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Bitte keine österreichische Lösung bei der Impfpflicht!

Von Ulrich H.J. Körtner

Gastkommentare
Ulrich H.J. Körtner ist Leiter des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.
© Hans Hochstöger

Die Verdrossenheit der zunehmend frustrierten geimpften Mehrheit wächst.


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Mit der Ankündigung einer allgemeinen Impfpflicht hat die Bundesregierung einen dramatischen, gleichwohl überfälligen Kurswechsel ihrer Corona-Politik vollzogen. Dass man ihr Wortbruch vorwerfen würde, war zu erwarten, hatten doch Regierung und Oppositionen ebenso wie die Verantwortlichen in den Bundesländern ursprünglich und wiederholt jede Impfpflicht ausgeschlossen. Doch die Dynamik der Pandemie bei immer noch viel zu niedriger Impfquote lässt im Ergebnis keine andere Wahl.

Der mit der Impfpflicht vorgenommene Grundrechtseingriff ist nicht nur verfassungsrechtlich vertretbar, sondern - als Ultima Ratio - auch unter medizinethischen Gesichtspunkten verhältnismäßig, weil eine ernste Gefahr für die öffentliche Gesundheit besteht.

Kritiker befürchten, die gesetzliche Impfpflicht könnte die Widerstände gegen die Impfung verstärken und die Radikalisierung selbst gemäßigter Impfskeptiker fördern. Empirische Daten zu Reaktanz von Impfgegnern sind ins politische Kalkül zu ziehen, dürfen aber nicht die Norm des Regierungshandelns sein. Davon würde letztlich nur die FPÖ profitieren, die aus der von ihr befeuerten Spaltung der Gesellschaft politisches Kapital zu schlagen versucht. Zugleich wächst die Verdrossenheit der weithin schweigenden, aber zunehmend frustrierten Mehrheit, die sich gegen Covid-19 hat impfen lassen und die Regierungsmaßnahmen unterstützt.

In der Impffrage ist zwischen Ziel und Mittel zu unterscheiden. Die Impfpflicht ist kein Selbstzweck, sondern bestenfalls ein Mittel, weil es in der Pandemiebekämpfung keine sinnvolle Alternative zur flächendeckenden Impfung gibt. Klar ist auch: Die Impfpflicht allein reicht nicht aus. Es braucht weiterhin mehr Aufklärung, persönlich adressierte Impfangebote und eine verbesserte Kommunikation mit der Bevölkerung. Eine von manchen Experten ins Spiel gebrachte Beratungspflicht anstelle der Impfpflicht ist aber keine Lösung.

Wie wirksam die Impfpflicht sein wird, hängt entscheidend von der Ausgestaltung des Gesetzes ab. Man kann nur hoffen, dass die Regierung jetzt nicht schon wieder der Mut verlässt, den sie kurzzeitig gezeigt hat. Ist es beispielsweise klug, die Impfpflicht von vorherein mit einem Ablaufdatum 2024 zu versehen, wenn doch Experten davon ausgehen, dass auch langfristig regelmäßige Auffrischungsimpfungen nötig sein werden?

Schlimmer als keine Impfpflicht wäre eine österreichische Lösung - also eine Impfpflicht, die durch alle möglichen Ausnahmeregelungen konterkariert würde oder infolge der Verfahrensflut bei den vorgesehenen Verwaltungsstrafen schlicht undurchführbar wäre. Statt den vorliegenden Gesetzentwurf weiter zu verwässern, sind eher Nachschärfungen nötig. Flankierende Verschärfungen am Arbeitsplatz - Stichwort 2G-Regel - haben sicher einen stärkeren Effekt als Verwaltungsstrafen. Sie sollte man nicht allein den Arbeitgebern überlassen, sondern arbeitsrechtlich absichern. Nach allen Fehlern und Versäumnissen der bisherigen Pandemiepolitik wäre es ein politischer Super-GAU, würde ein zahnloses Impfpflichtgesetz in der Praxis scheitern. Dann könnte aus dem Staatsversagen eine echte Staatskrise werden.