Frühdiagnostik in der Medizin zielt nicht nur auf das Individuum, sondern auf die gesamte Gesellschaft ab.
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Wien. Altersbedingte Erkrankungen, wie Alzheimer oder Parkinson, und Volkskrankheiten, wie Diabetes oder Krebs, fordern Medizin und Gesundheitswesen immer mehr. Je früher sie dignostiziert werden, desto gezielter und wirkungsvoller könnten sie (theoretisch) behandelt werden. Etwa berichteten jüngst Grazer Mediziner, neue Knochen-Biomarker entdeckt zu haben, die Diagnostik und Treffsicherheit von Behandlungen von Knochenkrankheiten deutlich verbessern könnten.
Wie gut funktioniert die Frühdiagnose mit Hilfe von Biomarkern heute? Beim "2. Austrian Biomarker Symposium on Early Diagnostics" des Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien widmen sich Experten bis morgen dieser Frage. Frühdiagnostik über Biomarker ist eine Art von molekularer Spurensuche. Es geht darum, bestimmte Moleküle im Blut oder Speichel zu finden, die mit dem Stoffwechsel zu tun haben. Zeichen von Erkrankungen können sie dann sein, wenn ihre Anzahl in Proben von Speichel, Blut oder Gewebe schwankt oder sich erhöht. Manche Biomarker, etwa Insulin im Blut, sind Anzeichen für Diabetes, andere für bestimmte Tumore. Besonders wenn gleich mehrere Biomarker nach oben ausschlagen, kann das ein Warnsignal sein, dass eine Krankheit entweder droht oder schon ausgebrochen ist.
Es begann im Altertum
"Schon im Altertum war es ein Zeichen für Stoffwechselprobleme, wenn jemand Aceton ausatmete, und man dignostizierte anhand der Farbe des Urins. Molekularisch können wir Biomarker aber erst seit 20 bis 30 Jahren nachweisen", sagt Martin Weber, Ko-Organisator des Symposions. Je mehr Proben es gibt, desto stichhaltiger die diagnostische Früherkennung. Weltweit werden daher Biobanken aufgebaut. "Idealerweise sollten alle Patienten gefunden werden, die die Krankheit haben", erklärt Weber, der mit der Grazer Biobank, der Medizinuni Wien und britischen Kliniken zusammenarbeitet. Denn die gleiche Krankheit entwickelt sich unterschiedlich bei jedem Patienten. Wer Veränderungen früh sehen will, muss unterschiedliche Krankheitsstadien kennen. "Die Biomarker sind anders, wenn der Tumor groß ist", erklärt Weber.
Besonders wertvoll seien auch Proben von gesunden Patienten. Im Rahmen von Kohorten-Studien werden gesunde Gewebe-, Speichel- und Blutproben gesammelt, katalogisiert und mit jenen erkrankter Patienten so lange verglichen, bis eine Art Bibliothek der Krankheitsursachen entsteht. Man will Anzeichen für schwere Erkrankungen schon in gesunden Körpern finden und dann nachschlagen können. "Wer auch immer in Zukunft krank wird, hat einen Vorteil davon, dass bekannt ist, wie alles ausgesehen hat, bevor sich die Krankheit entwickelt hat", sagt Weber: "Früherkennung zielt auf die gesamte Gesellschaft ab." Deren Mitglieder künftig zwar möglicherweise mit beängstigenden Perspektiven leben müssen, denn die Biomarker ändern sich Jahre, bevor Schmerzen auftauchen. Dank des Wissens um diese Veränderungen können Betroffene jedoch das Ruder herumreißen.
"Nadel im Heuhaufen"
Schon heute können entscheidende Moleküle empfindlich genau nachgewiesen und sogar voneinander getrennt werden. Etwa seien bereits Tests erhältlich, die Septin-9 finden, ein Biomarker für Darmkrebs. "Darmspiegelungen können dadurch mehr oder weniger ersetzt werden, es sollte eigentlich erstattungspflichtig sein", betont Weber. Der Test erfasse sogar mehr Verdachtsfälle als Erkrankungen vorliegen: "In 85 Prozent der Fälle mit positivem Ergebnis ist es positiv. Bei einer Vorsorgeuntersuchung ist es wichtig, dass man nichts übersieht", sagt Weber. Auch Krebserkrankungen seien ein wichtiges Forschungsfeld, da hier die Frühdiagnostik die Heilungschancen erhöht. Hierzu werden ganze Tumore, die entfernt wurden, zerlegt und die Biomarker fein säuberlich konserviert.
Das Symposium rückt auch Bioinformatik und Sensortechnologie für Diagnostikgeräte in den Vordergrund. In der Bioinformatik werden die wesentlichen Informationen aus genetischen Daten herausgefiltert, um relevante Indikatoren herauszufiltern. "Das ist wie das Finden einer Nadel im Heuhaufen", so Weber. Viele Messungen, die heute im Zentrallabor durchgeführt werden, sollen künftig in Arztpraxen oder nach Hause verlagert werden: So könnte künftig schon die Entstehung einer Grippe gemessen werden oder Patienten mit einem Gerät so groß wie ein Handy, mit winzigen Sensoren ausgestattet, selbstständig beobachten, wie ihr Körper Medikamente aufnimmt.