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Diese beiden Worte hört niemand gerne, warten ist uns unangenehm. Aber warten gehört nun einmal zum Leben und es ist an uns, die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten.
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"Mama, wann kommt eeendlich das Christkind?" Für die Frage aller Fragen aus vorweihnachtlichem Kindermund gibt es leider nie eine befriedigende Antwort. Die in Aussicht gestellte Zeitspanne wird stets als zu lange empfunden. Anfänglich lenkt der Adventkalender unsere lieben Kleinen ein wenig von der Warterei ab. Doch bereits Mitte Dezember reicht das eine Fensterl am Tag bei Weitem nicht mehr aus, die aufkeimende Ungeduld des Nachwuchses zu dämpfen. Das ist eines der Phänomene des Wartens: Die Zeit scheint, je näher der Zeitpunkt rückt, immer weniger schnell zu vergehen, zunächst ziehen sich die Wochen, dann die Tage und schlussendlich die Minuten.
Langsam aber kontinuierlich geht die an sich wohlige Gespanntheit des Wartens, man könnte auch Vorfreude dazu sagen, über in Phase 2, in der nur mehr das Warten bleibt. In der keine Beschäftigung spannend genug ist, um darüber das Christkind (oder allgemein: das Ziel des Wartens) zu vergessen. Wann dieser Zustand erreicht ist, hängt vom Temperament des Sprösslings ab, von seiner Erwartungshaltung an die Geschenke und von den dargebotenen Ablenkungsmanövern - spätestens zur Dämmerstunde hat sich die wochenlange Vorfreude jedenfalls in fiebrige Aufregung gesteigert, die nur das Glöckchengebimmel aufzulösen weiß.
Diese letzte Phase des Wartens, die ganz konkrete Warterei auf etwas, während der wir nur den einen Wunsch hegen, es möge schon vorbei sein, nervt uns als Erwachsene im Alltag. Wir warten auf das Ende vom Stau, die Öffnung einer dritten Kassa im Supermarkt, den Aufruf zum Boarding mit der gleichen Ungeduld wie ein Kind auf die Bescherung. Inklusive quengeln, lamentieren, grantig sein. Allerdings hat das Kind ein anderes Motiv: Es wartet auf das freudige Ereignis; das hebt die Laune. Wir ärgern uns in erster Linie über die verlorene Zeit; das trübt die Stimmung.
Unsere omnipräsente Zeitnot gepaart mit der Tatsache, dass die wenigsten Ereignisse, auf die wir warten, Weihnachtsfreuden verheißen, macht uns das Warten zur Qual. Da sitzt man beispielsweise schon seit einer halben Stunde beim HNO im Wartezimmer, hat noch zwei Patienten vor sich, und als Belohnung winkt ein Rezept für Ohrentropfen. Zwangsläufig denkt man daran, dass man in der Zeit, in der man hier sitzt, vortrefflich die längst fällige Kalkulation fertigstellen hätte können - sieht ganz nach Überstunden aus. Verdammt, warum geht denn hier gar nichts weiter?!? Anstatt uns ins Unvermeidliche, sprich den Zeitverlust, zu fügen, werden wir unrund, ungeduldig, ja sogar zornig. Umso mehr, als wir einfach nichts dagegen tun können.
"Als besonders unangenehm wird empfunden, wenn warten mit Ungewissheit verbunden", könnte man frei nach Wilhelm Busch nun weiters sagen: Unsere Tage sind minutiös verplant und es treibt uns Schweißperlen auf die Stirn, wenn wir den exakten Zeitpunkt nicht wissen, an dem es weitergeht - das zermürbt uns noch mehr. Dieser Ausspruch gilt aber auch in Bezug auf das Ziel: Das Warten fällt uns ungleich schwerer, wenn wir gar nicht wissen, ob ein Ereignis, auf das wir uns freuen, überhaupt eintritt, also etwa, ob die neue Flamme tatsächlich von sich aus anruft.
Wie warten im Alltag empfunden wird, hängt in erster Linie von der Einstellung zur Zeit ab. Kindern erscheint Zeit noch unendlich, deswegen klagen sie nie über die verlorene sondern bloß über die viel zu langsam schleichende Zeit. Bei uns Erwachsenen, die wir zunehmend hektisch durchs Leben laufen, weil uns die Zeit an allen Ecken und Enden fehlt, ist es umgekehrt. Die Einstellung zur Zeit ist aber auch eine Kulturfrage: In Afrika beispielsweise ist Zeit nicht nur reichlich vorhanden, sondern auch ein dehnbarer Begriff. Wem das absurd in den Ohren klingt, der sei daran erinnert, dass Zeit laut Einsteins mittlerweile belegten Theorien tatsächlich keine Konstante, also relativ ist.
Für unser praktisches Leben hat das freilich keinerlei Bedeutung, egal wie biegsam die Zeit rein theoretisch sein mag, uns ist sie immer zu knapp. Eine Beschäftigung, die, wie das Warten, zu hundert Prozent aus Zeit besteht, passt uns da kaum ins Terminbudget. Andererseits liegt es an uns, diese Zeit als verloren abzutun und uns maßlos darüber aufzuregen, oder sie sinnvoll zu nützen. Dazu gilt es, zuallererst den Ärger über die Warterei abzustellen. Das geht eigentlich ganz einfach, man muss bloß akzeptieren, dass die Situation jetzt in diesem Moment eben so ist, wie sie ist. Szenario Stau: Der eine trommelt bei jeder roten Ampel nervös auf dem Lenkrad, wechselt, kaum geht es weiter, rastlos von einer Spur in die nächste und kommt dabei anderen, ebenso unentspannten Autofahrern in die Quere. Der andere legt eine CD mit seinen Lieblingssongs ein, sendet ein kurzes SMS "Stecke im Stau, komme später" und nimmt es gelassen. Beide kommen eine halbe Stunde zu spät an ihr Ziel, mit dem einen Unterschied: Der eine braucht noch gut eine Stunde, um wieder runterzukommen von seiner Gereiztheit, der andere trifft gelöst ein.
Entspannte Gelassenheit beim Warten ist reine Übungssache. Für den Einstieg hilft es, sich mantra-artig vorzubeten, dass der Zeitverlust unumgänglich ist und es nichts zu beschleunigen gibt. Befürchtet man, zum nächsten Termin zu spät zu kommen, tut man das den anderen Beteiligten kund - und für die Zukunft kann man sich vornehmen, großzügigere Zeitpuffer einzuplanen. Überhaupt lässt sich die Wartezeit gut nützen, um darüber nachzudenken, ob es möglich ist, solche Leerläufe in Hinkunft zu vermeiden. Wer dreimal in der Woche im Stau steckt, kann überlegen, auf Öffis umzusteigen. Wer ständig im Supermarkt an der Kassa Schlange steht, kann andere Einkaufszeiten erwägen. Wer ohnehin schon weiß, dass die Wartezeit beim Facharzt lähmend ist, sucht vielleicht einen anderen Doktor.
Hat man das für sich einmal geistig durchgearbeitet und verinnerlicht, dass der Zeitverlust momentan unabdingbar ist, fällt das Warten deutlich leichter. Langeweile? Aber nicht doch, wie wär’s mit: Willkommene Entspannungspause im Alltagsstress. Wie oft wünscht man sich die Zeit, endlich das spannende Buch weiterzulesen, eine Liste für die Weihnachtseinkäufe anzulegen oder in Ruhe über anstehende Entscheidungen nachzudenken - voilà, hier ist sie! Sie können die Zeit auch damit verbringen, das iPad auszupacken und Ihre Konzentration oder Ihr Gedächtnis zu verbessern, Anleitungen und Spiele gibt es zuhauf im Internet. Sie können auch Luftschlösser bauen und ins Tagträumen verfallen - und die Wartezeit so besonders fröhlich und zufrieden überstehen.
Warten ist aber auch eine vortreffliche Gelegenheit, über dies und jenes zu philosophieren, beispielsweise über das Warten selbst. Darüber, dass wir im Grunde genommen nie auf nur ein einziges Ereignis warten, das Warten aber oft nicht als solches wahrnehmen. Während wir etwa beim HNO sitzen und (hoffentlich nicht mehr zappelig) aufs Drankommen warten, warten wir auch auf das kommende Wochenende, auf die Opernpremiere in vier Wochen, auf den nahenden Frühling oder auf den Urlaub in weiter Ferne. Wir haben viele kleine und große Ereignisse in unserem Leben, auf die wir warten, ohne das als solches zu empfinden. Nur, wenn uns plötzlich wieder einfällt, dass z. B. der kommende Sonntag viel Freude in Aussicht stellt, sind wir uns des Wartens bewusst - doch rasch gehen wir wieder über zum Alltag. Wir lassen die Ereignisse auf uns zukommen, ohne jemals in die ungeduldige Phase 2 des Wartens einzutreten.
Mitunter packt uns die stürmische Ungeduld, mit der ein Kind auf Weihnachten wartet, indes wieder. Vorwiegend dann, wenn es um unseren Urlaub geht. Bahnhöfe und Flughäfen sind die Ikonen erwachsenen Wartens. Sind Abfahrt oder Abflug verspätet, lassen sich hier wieder die beiden prinzipiellen Wartestrategien beobachten: Der eine fällt aus der Rolle, weil er schließlich Pünktlichkeit gebucht hat, der andere nimmt es, wie es kommt - beide sind zur gleichen Zeit am Ziel. Ersterer hat sich damit seine ganze Vorfreude kaputt geschlagen, Letzterer hatte eventuell sogar noch Muße darüber zu sinnieren, wo das Warten denn nun eigentlich sein Ende findet? Beim Boarding, beim Abheben, beim Aufsetzen oder vielleicht nach der Passkontrolle oder gar erst beim Eintreffen im Hotel? Schließlich warten wir ja nicht wirklich auf den Abflug, sondern auf den Urlaub.
Manchmal sind wir auch gezwungen auf Ereignisse zu warten, auf die wir uns nicht freuen. Auf eine anstehende OP etwa, auf einen Gerichtstermin oder auf das Familientreffen bei Tante Mizzi. Das erschwert uns das Warten noch ein Stück. Doch anstatt die Zeit damit zu verbringen, uns davor zu fürchten, können wir an unserer Technik feilen, Unangenehmes zu bewältigen. Letztendlich ist das ganze Leben ein Warten auf den Tod. Just daran aber sieht man leicht, wie perfekt sich Warten ins Unterbewusste verdrängen und wie sinnvoll sich die Zeit bis dahin nutzen lässt. Das funktioniert bis hinunter zur kleinsten Zeiteinheit.