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Birgit Hebein: "Kein Grund, Pop-up-Radwege abzubauen"

Von Alexander Mathé

Politik
Mit der Wien-Wahl habe der "autofreie" 1. Bezirk nichts zu tun, betont Birgit Hebein: "Abgase haben kein Parteibuch."
© WZ/Moritz Ziegler

Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ist seit einem Jahr im Amt und zieht im Interview mit der "Wiener Zeitung" Bilanz.


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"Wiener Zeitung": Genau vor einem Jahr sind Sie Wiener Vizebürgermeisterin geworden. Wie sieht Ihre Jahresbilanz aus?

Birgit Hebein: Ich bin damals mit den Themen Klimaschutz und Zusammenhalt angetreten. Wenn ich mir ansehe, was wir seither geschafft haben, kann ich sagen: Ich habe Wort gehalten. Wir haben coole Straßen, autofreie Straßen; überhaupt ist uns in Sachen Klimaschutz von Klimarat bis Klimaschutzzonen sehr viel gelungen. Auch den Abbiegeassistenten habe ich auf den Weg gebracht.

Mission erfüllt, also?

Es ist so vieles noch in Arbeit. Ich habe beispielsweise eine Stadtklimaanalyse in Auftrag gegeben, die im Herbst herauskommt. Aufgrund von der kann man bei der zukünftigen Stadtplanung Sachen wie Frischluftschneisen berücksichtigen. Man muss sich stets etwas Neues überlegen. Aber wir haben die Stadtentwicklung ein ordentliches Stück weitergebracht.

Ein Projekt, für das Sie mitverantwortlich sind, ist die "autofreie City". Auf ganz Wien gerechnet, fällt der 1. Bezirk klimatechnisch nicht maßgeblich ins Gewicht. Warum also der Vorstoß?

Es geht grundsätzlich darum, Maßnahmen zu setzen, um die Klimakrise zu bekämpfen. Das ist etwas, wovon ich felsenfest überzeugt bin. Wenn wir nichts tun, heizt sich unsere Stadt bis 2050 um 7,6 Grad auf. Wir haben schon vergangenes Jahr 45 Hitzetage erlebt, 41 Nächte, in denen es nicht unter 20 Grad abkühlt. Das ist eine enorme Belastung für Ältere, Kinder, chronisch Kranke, aber auch für armutsbetroffene Menschen. Was wir hier machen, ist aber auch für die Innere Stadt wichtig. Historische Zentren sind im Prinzip nie für den Autoverkehr gebaut worden. Man vergisst oft, dass die vielen historischen Gebäude unter dem Autoverkehr leiden. Es ist auch ein wichtiges Signal für die Bevölkerung vor Ort: Es gibt weniger Abgase, weniger Autos, mehr Lebensqualität. So etwas hat Vorbildwirkung. Die erste Fußgängerzone hat es seinerzeit im ersten Bezirk gegeben. Dieses Modell hat sich dann in der Stadt ausgebreitet.

Im 1. Bezirk gibt es sehr viele gehobene kulturelle Einrichtungen. Die Frau, die mit dem Pelzmantel ins Theater geht, hat dann aber schon ein Problem?

Für diese Bilder und Vorurteile bin ich nicht zu haben, denn darum darf es nicht gehen. Es geht darum, dass es allen gut geht; heute und auch in der nächsten Generation. Das Ziel ist, dass man künftig nicht mehr das Auto nehmen kann, um in den ersten Bezirk essen oder schnell einmal einkaufen zu gehen. Diese Zeiten sind vorbei. Wenn man an das Klima und die Zukunft der Stadt denkt, kann niemand gegen dieses Projekt sein.

Die Allianz zwischen Grün und Türkis bei diesem Projekt lässt jedenfalls aufhorchen, nicht wahr?

Abgase haben kein Parteibuch. Maßnahmen dagegen auch nicht. Die Zusammenarbeit ist auf der Hand gelegen, weil auch der Innere Bezirk dazu bereit war. Ich finde, es ist ein enorm wichtiger, fast schon historischer Schritt. Es wird die erste autofreie Innenstadt im deutschsprachigen Raum. Der Herr Bezirksvorsteher Markus Figl hat vor zwei Jahren einen Prozess darüber angestoßen, in dem überlegt wurde, wie sich der Verkehr im ersten Bezirk weiterentwickeln soll und wie man die Lebensqualität der Menschen verbessern kann. Wir haben vergangenen Herbst begonnen, über die autofreie Innenstadt zu diskutieren. Damals hat er mich gebeten, es nicht offiziell zu machen, weil er erst seinen Prozess abschließen wollte. Darüber habe ich den Herrn Bürgermeister natürlich immer am Laufenden gehalten.

Bürgermeister Ludwig war seit Herbst in die Pläne eingeweiht?

Ich habe ein gutes Verhältnis zum Herrn Bürgermeister. Wir tauschen uns laufend aus, alles läuft korrekt ab und natürlich ist er darüber informiert worden. Noch dazu sind ja alle Parteien im ersten Bezirk auch vom Bezirksvorsteher permanent am Laufenden gehalten worden. Die haben das ja alle gemeinsam gemacht. Die SPÖ war auch am letzten Tag der Besprechung konstruktiv bei den Plänen mit dabei.

Trotzdem hat es für Unruhe gesorgt, als die Pläne öffentlich bekannt wurden . . .

Dass es dann ein paar Tage zu früh medial durchgesickert ist, war so - leider. Da muss man jetzt eben mit Haltung durch. Wir sind ja, was die Ziele anbelangt, völlig einer Meinung. Wir wollen in den nächsten zehn Jahren den CO2-Ausstoß um die Hälfte reduzieren. Unser Sorgenkind sind die Abgase im Autoverkehr. Bei der einen oder anderen Maßnahme muss man sich dann eben zusammenstreiten.

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Ihre Kooperation mit Bezirksvorsteher Markus Figl von der ÖVP lässt an mögliche Koalitionsbildungen nach der Wahl denken. Wäre eine Koalition mit Türkis denkbar?

Das ist keine Koalitionspräferenz. Wir haben uns einfach nur gemeinsam überlegt, wie man mehr Lebensqualität schaffen kann. Eine Woche davor habe ich mit einer SPÖ-Bezirksvorsteherin einen Pop-up-Radweg eröffnet. Und überhaupt: Zehn Jahre Rot-Grün, zehn Jahre die lebenswerteste Stadt der Welt - und die liebenswerteste, wie ich persönlich finde. Das ist kein Zufall. Warum soll man das ändern?

Das heißt: Grundsätzlich stehen die Weichen auf eine Fortsetzung der bisherigen Koalition? Wenn aber Türkis mit einem großartigen Klima-Angebot an Sie herantreten würde, wäre das etwas, was Sie sich anschauen würde?

Das steht nicht zur Diskussion. Der Sieger steht jetzt schon fest: Der nächste Bürgermeister heißt Michael Ludwig. Er wird dann entscheiden, wer der Koalitionspartner ist. Wir Grünen stehen für Zukunft, für Klimaschutz, für rasches Handeln und für ein gutes Zusammenleben. Die Frage, die sich stellt, ist: Geht es mit uns in Richtung Zukunft oder mit der ÖVP in Richtung Vergangenheit. Das ist die Entscheidung des Bürgermeisters.

Wie schwierig ist es für die Grünen, Wahlkampf zu machen? Man muss sich ja doch von der SPÖ abgrenzen, andererseits darf man nicht zu viel Porzellan zerschlagen, das sich nach der Wahl nicht mehr kitten lässt.

Man muss schon sorgsam damit umgehen, nicht zu viele Fäden, die einen verbinden, zu zerschneiden.

Ein anderes aktuelles Thema sind die Pop-up-Radwege. Welche werden bleiben und welche abgebaut?

Die Pop-up-Radwege werden extrem gut angenommen, vor allem in der Praterstraße und der Wagramer Straße. Es gibt keinen Grund, sie abzubauen. Noch dazu, wo wir enorme Zuwächse im Radverkehr verzeichnen. Wir haben im Mai eine Million Radfahrten gemessen. Ein Jahr zuvor waren es noch circa 700.000, das ist fulminant. Dafür braucht es Platz und den Platz muss man gerecht verteilen. Denn der Platz in Wien ist eigentlich ungerecht verteilt. Zwei Drittel des öffentlichen Raumes nehmen Autos ein. Da gibt es jetzt kein Zurück mehr. Ich diskutiere auch nicht mehr über einzelne Stellplätze, nicht in Zeiten der Klimakrise.

Gerade gegen den Pop-up-Radweg in der Praterstraße hat es Proteste gegeben. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Ich kann es bei den Anrainern verstehen. Manche brauchen einfach Zeit, wenn sich etwas verändert. Bei politischen Parteien endet aber mein Verständnis. Denn wir haben gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und angesichts der Klimakrise zu handeln.

Anlässlich des Jubiläums ein Blick zurück: Wie überraschend war es für Sie, Wiener Vizebürgermeisterin zu werden?

Eigentlich hatte das grün-interne Duell ja Maria Vassilakou gegen David Ellensohn geheißen. Das ist jetzt ein gefühltes halbes Jahrhundert her. Das Entscheidende ist aber, dass wir ein extrem gutes Team haben.

Was war für Sie Ihr größter Erfolg?

Die Begegnungen. Die Hackler beispielsweise, die tagtäglich für unsere Stadt arbeiten. Da werden Arbeiten verrichtet, die einem gar nicht bewusst sind.

Und Ihre größte Enttäuschung?

Ich lege sehr viel Wert auf Handschlagqualität. Ohne die kann man nicht Politik machen. Wenn das aber nicht funktioniert, dann - sagen wir einmal so - dann fordere ich das schon ein.