Aus Anlass ihres 100. Geburtstages eine Erinnerung an die Schauspielerin, die vor allem in Musicals große Erfolge an Wiener Bühnen feierte.
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Die liebenswerte Blanche Aubry (1921-1986) war eine Bühnen- und Filmdarstellerin, die in Wien von 1959 bis Mitte der Achtzigerjahre auf drei bedeutsamen Bühnen (Burgtheater, Volkstheater, Theater an der Wien) das Publikum faszinierte. Eine Zusammenfassung von Leben und Wirken zur 100. Wiederkehr ihres Geburtstags, der am 21. Februar ansteht, ist angesichts verstreuter Informationen und eines dünnen biografischen Schrifttums gar nicht einfach. So sei dem Theaterwissenschafter Thomas Blubacher für seine profunden Forschungen zur Bühnenkarriere von Blanche, dem exzeptionellen und kulturaffinen jurassischen Priester M. l’abbé Gabriel Aubry (Namensgleichheit ist Zufall) für die Information über die sonst nirgendwo genannte Mutter der Schauspielerin, Estelle Aubry, und der frankophonen Autorin Perrin Bourgeais für ihre Recherchen (kürzlich publiziert in "Le Franc-Montagnard") herzlich gedankt.
Seit bald 35 Jahren ruht die Schauspielerin, die vor allem in Musicals ("Der Mann von La Mancha", "Cabaret", "Candide") große Erfolge feierte, am Wiener Zentralfriedhof, in einem Ehrengrab, wohin ihr der Ehemann, der in Berlin 1928 geborene Schauspielerkollege Götz von Langheim, 2013 gefolgt war.
Die Schweizerin, nach der in Wien-Döbling ein Weg unweit der ehemaligen Sieveringer Filmstudios benannt wurde, stammte aus den jurassischen Freibergen. Als Tochter des Uhrenmechanikers Abel Pierre Louis und Estelle (geborene Bouverat) Aubry wuchs Blanche Arsénie Marie im idyllischen Les Breuleux auf, war indessen Bürgerin des benachbarten La Chaux-des-Breuleux. Die beiden Gemeinden, die seit 1979 zum Kanton Jura gehören, sollen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung fusionieren - ein Prozess, der noch im Gange ist und die Datensuche derzeit nicht erleichtert.
Die Karriere von Blanchette, wie sich Aubry zunächst nannte, begann nach einer Schauspiel- und Tanzausbildung am Basler Stadttheater, bald folgten Filmrollen, beginnend mit "Gespensterhaus" (1942) und dem Jugendfilm "Die Maturareise" (1946). Als Bardame Mary zeigte Blanche ihr Talent an der Seite des legendären "Polizischt Wäckerli" (1955), dargestellt vom legendären Schaggi Streuli (alias Emil Kägi), der aus dem Zürcher Oberland stammte.
In Trudi Schoops Ballett wirkte Aubry seit 1939 mit, die Lehrjahre bei der legendären Choreografin und späteren Tanztherapeutin in Los Angeles sollten für ihre herausragende Performance im aufkommenden Musical-Genre bedeutsam werden. Parallel zur noch bescheidenen Filmkarriere trat Aubry auf Zürcher Kabarettbühnen, darunter dem Cabaret Fédéral, auf. Später kreierte sie mit ihrem damaligen Lebensgefährten Leopold Biberti einen beliebten Conference-Stil auf der Bühne der Basler Komödie.
"Großstädtische Mimin"
Diese Rollen und der Stil prädestinierten sie als "Salondame" auf Wiener Bühnen, wo sie in Fritz Hochwälders Stück "Donnerstag" 1959 debütierte. Da Hochwälder aus Wien-Neubau stammte, aber nach seiner Emigration in Zürich lebte, trafen einander hier zwei Künstler, die für die Schweiz und Österreich gleichermaßen bedeutsam waren. Im Tod sind sie auf derselben Wiener Nekropole im Ehrenhain der Künstler vereint.
Aubry vervollständigte ihr Repertoire und zeigte sich als "großstädtische Mimin", wie es Burgtheater-Kollegin Helene Thimig treffend formulierte, ebenso wie als vielseitig-originelle Schauspielerin, als die sie der legendäre Theaterdirektor Ernst Haeusserman (Burgtheater, Josefstadt) charakterisierte. Sie verzauberte das Wiener Publikum als "süßes Wiener Mädel" in Schnitzler-Einaktern ("Anatol"-Zyklus) als auch in den tiefschürfenden Beziehungsdramen desselben psychoanalytisch fundierten Wiener Autors und Arztes ("Liebelei", "Reigen").
Ihre Vielseitigkeit dokumentierte Aubry, indem sie als Darstellerin in Molière-Komödien ("Der eingebildete Kranke", "Der Geizige") brillierte, aber auch in modernen Dramen von Eugène Ionesco ("Der König stirbt", "Die Stühle"), Max Frisch ("Tryptichon"), Vaclav Havel ("Das Berghotel") und Samuel Beckett ("Glückliche Tage" - ihre letzte Bühnenrolle als Winnie 1984, in welcher die zuletzt von schwerer Krankheit gezeichnete Mimin überzeugte).
Als Höhepunkt ihrer Karriere ist indessen die Darstellung der Aldonza/Dulcinea im Musical "Der Mann von la Mancha" mit Josef Meinrad (Don Quixote) und Fritz Muliar (Sancho Pansa) anzusehen, das 1968 am Theater an der Wien Premiere hatte und jahrelang Zuseher in die Operntheater (Volksopern-Repertoire, später mit Dagmar Koller in derselben Rolle) lockte. In Ebb/Kanders "Cabaret" (1970) agierte Aubry als Conferencier (Monitor) und in
Leonard Bernsteins "Candide" war sie im Ensemble der deutschsprachigen Erstaufführung.
Ihr Gesangstalent wird neben der Plattenaufnahme des nach der Vorlage des Cervantes-Epos von Leigh/Wasserman/Darion geschaffenen Musicals auch in Aufnahmen von Christian Morgensterns alten Galgenliedern (mit Georg Kreisler und Friedrich Gulda) offenbar - und ist bis heute auf analogen Tonträgern nachhörbar.
Weitere Details ihrer Bühnenkarriere können bei Thomas Blubacher in dem von Andreas Kotte edierten Theaterlexikon der Schweiz, in einem Historischen Lexikon der Eidgenossenschaft und in Wikipedia nachgelesen werden. Was zwischen den Zeilen von Fachpublikationen anlässlich dieses Hundertjahrjubiläums abgesehen von Ehrungen (u.a. Kainz-Medaille, Ehrenmitgliedschaft im Burgtheater) aber nicht gefunden werden kann: Die Tragik eines zu kurzen Lebens, das künstlerische und menschliche Höhepunkt aufwies und mit Leiden und Tapferkeit endete.
Aufbau und Prosperität
Ein Leben, das ideellen Zielen der Kultur, dem Tierschutz und der Meinungsfreiheit gewidmet war, die in der Schweiz in den Jahren 1939 bis ’45 zwar noch hochgehalten wurde im Gegensatz zu den "großdeutschen" und italienischen Nachbarn, dennoch ebenfalls bald in Gefahr war - und durch eine hochbegabte Riege an Frauen und Männern in den Kabaretts dieser Jahre verteidigt und gesichert wurde. Damit überlebte eine Kunstform, die es in autoritären Zeiten in Österreich und Deutschland nicht mehr geben durfte oder die nur noch als bloße Farce auf Berliner und Wiener Bühnen existierte.
In der Nachkriegszeit lieferte die selbstbewusste und sensible Blanche Aubry jene Unterhaltung, die bitter nötig war, um Aufbau und harte Arbeit zu ertragen. Und in den Jahren der Prosperität schraubte sie als gereifte Mimin das Niveau in Gesang, Tanz und Darstellung auf den Wiener Bühnen in die Höhe. Sie gehört damit ins kulturelle Erbe der Schweiz, vor allem der Romandie, aber auch von Basel und Zürich, aber auch in die Erinnerungskultur des österreichischen Publikums, dem sie viel Freude bereitet hat.