Spätentschlossene und hohe Wahlbeteiligung sorgen für enorme Kluft zwischen Prognosen und Wahlergebnis.
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Wien. Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, soll der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill einmal gesagt haben. Die politische Meinungsforschung gehört zu den Verlierern der Wien-Wahl. Denn selten lagen prognostiziertes und tatsächliches Wahlergebnis so weit auseinander wie hier.
Haarscharf und hauchdünn hätte das Duell um Wien zwischen SPÖ und FPÖ werden sollen. In Meinungsumfragen sagte man der SPÖ noch 34 bis 37 Prozent voraus, der FPÖ 33 bis 36 Prozent. Das tatsächliche Wahlergebnis fiel dann in der Hochrechnung um 18 Uhr mit 39,5 (SPÖ) zu 30,9 (FPÖ) überraschend deutlich aus.
"Es ist erstens schwierig, von den Menschen eine ehrliche Antwort zu bekommen. Und zweitens vorherzusehen, ob sie dann tatsächlich wählen gehen", erklärt Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswissenschaften an der Universität Wien. Und bei dieser Wahl war es besonders schwierig.
Viele Spätentschlossene machen Prognosen schwierig
Denn immer mehr Wähler entscheiden immer später, manchmal sogar erst spontan in der Wahlkabine. Die letzten Umfragen zur Wahl, etwa von Sora, wurden aber Tage bis Wochen vor der Wahl durchgeführt.
Zudem, so Ennser, hätte die ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung die Prognosen verfälscht. Mit knapp 74 Prozent war diese so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Diese Gruppe der bisherigen Nichtwähler, erklärt der Politologe, wurde von den Meinungsforschern im Vorfeld nicht beziehungsweise anders berücksichtigt. Oder einfach gesagt: Es ist unmöglich vorherzusagen, wie jemand heute wählt, der es seit 15 Jahren nicht getan hat.
Und noch ein neues Phänomen hat diese Wahl zutage gebracht. Es scheint immer weniger verpönt, sich in Meinungsumfragen als FPÖ-Wähler zu deklarieren. Bisher hatten zum Beispiel die Grünen bessere Umfrageergebnisse als Wahlergebnisse, die FPÖ umgekehrt. Das scheint sich langsam zu ändern.
"Die Institute müssen einen besseren Einblick in ihre Rohdaten geben", sagte Ennser im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Er fordert mehr Transparenz von den Umfrageinstituten. Zwar gebe es meist Informationen zur Stichprobe und zum Erhebungszeitraum, selten aber zur Rekrutierung, den angewandten Rechenmodellen und den vorab getroffenen Annahmen, was deren Zuverlässigkeit einschränkt.