich erinnern und mit ihrer Umgebung interagieren kann. Und die sogar ein rudimentäres Bewusstsein entwickeln könnte.