Gastkommentar: Kryptowährungen polarisieren. Sind sie eine Alternative zu Fiat-Währungen?
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Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Jedoch, Tatsache ist: Der Preis der digitalen Kryptowährung Bitcoin hat sich allein in den vergangenen zwölf Monaten verzehnfacht - gegenüber US-Dollar, Euro oder Yen. Diese Währungen kennzeichnen die sogenannten Fiat-Währungen (aus dem Latainischen: "es geschehe"), die durch Zentralbanken der Währungsräume wie die US-Federal Reserve, die Europäische Zentralbank oder die Bank of Japan gesteuert werden - und deren Nominalvolumen dabei nicht mehr begrenzt ist. Historisch hat die wundersame Geldvermehrung durch Zentralbanken zu Geldentwertung und Währungsreformen geführt. An diesem Punkt setzt Bitcoin an: Die Bitcoin-Anzahl ist begrenzt.
Bitcoin kokettiert diesbezüglich mit einer Eigenschaft von Gold, das ebenfalls nicht beliebig vermehrbar ist. Gold ist ein physisches Gut, während Bitcoin eine digitale Technologie ist. Auch wenn im Bitcoin-Trend stets eine goldfarbene Bitcoin-Münze medial abgebildet wird: Dieses Symbol ist nur eine Medaille, und solche haben - mit oder ohne Wert - bekanntlich zwei Seiten.
Aktuell beträgt die Bitcoin-Marktkapitalisierung circa 125 Milliarden US-Dollar. Damit nimmt Bitcoin unter der rasant wachsenden Anzahl von Kryptowährungen, von denen weltweit bereits mehr als 1000 zu verzeichnen sind, laut Coinmarketcap.com mehr als die Hälfte der Digital-Marktkapitalisierung von derzeit rund 220 Milliarden Dollar ein. Hohe Volatilität bei Kryptowährungen ist bisher die Regel - sowohl gegenüber den Fiat-Währungen als auch unter den Kryptowährungen untereinander. Dies spiegelt nicht nur Spekulation wider. Sind Bitcoin & Co. ein Strohfeuer oder ein Trend mit nachhaltigen Effekten?
Ein Geldsystem, unabhängig von Staaten und Zentralbanken
Die volatilen Bewertungen zeigen die Unsicherheit der Marktteilnehmer über den technologischen Wert und die Suche des Marktes nach Alternativwährungen, zwischen Spekulation, Goldgräberstimmung und Revolution. Beim Thema Geld und Währungen geht es immer auch um Kontrolle und Macht. So ist öffentlich nicht genau bekannt, wer tatsächlich die größten Bitcoin-Anteile hält.
Bitcoin gibt als Ziel vor, ein Geldsystem zu ermöglichen, das unabhängig von Staaten und Banken funktioniert, basierend auf einer Blockchain, dessen Grundlage eine dezentrale, weltweit verteilte Datenbank ist. Diese Datenbank besteht aus Datenblöcken, die miteinander verbunden sind und so eine Manipulierbarkeit höchst unwahrscheinlich oder gar unmöglich machen sollen. Bitcoin wird durch keine zentrale Institution garantiert. Die Bitcoin-Gemeinschaft soll die Kontrollfunktion vorgeblich sicher ausführen können. Dies ist unter anderem auch vom technologischen Funktionieren abhängig und löst bei einer wachsenden Zahl von Transaktionen einen erheblichen Server- und Strombedarf aus.
Welche Eigenschaften hat das Geld der Fiat-Währungen? Geld ist Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel. Bargeld ist eine Möglichkeit, Eigentum aufzubewahren. Bargeld hält man in der Hand oder im Tresor. Bargeld in Form von Banknoten und Münzen ist Zentralbankgeld. Zentralbanken geben es heraus und garantieren dieses. Jedoch ist das Zentralbankgeld aktuell nicht mehr hinreichend mit Werten wie Gold hinterlegt. Geld auf Bankkonten der Geschäftsbanken ist Buchgeld. Geschäftsbanken weisen es aus und garantieren es. Allerdings ist die Summe des Buchgeldes aktuell durch keinen Einlagensicherungsfonds mit nachhaltigen Werten abgesichert.
Die seit 2008 - der ersten Phase der Finanzkrise - weltweit begebenen Billionen-Spritzen der Zentralbanken haben die systemischen Probleme des globalen Finanzsystems nicht beseitigt. Die Europäische Zentralbank hat seit 2015 mit mehr als 2,5 Billionen Euro in streitbarer Weise in den Kapitalmarkt eingegriffen - und setzt ihr Programm weiterhin fort. Die Zentralbanken betreiben Nullzinspolitik und Negativzinspolitik. Der Zins ist der Preis für Geld. Was ist dieses Geld wert, wenn es nichts kostet?
Negativzinsen wären ohne Bargeld leichter durchzusetzen
Die Durchsetzbarkeit von Negativzinsen wäre bei einer Eindämmung oder einem Verschwinden von Bargeld deutlich höher. Politische Argumente lauten, Bargeld sei kostenintensiv und begünstige Schattenwirtschaft. De facto ist Bargeld jedoch ein beliebtes Zahlungsmittel der Verbraucher.
Wäre die Transaktion von Buchgeld zu Bargeld - zum Beispiel durch die Pleite von Geschäftsbanken, unzureichende Einlagensicherung, die Eindämmung oder gar die Abschaffung von Bargeld - eingeschränkt, wäre die Zahlungs- und Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes physisch nicht so möglich wie heute. Geld physisch zu halten, erscheint jedoch als Bedürfnis und auch als gutes Recht jeden Entscheiders über seine Werte, in welche die Wertegemeinschaft vertraut.
Das Vertrauen in eine Währung ist einer der entscheidenden Wertfaktoren. Der Kurs einer Zentralbank-Währung wie US-Dollar, Euro oder Yen ist ein relativer Ausdruck der Erwartungen und des relativen Vertrauens in die systemische Leistungsfähigkeit des zugrunde liegenden politischen Wirtschafts- und Ordnungsraumes gegenüber anderen, respektive ein Vertrauen in die Zentralbanken. Um dieses Vertrauen steht es nicht zum Besten. Wer allerdings würde so weit gehen, zu behaupten, dass analog der Wertentwicklung der Fiat-Währungen gegenüber Bitcoin derzeit bereits eine Geldentwertung der Fiat-Währungen gegenüber der Kryptowährung zugeschrieben werden könnte?
Auch unter den Kryptowährungen herrscht harte Konkurrenz. Inzwischen erscheint die Bitcoin zugrunde liegende Technologie durch die starke Zunahme der Transaktionen an Kapazitätsgrenzen zu stoßen: Zum Beispiel dauern Transaktionen länger. Die bisherige Marktführerschaft von Bitcoin wurde zuletzt durch die Tatsache, dass die Größe der einzelnen Blöcke einer Blockchain variieren kann, technologisch in Frage gestellt. Die aus Bitcoin im August 2017 abgespaltene Schwester-Kryptowährung Bitcoin Cash unterstützt achtfach größere Blöcke und ist damit insofern leistungsfähiger als Bitcoin selbst.
Bitcoin-Abspaltung abgesagt - eine gelungene Werbeaktion?
Die Wahrnehmung dieser Eigenschaft wurde allerdings erst durch den Effekt begünstigt, dass die Bitcoin-Gemeinschaft vergangene Woche eine neue Bitcoin-Blockchain, die unter dem Namen "Segwit2x" als sogenannter Hard Fork und damit als neue Bitcoin-Abspaltung geplant war, abgesagt hat. Dieses Szenario ließ Bitcoin Cash für viele Kryptowährungsinvestoren attraktiver erscheinen, zumal der Bitcoin-Ableger im Vergleich zum klassischen Bitcoin zu einem optisch günstigeren Preis zu haben ist. Innerhalb der vergangenen Woche hat sich der Preis für Bitcoin Cash mehr als verdoppelt und nimmt nun die drittgrößte Marktkapitalisierung unter den Kryptowährungen ein.
Obgleich die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung abzuwarten bleibt, hat die Bitcoin-Währungsfamilie, zu der als weiteren Ableger auch Bitcoin Gold zählt, ihre Dominanz unter den Kryptowährungen ausgebaut und medial eine enorme Wahrnehmung gefunden. War das schlicht und einfach eine gelungene Werbeaktion?
Auf der Basis der Dynamik im Kryptowährungsmarkt finden sogenannte Initial Coin Offerings (ICOs) hohen Zuspruch. Die europäische Börsenaufsicht ESMA warnte jüngst, dass die Börsengänge solcher Währungen unreguliert, intransparent und technologisch ungetestet seien. Die deutsche Finanzaufsicht BaFIN äußerte ähnliche Bedenken. Kryptowährungen wie Bitcoin seien Spekulationsobjekte und kein geeignetes Medium, um Werte aufzubewahren, urteilen Kritiker.
Japan arbeitet an einereigenen digitalen Währung
In Japan allerdings wurde Bitcoin im April 2017 zur legalen Währung erklärt. Mehr noch: Ende September hieß es, man arbeite an einer eigenen digitalen Währung. Die Entwicklung von Kryptowährungsbörsen boomt in Japan. Unter den größten Volkswirtschaften ist Japan - mit weitem Abstand - das Land mit der höchsten Staatsverschuldung. Zudem ist der Anteil der mit Bargeld abgewickelter Geschäfte in Japan sehr hoch. Sollte der weitere technologische Wettlauf ebenso wie die Preisentwicklung der Kryptowährungen - neben den staatlichen Regulierungsmöglichkeiten - zukünftig vermehrt institutionelle Investoren in den Markt der Kryptowährungen bewegen, könnte die Marktkapitaliserung der Kryptowährungen noch deutlich zulegen.
Solange sich Begeisterung und Kritik an einem Markt gegenüberstehen, ist - trotz der bereits phänomenalen Bewertungsentwicklung - keine gesamtheitliche Blasenbildung zu statuieren. Das gilt auch für die Kryptowährungen. Da zum Beispiel erst rund 15 Millionen Bitcoin-Wallets registiert sind, hat der Großteil der Welt - trotz der medialen Berichterstattung - noch nicht am Wirtschaften mit den neuen, digitalen Kryptowährungen teilgenommen.
Es geht um Geld. Es geht um Kontrolle. Es geht um Macht. Die Zentralbanken und ihre Regierungen werden hier früher oder später ein Wort mitreden wollen. Um eine Inflation von Bargeld und Buchgeld gegenüber den digitalen Kryptowährungen zu verhindern oder um Staatsverschuldungen mit einer geeigneten, etwaig auch digitalen, Währungsreform zu lösen, die auch das Bargeld abschaffen könnte.
Dass solche Diskussionen zunehmend polarisieren dürften, zeigt eine aktuelle Studie der Deutschen Bank. Dazu heißt es unter anderem: "Die Grundannahme ist, dass das Fiat-Geldsystem, das wir seit 1971 kennen, in sich instabil und für Inflationsgefahren anfällig ist. Wenn wir richtig liegen, wird das Geldsystem in der kommenden Dekade einen ultimativen Test erleben, und wir werden uns nach einer Alternative umschauen müssen."