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Außenminister Sebastian Kurz hält eine Neutralität der Ukraine für überlegenswert.
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"Wiener Zeitung": War Europas Antwort auf die Krise in der Ukraine und die Annexion der Krim durch Russland adäquat?Sebastian Kurz: Das kommt auf das Ziel an: Soll ein Krieg unbedingt verhindert, eine friedliche Lösung erreicht werden, dann muss man auf Deeskalation setzen und das Gespräch suchen, auch wenn es manchmal schwerfällt. So gesehen war die Reaktion der Europäischen Union mit einem Stufenplan, der auch Sanktionen vorsieht, absolut richtig. Für mich hat Priorität, um jeden Preis einen Krieg zu verhindern.
War Krieg tatsächlich eine realistische Option?
Es gab tausende russische Soldaten auf der Krim, auch wenn diese zunächst ohne Hoheitsabzeichen auftraten. Die Stimmung in der Kiewer Regierung war extrem angespannt, es gab die Anweisung an die Soldaten, sich zu wehren, falls die russischen Truppen von der Krim in den Rest der Ukrainer weiterziehen sollten. So gesehen war ein Krieg nicht völlig ausgeschlossen, die Situation war brandgefährlich - und sie ist es noch immer. Wir müssen nicht nur einen Krieg, sondern auch die Wiederkehr eines Kalten Kriegs verhindern.
Für Österreichs Wirtschaft sind Russland und die Ukraine wichtig. Wie wägen wir diese Interessen im Falle von Sanktionen ab?
Unsere wirtschaftlichen Interessen widersprechen nicht unserer Außenpolitik, sondern sie ergänzen einander. Die Ukraine beginnt nur 500 Kilometer östlich von unseren Landesgrenzen, daher ist für uns Stabilität in der Ukraine essenziell. Und Stabilität kann es nur geben, wenn Europa und Russland aufeinander zugehen. Deshalb sprechen wir uns für eine Kontaktgruppe aus: Die Ukraine darf nicht zerrissen werden, sie darf nicht gezwungen werden, sich zwischen der EU und Russland entscheiden zu müssen. Nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch muss das Motto sein. Wir dürfen aber auch Russland nicht provozieren, ein Nato-Beitritt der Ukraine wäre zum jetzigen Zeitpunkt das falsche Signal. Die Ukraine braucht die Möglichkeit, wirtschaftlich nicht nur mit EU, sondern auch mit regionalen Partnern wie Russland zusammenzuarbeiten. Deshalb ist die Idee einer Freihandelszone zwischen der EU und Russland auch für die Ukraine interessant. Ziel muss es sein, das Blockdenken zu beenden und das Zusammenwachsen Europas schrittweise fortzusetzen.
Österreichs Teilnahme an den Sanktionen gegen Russland wird mit Kosten verbunden sein, verpasste Exportchancen, höhere Energiepreise und andere. Müssen Sie nicht den Bürgern klar sagen, was die Verteidigung europäischer Werte kosten wird?
Es gibt das Risiko, dass Russland die Situation weiter eskaliert. In diesem Fall sind Wirtschaftssanktionen unvermeidlich. Und dann wird Moskau wohl mit Gegen-Sanktionen reagieren - mit massiven Folgen für die wirtschaftlichen Beziehungen. Die Last würde nicht nur Russland, sondern teilweise auch die gesamte EU und natürlich auch Österreich zu tragen haben. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir Sanktionen nicht herbeisehnen sollten. Diese sollten stets die letzte Option sein, wenn Russland weiter auf Eskalation setzt. Ich und viele andere hoffen, dass es so weit erst gar nicht kommt.
Sie wollen der Ukrainer eine Zerreißprobe zwischen Russland und Europa ersparen. Was halten Sie von der Idee einer Neutralisierung der Ukraine, womöglich sogar nach österreichischem Vorbild?
Österreich hat mit der Neutralität sehr gute Erfahrungen gemacht, es könnte deshalb auch ein interessanter Weg für die Ukraine sein, sich als blockfrei oder neutral zu positionieren. Diese Entscheidung müssen aber die Ukrainer treffen. Ich habe mit der ukrainischen Regierung darüber gesprochen, persönlich halte ich dies für den richtigen Weg.
Hat die Ukraine die Perspektive auf einen EU-Beitritt?
Jetzt steht die schrittweise Fortsetzung der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens auf dem Programm, der politische Teil wurde ja bereits unterfertigt. Es gibt hier also ein klares Angebot der Union, das die Ukraine - zumindest gehe ich davon aus - auch annehmen möchte. Gleichzeitig brauchen wir aber auch seitens der Union die Einbindung Russlands, einen Dialog mit Moskau, wie mittelfristig eine wirtschaftliche Partnerschaft gelebt werden kann.
Aber hat Kiew auch die Chance auf einen EU-Beitritt?
Diese Frage ist noch ganz weit weg, ich kann unmöglich sagen, was in 15 oder 20 Jahren der Fall sein wird. Jetzt geht es um das Assoziierungsabkommen, dann muss ein funktionierender Rechtsstaat aufgebaut, die Korruption bekämpft werden, das Land braucht eine neue Verfassung. Grundsätzlich ist es aber so, dass Russland per se kein Problem mit einer Annäherung Kiews an die EU hat; das Problem ist, dass die eurasische Zollunion im Widerspruch zur EU steht, hier regiert nach wie vor ein überkommenes Blockdenken. Genau dies müssen wir auflösen. Dabei geht es aber um eine langfristige Vision. Gelingt es, haben wir eine gute Ausgangsbasis - für die Union, für Russland und auch für Länder wie die Ukraine, Moldau und Georgien. Grundsätzlich darf aber eines nicht geschehen: Ländern vorzuwerfen, dass sie der EU beitreten wollen. Der Westen hat mit seinem Modell von Freiheit und Wohlstand starke Anziehungskraft, vielleicht auch einmal für Moskau.
2014 hätte ein großes Jahr für die russisch-österreichischen Beziehungen werden sollen: Zahlreiche Aktivitäten waren geplant, auch ein Putin Besuch war vorgesehen. Ist das jetzt alles Makulatur?

Wir kennen alle den Status quo. Wir haben derzeit eine sehr angespannte Situation. Ein Besuch von Präsident Putin steht derzeit nicht im Raum.
Sie haben die Gnade der späten Geburt und . . .
(lachend) Sie sind der Erste, der das als Gnade bezeichnet.
. . . sind relativ frei von politischen Stereotypen des 20. Jahrhunderts aufgewachsen. Welches Verhältnis, welche Emotionen haben Sie in Bezug auf die USA und Russland?
Ich bin nicht vorbelastet, habe keine Besatzungszeit erlebt und dadurch weder gute noch schlechte Erfahrungen gemacht. Die Situation ohne Eisernen Vorhangs war für mich selbstverständlich, und gute Kontakte mit beiden Ländern vollkommen normal. Die USA und Russland sind beide Supermächte und haben Österreich aufgrund unserer Geschichte geprägt. Zu beiden sollten wir eine gute Gesprächsbasis haben.
Die Energieabhängigkeit Europas von Russland ist enorm. Was bedeutet die aktuelle Krise für die europäische Energiepolitik, was für die abgesagte Nabucco-Pipeline, die Gas aus dem Kaspischen Becken und Iran nach Europa transportieren sollte?
Dieser Konflikt ist sicher ein energiepolitischer Weckruf an alle. Es ist in Brüssel wieder stärker auf der Agenda als in den Monaten zuvor. Tatsächlich benötigen wir eine stärkere Diversifizierung und es ist auch richtig, dass Europa und Österreich insbesondere auf erneuerbare Energien setzt, nicht nur umweltpolitisch, sondern auch im Hinblick auf unsere Abhängigkeit. Manche EU-Länder ziehen daraus den Schluss, auf den Schiefergas-Boom aufzuspringen, andere wiederum wollen die Atomenergie wieder forcieren, auch die Wiederbelebung von "Nabucco" ist eine Idee. Entscheidend ist aber, dass wir in Europa jetzt eine gemeinsame Strategie in Sachen Energiepolitik entwickeln.
Zur Innenpolitik: Nehmen Sie die ungeheure Wut wahr, mit der viele Bürger der Politik insgesamt und der rot-schwarzen Regierung im Besonderen wegen den Kosten der Hypo Alpe Adria begegnen?
Ja, das spüre ich. Die Hypo hat aber auch zur Folge, dass wir beim Budget deutlich zurückgeworfen werden. Trotzdem wundere ich mich und halte es auch für bedenklich, wie es der FPÖ gelingt, dass die Wut auf die Feuerwehr größer ist als die Wut auf die Brandstifter. Wenn wir über die Hypo diskutieren, muss allen klar sein, dass in Kärnten Verbrechen an den Steuerzahlern begangen wurden; es wurden Haftungen eingegangen, für die das Land nie hätte geradestehen können. Man kann sehr wohl darüber reden, ob die Feuerwehr nicht dies oder jenes besser hätte machen können, das ist eine legitime Debatte. Was aber nicht geht, ist, dass die Brandstifter ungeschoren davonkommen.
Ist das nicht ein Versagen des rot-schwarzen Politik-Managements? Die Feuerwehr ist ja nicht erst seit ein paar Monaten an der Arbeit, sondern seit der Notverstaatlichung der Hypo Ende 2009.
Dass nichts geschehen ist, stimmt einfach nicht. Kärnten ist vor der Pleite gerettet worden. Die Verstaatlichung muss man auch vor dem Hintergrund der damaligen Situation bewerten: Nach derLehman-Pleite drohte der Kollaps des globalen Finanzsystems. Der Crash der Hypo Alpe Adria drohte zu einem Dominoeffekt für Österreich und Osteuropa mit unabsehbaren Folgen zu führen. Es ist leicht, jetzt zu sagen, dass alle damals falsch lagen. Aber der Blick zurück sollte zumindest mit einer gewissen Fairness erfolgen, im Nachhinein ist es immer klüger.
Das alles spricht doch für einen Untersuchungsausschuss.
Die Steuerzahler müssen so weit wie möglich geschont werden und wir müssen klären, was falsch gelaufen ist. Dazu gehört auch, all jene zur Verantwortung zu ziehen, die sich etwas zuschulden kommen haben lassen. Letzteres ist Sache der Gerichte, derzeit sind rund 100 Verfahren am Laufen. Darüber hinaus hat die Regierung nun eine Kommission eingesetzt, um diese Aufklärung zu unterstützen und zu beschleunigen. Schließlich gibt es noch das Instrument des Untersuchungsausschusses, den die Opposition fordert. Da kann man durchaus geteilter Meinung sein. Ich habe in den letzten Jahren den Untersuchungsausschuss als politisches Spielfeld wahrgenommen, wo es selten fair zuging; wichtiger war, jeden anzupatzen, der je politische Verantwortung trug. Wir müssen das Instrument des U-Ausschusses so weiterentwickeln, dass dort wirklich aufgeklärt und nicht nur mit Gatsch herumgeworfen wird.
Was muss passieren, dass die ÖVP nicht untergeht?
Die Volkspartei hat eine lange Tradition und sicher noch viel Zukunft. Dass wir schon wesentlich bessere Zeiten erlebt haben, stimmt. Die ÖVP wird dann wieder erfolgreich sein, wenn jeder Mandatar und Funktionär versucht, seine Aufgabe so gut wie möglich zu machen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Politik auf Grundlage von Meinungsumfragen hilft da nicht weiter; als Politiker muss man tun, was man selbst für richtig erachtet.
Kritische Analysen beschreiben den Zustand der ÖVP polemisch als Büttel von Klientelinteressen, von Banken, Beamten und Bauern.
Die ÖVP vertritt viele Interessen, von den Angestellten über die Wirtschaftstreibenden und Bauern bis hin zu den Jungen, Älteren, Frauen, den Städtern und den Landbewohnern.
Genau das wird der ÖVP aber abgesprochen, insbesondere in den Städten.
Ja, es stimmt, die ÖVP ist eine Partei, die derzeit am Land besser abschneidet. Ich glaube aber, dass der Bedarf In den Städten nach einer ordentlichen bürgerlichen Kraft vorhanden ist. Meiner Meinung nach - und ich sage das als Wiener - ist es sinnvoll, eine Partei zu haben, die ein Interesse daran hat, dass mit Steuergeld ordentlich umgegangen wird, dass sparsam gestaltet wird, dass es eine wirtschaftsfreundliche Politik gibt, weil nur dies Garant für Wachstum und Arbeitsplätze ist. Diese Nachfrage gibt es, allerdings ist auch das Angebot größer geworden, es gibt neue Parteien; doch Konkurrenz tut der Politik gut, weil sie Parteien dazu veranlasst, nicht träge zu sein, nicht selbstzufrieden zu sein - davon bin ich überzeugt.
Der frühere Vizekanzler und ÖVP-Obmann Erhard Busek sagte in der "Zeit", dass er beim letzten Mal die Neos gewählt hat.
Seitdem ich politisch aktiv bin, und das sind immerhin zehn Jahre, habe ich monatlich mitverfolgt, wie Erhard Busek die ÖVP kritisiert hat und jeden seiner Nachfolger als Bundesparteiobmann als ungeeignet bezeichnet hat. Insofern bin ich jetzt nicht überrascht, dass diesen Worten auch Taten gefolgt sind. Das ändert aber nichts daran, dass ich seine Leistungen in wissenschaftlichen Bereich aber auch im Bereich der Außenpolitik schätze, dass ich ihn für einen Menschen halte, der in vielen Bereichen auch sehr viel Wissen angehäuft hat, aber ich kenne ganz viele Menschen, die andere Parteien wählen, die ich auch für klug erachte. Es schreckt mich also nicht, dass intelligente Menschen auch andere Parteien als die ÖVP wählen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Michael Spindelegger nächster ÖVP-Spitzenkandidat wird?
Das ist, ehrlich gesagt, eine absolut unnötige Frage, zumal wir jetzt noch viereinhalb Jahre Arbeit in der Regierung vor uns haben. Die Hauptaufgabe von Michael Spindelegger ist es jetzt, als Parteiobmann, Vizekanzler und Finanzminister in einer schwierigen Zeit ordentliche Politik zu machen. Das ist seine Aufgabe, die Aufgabe der ÖVP und der gesamten Bundesregierung. Alle anderen Fragen wird man sich in den letzten Monaten vor der Wahl stellen. Michael Spindelegger ist der Bundesparteiobmann, und wenn morgen Wahlen wären, wäre er selbstverständlich ÖVP-Spitzenkandidat.
Herr Minister, herzlichen Dank für das Gespräch.