Der Transhumanismus will die Grenzen der Biologie sprengen und den Menschen zum "Cyborg" aufrüsten. Unklar ist, ob dabei mehr Emanzipation oder Unterjochung herauskommt.
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Es ist schon eine seltsame Koinzidenz: Während sich in Washington die Dystopie eines militärisch-industriellen Komplexes materialisiert, in dessen Mitte ein Baulöwe und Reality-TV-Star zum Abbruchunternehmer des Westens mutiert, entwickeln die En-trepreneure aus dem Silicon Valley die Utopie, die Menschheit auf die nächste zivilisatorische Stufe zu heben. Der Techno-Utopist und Tesla-Gründer Elon Musk hat kürzlich ein Start-up aufgekauft, das an Hirnimplantaten forscht, mit denen es möglich sein soll, das Gehirn mit Computern zu vernetzen. Der Mensch, ist Musk überzeugt, müsse langfristig mit der Technik verschmelzen, sonst werde er inmitten der künstlichen Umgebungsintelligenz überflüssig.
Die Bewegung des Transhumanismus, die sich schon immer als Avantgarde des technischen Fortschritts verstand und in deren Tradition sich Musk offenbar sieht, ist von der Idee beseelt, die Grenzen der Biologie zu sprengen. Der Körper wird trainiert, modelliert, optimiert, Defizite und Verschleißerscheinungen mit Implantaten und Prothesen korrigiert, das Gehirn mit leistungssteigernden Substanzen gedopt und mit Nanobots verdrahtet. Am Ende dieses Optimierungsprozesses steht die Vision eines perfekten, gottgleichen Wesens, das sich als Mensch-Maschine-Hybrid reibungslos in die Roboterwelt einpasst.
Verlassen des Körpers
Die kanadischen Medienphilosophen Arthur und Marilouise Kroker gaben die Maxime aus: "Wir leben in einer entscheidenden historischen Phase: der Ära des Transhumanen. Dieses Zeitalter ist charakterisiert durch ein gnadenloses Bemühen seitens der virtuellen Klasse, das Verlassen des Körpers zu forcieren, die sinnliche Wahrnehmung auf den Müll zu werfen und stattdessen eine entkörperte Welt von Datenströmen zu ersetzen." Gleichwohl wird bei den Transhumanisten nicht ganz klar, worin die Finalität bzw. der teleologische Zweck besteht. Geht es darum, den Menschen durch ein "Upgrade" anschlussfähig an die Maschinen zu machen oder ihn zum willfährigen Automaten zu zerlegen, der auf Knopfdruck funktioniert? Ist der Transhumanismus ein Emanzipationsprojekt oder ein autoritärer Unterjochungsplan?
Mark O’Connell hat kürzlich im "New York Magazine" unter der Überschrift "The New Far Right - The Techno-Libertarians Praying for Dystopia" eine seltsame Mutation in der Entwicklungslinie des Transhumanismus identifiziert. Die Vorstellung, dass die Spezies Mensch obsolet werden könnte und Computermacht über alle Werte hin erstrebenswert sei, habe eine mächtige Gruppe techno-libertärer Futuristen angezogen, die den Transhumanismus in einen rechtsgerichteten Autoritarismus umcodieren wollen.
O‘Connell nennt es "Dark Transhumanism", dunklen Transhumanismus. Als Spiritus Rector dieser geistigen Strömung gilt der neoreaktionäre britische Denker Nick Land. 2013 verfasste er einen hysterisch überdrehten Essay mit dem Titel "The Dark Enlightenment", in dem er die Vision einer autoritären Programmiererherrschaft formulierte und der zu einer Art Gründungsdokument der Neoreaktionären geworden ist, die sich im Netz unter dem kryptischen Kürzel "NRx" zu erkennen geben.
Die neoreaktionäre Bewegung zeichnet sich durch die Ablehnung aufklärerischer Ideale wie Freiheit und Gleichheit und Negation universaler Werte aus; Menschenrechte werden in Anführungszeichen gesetzt, die Legitimität und Autorität des Staates offen angezweifelt. Der Kern des neoreaktionären Denkens ist, dass die "Dynamik der Demokratisierung fundamental degenerativ" sei. Daher brauche es eine starke Hand, diesen labilen Zustand zu konsolidieren. "Das Kernproblem", schreibt Land, "ist, dass es keine sichere Autorität gibt, diese Dinge zu fixieren. Die Lösung besteht darin, einen Mann zu finden und ihn mit einer Kommandokette und klaren Eigentümerstruktur zu ermächtigen."
Das klingt wie der Blankoscheck für eine Ein-Mann-Herrschaft. 2014 schrieb Land: "Es gibt zunehmend nur zwei basale menschliche Typen, die den Planeten bevölkern. Es gibt die autistischen Nerds, die allein in der Lage sind, an den fortgeschrittenen technologischen Prozessen, die die sich entwickelnde Wirtschaft charakterisieren, zu partizipieren, und es gibt jeden anderen." Nach den Techies gibt es nur den Rest, die technologisch Abgehängten, die "Klasse der Nutzlosen", wie der israelische Historiker Yuval Noah Harari sie nennt.
Die Sentenz würde kein Transhumanist so explizit unterschreiben, doch das Interessante ist, dass sie ähnlich wie die Neoreaktionären argumentieren, indem sie nämlich die Prämissen des Humanismus in Frage stellen. Worauf sollen Menschenrechte gründen, wenn sich der Mensch zum Cyborg aufrüstet? Menschenrechte hängen schließlich nicht nur an der zufälligen Tatsache, dass wir der Spezies Mensch angehören, sondern auch an unserer einzigartigen Geistesnatur.
Defiziente Demokratie
Transhumanisten sehen den menschlichen Körper als einen Bausatz, den man hacken kann. Die Neoreaktionären betrachten ihrerseits den Staat, den politischen Korpus, als hackbares System, das man mit ein paar Codes programmieren kann. Analog zum menschlichen Organismus ist die Demokratie im Verständnis der Neoreaktionären ein defizienter Modus, der technologisch aufgerüstet werden muss. Es besteht folglich so etwas wie eine geistige Wahlverwandtschaft zwischen dem Transhumanismus und den Neoreaktionären.
Interessanterweise sind bei Donald Trump der leibliche und politische Körper eins. Trump beglaubigt seine Herrschaft durch den Volkskörper, und er versucht schon gar nicht mehr, den politischen Körper vor der medialen Verletzung des Bilds zu schützen. Im Gegenteil: Er stellt ihn demonstrativ zur Schau. Der Milliardär und Facebook-Investor Peter Thiel, der Trump im Wahlkampf unterstützte, schrieb 2009 in einem Essay für das libertäre Journal "Cato Unbound": "Ich glaube nicht länger, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind."
Thiel spricht nicht für das Silicon Valley, wohl aber für die neokonservative Alt-Right-Bewegung, mit deren Stimmen Trump ins Weiße Haus gewählt wurde. Der Paypal-Gründer ist zu einem wichtigen Berater im Weißen Haus avanciert. Thiel formuliert das Ziel, die Demokratie so weit zu demontieren, bis sich jeder seine Freiheit herausnehmen kann.
Auf die Frage, ob die technologischen Lebensverlängerungsmaßnahmen die soziale Ungleichheit vergrößern, antwortete Thiel einem Journalisten des "New Yorker": "Wahrscheinlich ist die ex-tremste Form der Ungleichheit die zwischen Leuten, die leben und denen, die tot sind." Der Tod macht uns Menschen nicht gleich, sondern ungleich; die Technik als Heilsbringer.
Tesla-Gründer Elon Musk sagte kürzlich auf der Konferenz "Superintelligence: Science or Fic-
tion?": "Wenn wir diese Dinge machen, "wird es (das Breitband-Interface) an unser Bewusstsein angeschlossen, an unseren Willen, an die Summe des individuellen Willen, und jeder hätte es, dann ginge es egalitärer als heute zu."
Abgesehen von dieser kruden neurobiologischen Beschreibung schimmert hier durch, wes Geistes Kind Musk ist: Von welcher Gleichheit spricht er? Läuft das egalitaristische Versprechen da-rauf hinaus, den Menschen automatengerecht zu machen? Wenn der Mensch im Internet der Dinge nur eine Maschine unter vielen ist, wäre gewiss Gleichheit hergestellt. Doch wer oder was wird hier wem angeglichen? Geht es beim Transhumanismus auch um den Umbau der Gesellschaft, der nach libertärer Vorstellung auch immer einen Rückbau des Staates meint?
Die Idee des Transhumanismus ist für den Hamburger Soziologen Nils Zurawski historisch mit dem Wunsch verbunden, alles automatisch zu machen. Dies wurzele in den Utopien des Lebens als ewige Bedienung, der Verbesserung eines als defizitär wahrgenommenen menschlichen Körpers und der dazugehörigen Hybris des Menschen, die Selbsterhöhung, die wahrscheinlich einem Hyperindividualismus entspringen und in einer Art Techno-Faschismus enden könnte.
Utopie oder Dystopie?
Der Internetkritiker Rick Searle schreibt in seinem Blog "Utopia or Dystopia" unter der Überschrift "Stalinism as Transhumanism", dass Transhumanisten nicht nur ästhetisch Anleihen beim Stalinismus (etwa in der Vorstellung eines "stählernen Manns") nähmen, sondern auch ideologische, weil die technologische Transforma-
tion letztlich auf die Schaffung eines neuen Menschen hinauslaufe.
Searle identifiziert einen schon länger anhaltenden Trend, bei dem die Technik die "Neuauflage des stalinistischen Staates" ermögliche. Was an der Utopie des Transhumanismus verstört, ist der technologische Darwinismus, wonach derjenige, der sich nicht upgradet, abgehängt ist. Eine transhumanistische Gesellschaft würde über das Vehikel der Technik ein Recht des Stärkeren einführen. Wo es den technologisch hochgerüsteten "Übermenschen" nach der Konzeption von Nietzsche gibt, auf den sich Teile der Bewegung berufen, gibt es dann nicht auch den "Untermenschen"?
Der Transhumanist Michael Anissimov, der die Rassenlehre aus dem 19. Jahrhundert mit einem fanatischen Futurismus auf krude Art und Weise amalgamiert, frohlockt, dass mit der Technologie die Leute wie nie zuvor in der Geschichte übereinander herrschen könnten.
Es geht also gar nicht um die Abschaffung menschlichen Leidens oder die Anschlussfähigkeit an die künstliche Umgebungsintelligenz, sondern um eine Betriebsanleitung zur Macht. Die Vision der Musks, Anissimovs und Kurzweils, den Menschen durch Nanotechnologien zu erweitern und dadurch Zugriff auf seine Hardware zu bekommen, wäre letztlich der Gipfel der Biopolitik - der Mensch wäre programmierbar.
Vielleicht beflügelt die Technisierung des Menschen oder "biopolitische Mobilmachung", von der der Philosoph Peter Sloterdijk spricht, die Allmachtsphantasien der Programmierer. Allein, wer den Menschen und den Tod abschafft, schafft letztlich auch die Menschheit ab.
Adrian Lobe, geboren 1988 in Stuttgart, studierte Politik- und Rechtswissenschaft und schreibt als freier Journalist für diverse deutschsprachige Medien.