Heute, Freitag, übernehmen der britische Premier Tony Blair und seine Regierungsmannschaft den EU-Vorsitz. Blair will die Strukturen des europäischen Haushalts grundlegend reformieren und die Erweiterung vorantreiben. Während seine Verbündeten auf die Konkretisierung der Ankündigungen hoffen, stehen bereits mächtige Gegner in den Startlöchern.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Globales Europa" soll das Motto des britischen Vorsitzes sein. Europa "soll die Herausforderung der Globalisierung annehmen und für sich nutzen", erklärte Blair am Donnerstag. Mit positiven Formulierungen und brillanter Rhetorik hat der neue Ratspräsident auch vorerst die Stimmung zu seinen Gunsten herumreißen können. Hatte er nach dem gescheiterten EU-Gipfel als Buh-Mann schlechthin gegolten, so gestehen ihm nun Politiker aller Couleurs zumindest zu, eine wichtige Diskussion über Europa und seine Ziele angeregt zu haben.
Eine der obersten Prioritäten der Briten ist gleichzeitig eine der umstrittensten: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen am 3. Oktober beginnen. Dazu stehe Großbritannien felsenfest, bekräftigte Außenminister Jack Straw. Ein erster Test dazu wird bereits am 18. Juli erwartet, wenn er mit seinen europäischen Kollegen über den Verhandlungsrahmen abstimmen muss. Frankreich aber auch Österreich fahren hier einen sehr kritischen Kurs - ebenso wie die CDU, die ab September Deutschland regieren könnte.
"Hart arbeiten" will die britische Regierung laut Straw auch für eine Einigung über den EU-Finanzrahmen 2007 bis 2013. Überdeutlich hat Blair aber seine Bedingungen genannt: Im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit Europas müsse zumindest für die zweite Hälfte der Periode das Agrarbudget deutlich beschnitten werden. Damit müsse Geld für Forschung, Innovation und Bildung bereitgestellt und so mittelfristig die Arbeitslosigkeit gesenkt werden. In den meisten neuen Mitgliedsstaaten im Osten läuft Blair mit letzter Forderung offene Türen ein. Frankreich schließt indes weitere Kürzungen des Agrarbudgets aus.
Auch mit der Durchsetzung der Dienstleistungsrichtlinie samt Binnenmarktprinzip (neu für Herkunftslandprinzip) hat sich Blair ein höchst kontroversielles Thema ausgesucht. Und selbst Vorschläge zu Bürokratieabbau oder Europas Führungsrolle bei der weltweiten Entwicklungshilfe mit Fokus Afrika könnten auf Misstrauen stoßen, fürchten britische Europa-Experten. Schließlich hatte auch die harte Haltung der Briten beim Beitragsrabatt den Finanzgipfel scheitern lassen. "Viel mehr als eine Afrika-Konferenz wird im Endeffekt bei der Präsidentschaft nicht herauskommen", befürchtet ein langjähriger Beobachter.