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Biologische Invasionen

Von Heiner Boberski

Wissen
FloraHolland ist der weltgrößte Vermarkter für Pflanzen. Der internationale Zierpflanzen-Handel ist ein wesentlicher Motor biologischer Invasionen. Foto: Montserrat Vilà

Wiener Biologen über Kollateraleffekt der Globalisierung. | Ökonomischer Entwicklungsgrad bestimmt das Risiko. | Wien. Gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten - Neobiota genannt - breiten sich dank Wirtschaftswachstum und Globalisierung aus. Doch die ökologischen und ökonomischen Langzeitwirkungen werden noch unterschätzt. Diese Erkenntnisse hält ein internationales Forscher-Team unter der Leitung der Wiener Ökologen Stefan Dullinger von der Universität Wien und Franz Essl vom Umweltbundesamt im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America" (Pnas) fest.


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Essl und Dullinger sehen die biologischen Invasionen als Kollateraleffekte der ökonomischen Entwicklung an, deren Ausmaß erst mit jahrzehntelanger Verspätung in vollem Umfang erkennbar wird. Die heutige Verbreitung gebietsfremder Arten sei noch stark durch die sozio-ökonomischen Bedingungen von 1900 beeinflusst - etwa die Verkehrswege und den Handel. Essl empfiehlt daher, rasch zu handeln: "Eine effiziente EU-Strategie zur Bekämpfung biologischer Invasionen muss nicht nur Arten umfassen, die in Europa bereits zum Problem geworden sind, sondern auch jene, die sich auf anderen Kontinenten invasionsartig ausbreiten, sich in Europa aber derzeit noch unauffällig verhalten oder fehlen."

Das gleiche Forscherteam hatte schon vor einem halben Jahr in "Pnas" aufgezeigt, dass Bevölkerungswachstum und steigender Wohlstand in Europa mit der Ausbreitung gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten einhergehen. Mit welcher Intensität und Frequenz Neobiota eingeschleppt werden und in welchem Tempo sie sich ausbreiten, wird von der ökonomischen Entwicklung eines Landes beeinflusst.

Für die jüngste Studie wurden sozioökonomische Daten aus den Jahren 1900 und 2000 sowie Daten zum aktuellen Stand der Verbreitung gebietsfremder Arten in 28 europäischen Ländern analysiert. Das überraschende Ergebnis: Die Anzahl gebietsfremder Arten in diesen 28 Ländern lässt sich besser mit sozioökonomischen Daten von 1900 als mit heutigen erklären.

Milliarden-Schäden

"Offenbar reagiert die Natur mit deutlicher Verzögerung, und unser Handeln heute hat Auswirkungen auf biologische Invasionen auch in 50 bis 100 Jahren", interpretiert Essl die Resultate. Die neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Langzeitrisiko von biologischen Invasionen bisher unterschätzt wurde.

Gebietsfremde Arten können Ökosysteme beeinträchtigen und ökonomische Schäden verursachen. So leiden nun zum Beispiel Allergiker unter den hochallergenen Pollen der aus Nordamerika stammenden Beifuß-Ambrosie, und amerikanische Signalkrebse haben die heimischen Flusskrebse durch Übertragung der Krebspest an den Rand der Ausrottung gebracht. Allein in Europa werden die Kosten für derartige schädliche Effekte durch Neobiota auf mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.