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Bitte, lass es Fiktion gewesen sein

Von Judith Belfkih

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Dass ein Kinofilm Fiktion ist, darauf weisen den Zuseher im Nachspann oft eigene Hinweistexte hin. Frei erfunden, prangt da deutlich, Parallelen zu real existierenden Personen sind - falls nicht anders gekennzeichnet - zufällig. Auch wenn das Leben die besten Drehbücher schreibt. Bei einem Dokumentarfilm gibt die Genre-Bezeichnung an sich Orientierung: Hier wird Wirklichkeit abgebildet. Mit einem schrägen Blick oder einer anderen Perspektive vielleicht. Definitiv aber handelt es sich hier um Realität.


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Im Fernsehen sieht die Sache mittlerweile anders aus, die klar gekennzeichnete Trennlinie zwischen Realität und Fiktion ist längst verschwommen. Der Reiz mancher sogenannter Reality-Soap etwa liegt sogar darin, dass man sich während der ganzen Dauer nur eine Frage stellt: Das kann es doch nicht wirklich geben? "Frauentausch" auf RTL2 diese Woche: Nur ein provokant gecasteter Sozialporno oder mit Laiendarstellern inszeniert? Eine stark übergewichtige, arbeitslose 22-Jährige versucht einem spießigen 42-Jährigen mit schicker Wohnzimmerlandschaft das Konzept Unordnung und den Reiz von erotischer Fachliteratur nahezubringen. Eine Vierjährige kann keinen ganzen Satz bilden. Und eine biedere Hausfrau versucht einen cholerischen Unterschicht-Giftzwerg Nachhilfe in Sachen Ernährungswissenschaft zu geben. Das Experiment muss wegen wüster Beschimpfungen unter jeder Linie vorzeitig abgebrochen werden.

Was neben staunendem Grauen bleibt, ist der innige Wunsch, dass es sich hier um eine überzeichnete Inszenierung handelt. Um den genialen Einfall eines spitzzüngigen, zynischen Drehbuchschreibers. So darf Realität einfach nicht sein.