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Blairs Plädoyer für Europa

Von Wolfgang Tucek, Brüssel

Europaarchiv
Er wolle die EU keineswegs auf eine Freihandelszone reduzieren: Tony Blair, designierter Ratspräsident, wies im EU-Parlament die "verzerrte Darstellung" seiner Position zurück. AP/Wijngaert

Die Europäische Union müsse sich verändern, um überleben zu können. Unter diese Maxime stelle er den britischen Vorsitz, erklärte Großbritanniens Premier und künftiger EU-Ratspräsident Tony Blair gestern, Donnerstag, dem Europaparlament. Das soziale Modell müsse modernisiert, ein finanzieller Schwerpunkt rasch im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit Europas gesetzt und die Erweiterung fortgeführt werden.


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In einem Punkt seien sich alle einig, sagte Blair: "Europa befindet sich inmitten einer tief greifenden Debatte über seine Zukunft." Keineswegs gehe es dabei um eine Entscheidung zwischen einem "freien Markt" und einem "sozialen Europa". Damit "soll der Wunsch nach Veränderung als Verrat am europäischen Ideal hingestellt und eine ernste Debatte verhindert werden." Den Rückschritt zu einem reinen Wirtschaftsraum Europa werde er "niemals akzeptieren". Dass er sich als "leidenschaftlichen Europäer" bezeichnete, quittierten zahlreiche Parlamentarier mit Gelächter.

"Ich glaube an das politische Projekt Europa", beharrte Blair. Um dieses zu retten müsse man sich aber den globalen Herausforderungen stellen. Denn "Ideale überleben durch Veränderung". Die Verfechter des "europäischen Sozialmodells" frage er: "Was für ein soziales Modell soll das sein, bei dem mehr als 20 Millionen Menschen ohne Arbeit sind?" Es gelte nun, die Realität zu erkennen, und darauf zu reagieren. Hinter die USA sei die EU in der Wettbewerbsfähigkeit längst zurückgefallen. China und Indien erleben einen beispiellosen Boom. Man könne daher nicht heute mit "protektionistischen Maßnahmen" einen Arbeitsplatz retten auf Kosten vieler in der Zukunft.

Deshalb müsse Europa endlich eine Wissensgesellschaft werden und Geld in Ausbildung, Forschung und Technologieentwicklung investieren. In diesem Kontext sei seine Ablehnung des Luxemburger Budgetkompromisses zu sehen, der auch in zehn Jahren noch 40 Prozent des Haushalts für Landwirtschaft vorgesehen habe. Niemals habe er aber die gemeinsame Agrarpolitik abschaffen oder "über Nacht" zusammenstutzen wollen, wandte er sich gegen Vorwürfe aus Luxemburg, Frankreich und Deutschland. Vielmehr sei er der erste britische Premier gewesen, der "den Beitragsrabatt auf den Verhandlungstisch gelegt hat".

Umgehend brauche Europa ein "vernünftiges Budget", stellte Blair fest. Dafür werde er sich in den sechs Monaten seiner Präsidentschaft einsetzen. Dies könne auch die Grundlage für die Erhaltung des "sozialen und fürsorglichen Dimension" der EU sein. Mit der Erweiterung müsse fortgefahren werden. Die Verpflichtungen gegenüber der Türkei, die am 3. Oktober Beitrittsverhandlungen starten soll, und Kroatien müssten eingehalten werden. Ein Stopp "würde nicht einen Arbeitsplatz retten, nicht eine Betriebsabwanderung verhindern", betonte der Premier.

Sowohl EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso als auch die Vorsitzenden der größten Parlamentsfraktionen EVP und SPE versicherten Blair ihre Zusammenarbeit für Europa. Die meisten Parlamentarier wollen Blair aber nicht nach seiner brillanten Rhetorik, sondern nach seinen Taten messen. Umgehend urgierte EVP-Vorsitzender Hans-Gert Pöttering die Frage der Grenzen der Europäischen Union. SPE-Vorsitzender Martin Schulz forderte konkrete Maßnahmen zu Senkung des britischen Beitragsrabatts.

Dokument

- Rede im Wortlaut

- Applaus für Blair aus dem Osten