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Bittere Aussichten

Von Michael Schmölzer

Politik

Erste Weichen für Ampel-Koalition in Deutschland gestellt. Laschet-Kritiker in der Union sehen klare Vorentscheidung.


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Die Jamaika-Koalition zwischen Union, Grünen und FDP ist noch nicht völlig vom Tisch, doch bewegt sich der deutsche Zug derzeit klar in Richtung einer SPD-geführten Ampel-Regierung. Am Mittwoch haben Grüne und die FDP erste Weichen gestellt, beide Parteien nehmen Dreier-Sondierungen mit den Sozialdemokraten rund um SPD-Parteichef Olaf Scholz auf.

Der zeigte sich über den Start der Gespräche erfreut. Die Bürgerinnen und Bürger hätten der SPD einen Auftrag gegeben, dass eine Regierung zustande komme, so Scholz: "Es ist jetzt an uns, das auch umzusetzen."

Eine eindeutige Festlegung haben Grüne und FDP aber auch jetzt vermieden, ein Bündnis mit der Union sei immer noch möglich heißt es hier. "Der Keks" wäre "noch lange nicht gegessen", so Grünen-Co-Chef Robert Habeck. Immerhin gilt es, der SPD noch möglichst viele Zugeständnisse abzuringen.

Auf Tribüne verwiesen

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet ist auf die Zuschauerbank verwiesen - wo es für den großen Verlierer der Wahl stündlich unbequemer wird. In einer Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen meinte er: "Wir respektieren, dass es jetzt erstmal Gespräche von FDP und Grünen mit der SPD geben wird." Man stehe aber weiter für Gespräche mit Grünen und FDP bereit.

Laschet will politisch seinen Kopf retten und kann nur hoffen, dass die Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP scheitern und er mit seiner ramponierten Union doch noch zum Zug kommt.

Am Mittwoch sind die Grünen vorgeprescht. Am Vormittag verkündeten die Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock, dass es sinnvoll sei, jetzt "vertieft" mit FDP und SPD zu verhandeln. Die rasche Ankündigung war mit der FDP nicht abgesprochen, die Liberalen ließen mit ihrer Reaktion aber nicht lange auf sich warten: Man habe das Angebot eines Gesprächs mit der SPD angenommen, so der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Unmittelbar davor beharrte er darauf, dass es die größten Überlappungen weiter mit der Union gebe. In der Tat wäre eine Ampel-Koalition für Deutschlands Liberale wohl weniger vorteilhaft, während SPD und Grüne politisch in weiten Teilen auf einer Linie liegen.

Lindner will weiterhin eng abgestimmt mit den Grünen vorgehen, eine Strategie, die er selbst gleich nach den Wahlen ins Spiel gebracht hat. Bei allen Unterschieden gebe es mit den Grünen die Überzeugung, "dass unser Land erneuert werden muss", so Lindner. Er kann sich eine Art gemeinsames "fortschrittfreundliches Zentrum" vorstellen.

"Jamaika" für Söder passé

"Der nächste Schritt ist nun ein Gedankenaustausch von drei Parteien", beschrieb Lindner das Prozedere, wobei die Grünen zur Eile mahnen und betonen, dass "sich dieses Land keine lange Hängepartie leisten kann". "Nach einem Dreiergespräch werden wir erneut bewerten, wo wir stehen und wie es weitergeht", so die Öko-Partei via Twitter. Die Aufnahme konkreter Koalitionsverhandlungen ist bei den Grünen abhängig von der Zustimmung eines großen oder kleinen Parteitages.

Bei FDP und Grünen kommen entgegen allen Sympathiebekundungen starke Zweifel auf, ob es sich bei der Union um einen stabilen potenziellen Partner handelt. Nach 16 Jahren an der Macht ist die Partei für alle unübersehbar in die Krise geschlittert, Laschet wird offensichtlich nur bis auf Widerruf an der Spitze geduldet. Ein großer Teil der Parteielite ist für eine programmatische Neubesinnung und personelle Änderungen.

Dazu kommt, dass CSU-Chef Markus Söder nur wenige Gelegenheiten auslässt, Laschet zu düpieren. Die Entscheidung von Grünen und FDP zu Dreier-Gesprächen mit der SPD wären eine "klare Vorentscheidung" und "De-facto-Absage an Jamaika", so Söder am Mittwoch. Man müsse sich damit vertraut machen, dass es sehr wahrscheinlich eine Regierung ohne die Union geben werde. Und: Die CSU sei kein "Ersatzrad", falls die Ampel-Gespräche scheiterten.

Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU sieht die Union nun nur noch in der Rolle des Beobachters. "Soeben hat der Ampel-Zug den Bahnhof verlassen", twitterte Altmaier. Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner meinte, "nach 16 Jahren Regierungsführung stehen wir vor einer Zäsur. So hart das ist, aber wir müssen diese Situation jetzt als Chance begreifen."

Nicht auf einer Linie

Erst am Dienstag war der Ärger bei den Grünen Baerbock und Habeck groß gewesen, weil erneut Details zu Aussagen der Grünen aus dem Gespräch mit CDU und CSU über die "Bild"-Zeitung an die Öffentlichkeit gekommen waren. "Vertrauen bedeutet natürlich auch, dass alles nicht danach in der Zeitung steht", so Baerbock. CDU-Präsidiumsmitglied und Gesundheitsminister Jens Spahn nannte die Indiskretionen aus den Sondierungen "ätzend und verantwortungslos".

Zwar sind die ersten Weichen für die "Ampel" gestellt, die Partner in spe sind aber alles andere als auf einer Linie. So wollen SPD und Grüne eine Entlastung bei kleinen und mittleren Einkommen, zudem treten beide Parteien für leichte Anhebungen beim Spitzensteuersatz ein. Die FDP lehnt Steuererhöhungen ab und will den Spitzensteuersatz erst ab einem viel höheren Betrag greifen lassen. SPD und Grüne fordern eine Vermögensteuer, die FDP lehnt auch das ab. Die Grünen verlangen, die verfassungsrechtliche Schuldenbremse durch eine "Investitionsregel" zu ergänzen, die eine Erneuerung der Infrastruktur ermöglichen soll, die FDP verweigert sich.

Die kommenden Verhandlungen werden also mit Sicherheit kein Spaziergang.