Aktivistin kämpft unter dem Zeichen der Wirtschaftskrise für Transparenz.
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Gegen Intransparenz und Demokratie zersetzende Geheimniskrämerei kämpft die isländische Parlamentsabgeordnete Birgitta Jonsdottir. Auf ihre Initiative beschloss Island ein Gesetzespaket, das den Inselstaat zum sicheren Hafen für investigative Journalisten, Whistleblower und Watchdog-Organisationen machen soll.
Das Zusammentreffen mit Julian Assange muss seltsam gewesen sein. Birgitta Jonsdottir und der Wikileaks-Gründer kommen bei einer Veranstaltung der Digital Film Society im Dezember 2009 ins Gespräch. Genauer gesagt: bei einer Rauchpause. Nur dass der schlaksige Mann mit den weißblonden Haaren - wie so oft - aus der Reihe tanzt: Statt zu rauchen, isst er ein hartgekochtes Ei.
Auf die Menschenrechtsaktivistin und Parlamentsabgeordnete hinterlässt Assange aber nicht wegen seiner Essgewohnheiten einen nachhaltigen Eindruck, sondern weil er ihr von seinem Traum einer "Schweiz der Bytes" erzählt, die Aufdeckern weltweiten Schutz gewähren soll.
In den nächsten Monaten entwirft die 45-Jährige zusammen mit Assange und anderen Wikileaks-Aktivisten das weltweit ambitionierteste Gesetzespaket zu Verteidigung der Informationsfreiheit. Vom Whistleblower über den Reporter, vom Verleger, Internetservice-Provider bis hin zum Medienkonsumenten schützt es alle Beteiligten einer Informationskette. Die isländische Gesellschaft, noch schwer unter Schock durch die Wirtschaftskrise und die intransparenten Vorgänge, die das Land nahe an den Bankrott führten, findet Gefallen an der Idee. Und das Parlament zieht mit: Am 16. Juni 2010 wird mit den Stimmen aller Parteien die Isländischen Moderne Medien Initiative (IMMI) beschlossen.
"Steuerparadiese zielen darauf ab, alles so undurchsichtig wie möglich zu machen", sagt Jonsdottir. "Wir wollen das Gegenteil: Alles soll so transparent wie möglich sein."
Die am 17. April 1967 geborene Poetin, Künstlerin und Journalistin ist Ikone der isländischen Bürgerrechtsbewegung. Seit den 1990er Jahren, als sie ihren Protest gegen die chinesische Politik in Tibet per Video-Live-Stream bekundete, verbindet sie politischen Protest und Kunst mit Online-Aktivismus.
Auch der Weg ins Parlament führt für Jonsdottir über den Protest. Als die globale Wirtschaftskrise von den USA nach Europa schwappt und als Erstes den kleinen Inselstaat überflutet, demonstriert Jonsdottir zusammen mit tausenden empörten Bürgern gegen die Regierung. Bis zum Jänner 2009 wird der Druck auf Premierminister Geir Haarde von der Unabhängigkeitspartei so stark, dass er den Hut nehmen muss. Um für Island einen Weg aus der Krise zu finden, schließen sich in der Folge Vertreter der verschiedenen Initiativen und Oppositionsgruppen zu einer Bürgerbewegung, zur "Borgarahreyfingin" zusammen, die eine Demokratie-, Transparenz- und Verfassungsreform bewirken will.
"Erfolg für Online-Kultur"
Bei den Wahlen am 25. April 2009 erringt "Borgarahreyfingin" vier Mandate. Jonsdottir zieht als Abgeordnete ins Althing ein. Ein Erfolg, der für Jonsdottir nicht zuletzt auf das Internet zurückzuführen ist. "Das Netz verändert das Selbstverständnis der Menschen", sagt sie. "Keinen Führer zu haben, gemeinsam Stärke zu entwickeln, über Staatsgrenzen hinweg - und vielfach auch anonym - zu operieren, sind die Kennzeichen der Online-Kultur."
Island fungiere in diesem Sinn als eine Art Versuchslabor. "Vielleicht gibt es in Island mehr Experimentierfreude als in größeren Bürokratien", sagt sie. Gesellschaftlicher Wandel dieser Art müsse allerdings nicht auf den Inselstaat beschränkt bleiben. "Was in Island möglich ist, funktioniert auch in anderen Staaten", sagt Jonsdottir. "Es dauert vielleicht nur länger."
Dieser Text ist Teil einer "Wiener Zeitung"-Serie mit Kurzporträts von "neuen Revolutionären", die ihre Anliegen mit Hilfe von sozialen Netzwerken, digitalen Technologien und neuen Denkansätzen vorantreiben. Die Porträts sind Auszüge aus Matthias Bernolds und Sandra Larrivas Buch "Revolution 3.0 - Die neuen Rebellen und ihre digitalen Waffen", das im Schweizer Verlag Xanthippe erschienen ist.