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Bitte den Lehrern auf die Finger schauen!

Von Ernst Smole

Gastkommentare
Ernst Smole ist Musiker und Musikerzieher, war Berater der Unterrichtsminister Fred Sinowatz, Herbert Moritz und Helmut Zilk, lehrte an der Konservatorium Wien Privatuniversität und leitet den Nikolaus Harnoncourt Fonds Wien. Er hat auf der Unesco-Weltkonferenz 2010 in Seoul ein Praxiskonzept gegen Auftrittsangst vorgestellt.

Der Pisa-Absturz zeigt deutlich, dass die Schulaufsicht endlich eine konkrete Ahnung vom Wichtigsten, nämlich vom Unterricht, bekommen muss.


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Die Ankündigung, die künftige Qualitätskontrolle werde "den Lehrern nicht auf die Finger schauen", ist eine Drohung, die das neue Qualitätssicherungssystem ad absurdum führen würde.

Die Schule ist ein Ort des gemeinsamen Lernens. Bringen die an der Schule beteiligten Partner - Lehrer, Schüler, Eltern, Direktoren, Schulaufsichtsorgane - einander ausreichend Respekt entgegen und pflegen sie einen achtsamen Umgang, so wird sich das so wichtige "Alle lernen von allen" einstellen. Die jüngsten Pisa-Ergebnisse zeigen eindringlich die Notwendigkeit!

Achtsamkeit und Respekt werden mit Leben erfüllt, wenn man zumindest den Kern der konkreten Arbeit der Partner aus eigener Anschauung kennt, wenn etwa die steigenden Erschwernisse im Unterricht live erlebt werden und diese sich nicht nur in Leserbriefen verzweifelter Lehrer dokumentieren.

Der Kern der Tätigkeit von Lehrern, der zu gut 80 Prozent für das Gelingen von Schule verantwortlich ist, besteht nicht im Evaluieren, Dokumentieren und Rundum-Bürokratisieren, sondern im Unterricht, im "lehrerindividuellen Tun vor der Klasse" - und dieses misslingt immer öfter. Rund die Hälfte der Pflichtschullehrer gesteht dies ein. Das ist ein Hilferuf, der nicht überhört werden darf. Ein Großteil der Lehrer fühlt sich von jener Einrichtung alleingelassen, die neben dem Schulleiter als wichtigste "helfende Kontrolle und kontrollierende Hilfe" gedacht war - von der Schulaufsicht.

Über Generationen hinweg haben verantwortungsvolle Schulaufsichtsbeamte konstruktiverweise als hilfreiche Feedback-Ebenen für die Pädagogen gewirkt. Das Thema waren allerdings kaum die vielen konstruktiven Inspektoren, sondern die wenigen destruktiven schwarzen Schafe unter ihnen.

Jene, die wohl in einer künftigen funktionierenden Schulaufsicht am meisten lernen werden müssen, sind die Schulaufsichtsbeamten selber. Viele sind seit Jahren nicht mehr in einer Klasse gestanden und haben ihre Präsenz in den Schulen auf Schulfeste und Tage der offenen Türen beschränkt, die über die Schul- und Unterrichtsqualität genau gar nichts aussagen. Tausende Lehrer sehen "ihren" Schulaufsichtsbeamten zum ersten Mal, wenn ihnen nach 25 (!) Dienstjahren in einem Massenfestakt "Dank und Anerkennung" ausgesprochen werden. Die Bildungspolitik hat die weitgehende Absenz der Schulauf-
sichtsorgane im Jahr 2014 legalisiert, indem in einer Gesetzesnovelle Inspektionen zu "Kann-Bestimmungen" degradiert worden sind. In der heimischen Praxis kommt dies einer Abschaffung gleich.

Eine erfolgreiche Schule braucht Eigenverantwortung der Lehrer und Schulleiter, internes helfendes Feedback untereinander und eine auch im Unterricht präsente externe weisungsfreie, helfende Kontrolle. Zentral ist das Erleben des Unterrichts der einzelnen Lehrer. Diesen muss die Schulaufsicht "auf die Finger schauen" - nicht, um sie bei Fehlern zu ertappen, sondern damit sie an der Wirklichkeit in der Klasse orientiert und damit überhaupt erst mit Aussicht auf Erfolg arbeiten kann! Andernfalls werden wieder hunderte Steuermillionen in den Sand gesetzt. Und ein weiteres Pisa-Debakel wäre garantiert.