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Indien zeigte der Welt den größten Stromausfall aller Zeiten: 600 Millionen Menschen auf dem Subkontinent hatten am Dienstag keine Stromversorgung mehr. Am Montag waren es "erst" 300 Millionen. Indiens Regierung reagierte so, wie man es von Politikern kennt: Die anderen sind schuld. Indische Provinzen hätten dem Stromnetz mehr Energie entnommen, als vereinbart gewesen sei - das führte im Nordosten des riesigen Landes zu weitflächigen Stromausfällen. Das instabile Stromnetz brach zusammen.
Es rächt sich in Indien, dass die Stromerzeugung mit dem Wirtschaftswachstum nicht Schritt halten konnte. Bis 2017 soll sich der Stromverbrauch im 1,2-Milliarden-Einwohner-Land nochmals verdoppeln. Riesige Kohlekraftwerke sind in Bau oder geplant - allerdings verzögert durch lasche und korrupte Behörden. Und das Ganze mit einem Stromnetz, das auf diesen ungeheuren Energiefluss nicht ausgelegt ist.
Die Auswirkungen sind monströs: Tote, Verletzte, Operationen in Spitälern bei Kerzenschein, hunderte stecken gebliebene Züge, Ausfall von Wasserwerken in Millionenstädten - sowie immense wirtschaftliche Schäden. "Strom ist für die Wirtschaft wie Blut für den menschlichen Körper", erklären Ökonomen.
Das Chaos in Indien trifft die Menschen dort hart, sollte aber wenigstens in Europa den energetischen Denkprozess beschleunigen. Überforderte Leitungsnetze gibt es auch in Europa. Nationale Staaten, die dem grenzüberschreitenden Leitungsverbund Strom entnehmen oder einspeisen, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt, gibt es auch in Europa. Auch in der EU warnen Energieexperten vor einem großflächigen Blackout. Was dann passiert, kann nun als Realexperiment in Indien beobachtet werden. Mit einer Einschränkung: Die Auswirkungen im höher technisierten Europa wären noch weitaus verheerender.
Europa braucht - auch wenn das atomstromfreie Österreich aufjault - eine "Energieunion". Verbrauch, Produktion und Verteilung des Stroms müssen abgestimmt und gemeinsam reguliert werden. Indien kann hier als negatives "role model" fungieren:
In 20 der 28 (recht selbständigen) indischen Provinzen fiel am Dienstag der Strom aus. Sollte in Europa in 20 der 27 EU-Mitgliedsländer der Strom ausfallen, wäre die Euro-Krise sehr schnell eine vergleichsweise geringe Sorge.