Tony Blair warnte bereits Ende Juni 2007 vor der Politik seines Nachfolgers. | Die Veröffentlichung eines äußerst kritischen Memos des früheren Premierministers Tony Blair über seinen Nachfolger Gordon Brown hat die politische Führungskrise in Großbritannien weiter angeheizt. In dem Dokument, aus dem die Sonntagszeitung "Mail on Sunday" zitierte, warnte Blair schon vor einem Jahr, dass der seit Ende Juni 2007 amtierende Brown der Labour-Partei erheblichen Schaden zufüge.
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Blair warf seinem Nachfolger in der Notiz vor, er verfolge als Premier eine "beklagenswerte" Strategie der Zurückweisung all dessen, was Labour in einem Jahrzehnt an der Macht erreicht habe. Mit einer solch "zerstörerischen" Politik arbeite Brown dem Oppositionsführer David Cameron von der Konservativen Partei direkt in die Hände. Brown habe "Arroganz und Ideenlosigkeit" generiert und es versäumt, eine politische Agenda für die Zukunft aufzuzeigen.
Schlechte Entscheidungen Browns ließen Oppositionsführer Cameron nun als starke Alternative zur Labour-Partei erscheinen. Das wirkliche Problem liege nicht in der Brillanz der Konservativen, sondern in der inhaltlichen Leere der Labour-Partei, kritisierte Blair. Das lasse die Tories gewichtig und als Vertreter der Zukunft erscheinen.
Blair soll die Notiz nach der Entscheidung Browns im vorigen Jahr verfasst haben, auf Neuwahlen zu verzichten. Eine Abstimmung kurz nach seinem Amtsantritt 2007 hätte Browns Position möglicherweise konsolidiert und Labour den vierten Wahlsieg in Folge eingetragen.
Nach Einschätzung der Labour nahestehenden Sonntagszeitung "The Observer" droht durch das Blair-Memo in der Regierungspartei "ein offener Krieg" zwischen Verbündeten und Gegnern des Premierministers. Mit der Veröffentlichung gerate der politisch angeschlagene Premierminister, der in seiner Partei für drei Nachwahl-Niederlagen von Labour in Folge verantwortlich gemacht wird, noch stärker unter Druck, hieß es in Kommentaren.
Nach unbestätigten Berichten bereitet Brown derzeit in seinem Urlaub in der ostenglischen Grafschaft Suffolk eine Regierungsumbildung sowie ein Programm für die Bewältigung der Wirtschaftskrise in Großbritannien vor. Er wolle damit Forderungen nach seinem Rücktritt begegnen, hieß es.
Unterstützung bekam der Premier am Sonntag von drei Kabinettsmitgliedern, die zum Brown-Lager gerechnet werden. Schatzkanzler Alistair Darling, die Labour-Fraktionschefin Harriet Harman und Bildungsminister John Denham erklärten, Brown sei der richtige Mann, die Partei zu führen.
Erst wenige Tage vor dieser neuerlichen Zuspitzung der Labour- Krise hatte Außenminister David Miliband, der als möglicher Nachfolger für Brown gilt, in einem Grundsatzartikel die Notwendigkeit betont, die Partei zu modernisieren. Brown erwähnte er in seinen Überlegungen zur Zukunft der Partei mit keinem Wort.
Derweil bestätigte sich in repräsentativen Umfragen, dass die Regierungspartei bei einer Wahl die politische Macht an die Konservativen verlieren würde. Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts BPIX kämen die Tories auf 47 Prozent, während Labour nur noch 24 Prozent der Stimmen bekäme, gefolgt von den Liberaldemokraten mit 16 Prozent. Das Institut ICM erklärte, selbst wenn Premierminister Brown zurücktritt und Außenminister Miliband das Spitzenamt übernimmt, würde es Labour derzeit kaum gelingen, Wähler zurückzugewinnen.