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Biodiversität als Wirtschaftsfaktor

Von Henrik Pontzen

Gastkommentare
Henrik Pontzen leitet den Bereich ESG (Environment-, Social- und Governance-Anlagekriterien) im Portfoliomanagement von Union Investment.
© Union Investment

Die meisten Konzerne haben keine Konzepte gegen Artensterben und Abholzung in ihren Lieferketten.


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Die UN-Weltnaturkonferenz in Montreal hat ein Zeichen für den weltweiten Artenschutz gesetzt. Die Staatengemeinschaft konnte sich auf ambitionierte Ziele zum Erhalt der Biodiversität einigen. Die Entscheidung hat vielfältige Konsequenzen, auch für Anleger. Denn wer bei Biodiversität nur an Umweltschutz denkt, liegt falsch. Das Artensterben wird ebenso wie der Klimawandel zu einem wachsenden wirtschaftlichen Risiko. Trotzdem sind bei Unternehmen effektive Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt bisher selten, wie eine Befragung von 56 Konzernen durch Union Investment zeigt. Das Thema wird aber bei Investoren künftig häufiger auf der Agenda stehen: Biodiversität wird aufgrund ihrer ökonomischen Bedeutung auch im Risikomanagement relevant.

In Bezug auf Biodiversität gibt es bisher kaum gesetzliche Vorgaben. Erst seit etwa einem Jahr existiert in der EU der Entwurf einer Verordnung über "abholzungsfreie Produkte". Konkret geht es bei der jüngst vom EU-Parlament verschärften, aber noch nicht rechtskräftigen Regelung um Soja, Palmöl, Rindfleisch, Holz, Kakao und Kaffee. Unternehmen sollen unter anderem nachweisen, dass Lieferanten Produkte oder deren Inhaltsstoffe nicht auf frisch abgeholzten Flächen gewonnen haben. Denn die Rodung von Wäldern zur Gewinnung neuer landwirtschaftlicher Flächen, aber auch die geänderte Nutzung von zuvor schon bewirtschafteten Böden - Stichwort Monokulturen - sind der Hauptgrund für den Verlust an Biodiversität. In den Tropen stehen laut einer WWF-Analyse etwa 80 Prozent der Abholzungen mit der Erzeugung der sechs oben genannten Agrarrohstoffe in Zusammenhang. Abgesehen von Reputationsrisiken steigt die Wahrscheinlichkeit, dass durch Biodiversitätsverluste bestimmte Rohstoffe knapper werden und damit Geschäftsmodelle gefährdet sind. So könnten mittel- bis langfristig Agrarerträge sinken, weil es immer weniger bestäubende Insekten gibt.

Die ersten Erkenntnisse aus der Befragung von 56 Firmen wie Nestlé, Kraft Heinz, Danone, Kellogg, Coca-Cola, Beiersdorf, Henkel, Unilever oder Procter & Gamble sind ernüchternd. Etwa die Hälfte der angeschriebenen Unternehmen hat trotz Erinnerung bisher nicht reagiert. Die Antworten der übrigen zeigen, dass der Status quo meist unzureichend ist. Von den antwortenden Unternehmen haben nur etwa zwei Drittel ein Regelwerk zu "abholzungsfreien Produkten". Und nur etwa bei der Hälfte ist dieses umfassend (alle Regionen, alle Rohstoffe, gesamte Lieferkette). Die jeweilige Praxisrelevanz bleibt mangels detaillierten Reportings häufig offen.

Die meisten Unternehmen des Agrar- und Lebensmittelbereichs sowie Produzenten von Pflegeprodukten sind also auf Regulierungsmaßnahmen im Bereich Biodiversität und Abholzung schlecht vorbereitet. Das zentrale Problem ist, dass die Lieferketten nicht ausreichend kontrolliert werden. Investoren könnten sich nun Unternehmen zuwenden, die einen direkten Beitrag zum Artenschutz leisten. Häufig sind das weniger bekannte Firmen. Die Ergebnisse der 15. Weltnaturkonferenz dürften dazu beigetragen, deren Geschäftsmodelle für Investoren attraktiver zu machen.