In ihrer Flüchtlingspolitik setzt die Europäische Union nun auf Abschreckung.
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Brüssel. Nach halb fünf Freitagfrüh kamen die Benachrichtigungen. Gipfelsitzung vorbei, Kompromiss zu Migrationspolitik gefunden. Zuvor hatten die Staats- und Regierungschefs der EU stundenlang um die richtigen Worte gerungen, die in die Schlusserklärung der zweitägigen Zusammenkunft in Brüssel fließen sollten. Noch am Donnerstagabend hatte Italien gedroht, dem Dokument nicht zuzustimmen. Rom pochte auf Änderungen der sogenannten Dublin-Regelung, wonach jener Staat für Asylverfahren zuständig ist, in dem die Menschen erstmals EU-Territorium betreten.
Die Zusagen, die Italien spät in der Nacht erhielt, waren dann zwar vage. Doch sie genügten für eine Einigung. Auch andere Politiker konnten ihrem Heimatpublikum berichten, sie hätten etwas Gewünschtes erreicht. Italien, Spanien und andere Staaten an den Außengrenzen erhielten die Zusicherung, dass sie von der EU unterstützt werden. Die Osteuropäer, die sich gegen eine verpflichtende Übernahme von Asylwerbern sperren, ließen festhalten, dass die Errichtung von Aufnahmezentren auf freiwilliger Basis erfolgt. Und Österreich freute sich über die prominente Rolle, die der Grenzschutz in dem Schlusstext eingenommen hat. Eingang in das Dokument haben auch die Pläne gefunden, Asylzentren außerhalb der EU einzurichten. Ein Vorhaben, das weder neu noch unumstritten ist.
Doch das Signal, das die EU nun aussendet, ist deutlich - deutlicher als zuvor. Die Anreize, illegal nach Europa einzuwandern, sollen verringert werden. Die Einreise soll erschwert werden. Die Menschen sollen überhaupt davon abgehalten werden, in die EU zu gelangen. Zu diesem Zweck soll die Grenzschutzagentur Frontex finanziell und personell aufgestockt werden. Die libysche Küstenwache, die Flüchtlingsboote abfangen soll, soll unterstützt werden. Rückführungen sollen beschleunigt werden. Für afrikanische Staaten soll es wirtschaftliche Hilfe geben, um einen "spürbaren sozio-ökonomischen Umbau" zu erreichen, der wiederum der Bevölkerung Perspektiven im eigenen Land eröffnen soll.
Umstrittene Auffangzentren
An konkreteren Vorgaben fehlt es allerdings weiterhin. So ist nicht klar, wie das "Konzept regionaler Ausschiffungsplattformen" umgesetzt werden soll. Dahinter steckt die Idee, Aufnahmezentren außerhalb der EU zu errichten, in die jene Menschen gebracht werden, die auf der Überfahrt nach Europa in Seenot geraten und gerettet werden. Diese Einrichtungen sollen gemeinsam mit dem Flüchtlingshochkommissariat UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) entwickelt werden. Allerdings hat sich noch weder ein afrikanisches Land noch ein europäisches Nicht-EU-Mitglied dazu bereit erklärt, solch ein Zentrum auf seinem Gebiet zuzulassen. Rasche Verhandlungen mit Transit- und Herkunftsstaaten seien daher notwendig, befand der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Offen ist ebenfalls, wer die "kontrollierten Zentren" in der EU selbst betreiben soll. Dorthin sollen die Asylwerber gebracht werden, die in die EU gelangt sind; dort sollen die Anträge geprüft und von dort die Menschen rückgeführt oder umgesiedelt werden. Das Interesse, solch ein Auffangzentrum zu errichten, hat noch kein Land bekundet.
Nicht fixiert wurden außerdem die Zeitpläne für eine Reform der Dublin-Regelung und die Stärkung von Frontex. Das früher kolportierte Datum 2020, bis zu dem die Grenzschutzagentur auf 10.000 Mitarbeiter anwachsen soll, findet sich in der Gipfelerklärung nicht.
So wollte denn auch EU-Ratspräsident Donald Tusk die Begeisterung über die Einigung nach der nächtlichen Sitzung in engem Rahmen halten. Es sei viel zu früh, um von einem Erfolg zu sprechen, erklärte er. Die Vereinbarung der Mitgliedstaaten sei noch "der einfachste Teil" gewesen. Nun gehe es um die Umsetzung. Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow, dessen Land noch den EU-Vorsitz innehat, sprach von einem "fragilen" Konsens.
Hilfsorganisationen üben aber jetzt schon Kritik. Pro Asyl bezeichnete die Ergebnisse der Brüsseler Zusammenkunft als "Gipfel der Inhumanität". Innerhalb und außerhalb der Europäischen Union entstünden nun Lager der Hoffnungslosigkeit. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warf den EU-Staaten vor, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, Menschenleben zu retten.
Ringen um Euro-Reformen
Die Brüche, die sich durch Europa ziehen, werden aber nicht nur in den Debatten um die Migrationspolitik sichtbar. Auch bei den Plänen für Reformen in der Eurozone gehen die Meinungen auseinander. Das Thema stand zwar ebenfalls auf der Agenda des Gipfeltreffens, doch wurde lediglich eine Stärkung von Institutionen der Währungsgemeinschaft beschlossen. Das betrifft etwa die Bankenunion oder den Euro-Rettungsschirm ESM.
Von anderen Entscheidungen sind die Mitgliedstaaten aber noch entfernt. So ist ein eigener Haushalt für den Euroraum, wie er von Frankreich gewünscht wird, nicht in Sicht.