Die alten Schnellbahnzüge sind nicht barrierefrei - neue Prestigeprojekte werden vorangetrieben, geplagte Eltern im Nahverkehr müssen warten.
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Ist es Eltern zumutbar, mit dem Kinderwagen vom hinteren Stationsaufgang einmal den ganzen Bahnsteig entlang ganz nach vorne zur ersten Tür zu gehen, auch wenn sie nachher vielleicht eigentlich beim hinteren Stationsaufgang wieder hinaus müssen? Ganz zu schweigen von jenen, die auch noch ein zweites Kleinkind mithaben, das schon (mehr oder weniger gut) zu Fuß unterwegs ist und den ganzen Weg zum Zuganfang mitgehen muss.
Und ist es sinnvoll, nach vorne zu hatschen, auch wenn der hintere Zugteil leer ist? Ja, sagen die ÖBB. Damit der Zugführer den Kinderwagen besser sieht, so das Argument.
Dass das als Schikane empfunden wird, ist nachvollziehbar. Zumal Fahrräder überall rein dürfen.
Es ist allerdings nur die Spitze eines Eisberges, der sich seit Jahrzehnten im Wiener Nahverkehr auf der Schnellbahn-Stammstrecke auftürmt. Denn mit den blau-weißen Schnellbahn-Garnituren der Reihe 4020 ist es ja so: 1978, als man die ersten Züge in Betrieb nahm, dachte man offenbar nicht groß darüber nach, ob drei Stufen hinderlich beim Einsteigen mit Kinderwagen sein könnten - von Rollstühlen ganz zu schweigen. (Nebenbei: Zwillings-Eltern berichten, dass ihre Doppelkinderwagen wegen der Mittelstange nicht einmal durch den Einstieg passen.) Sofern man es überhaupt bis zum Zug schafft - denn es gibt ja auch immer noch Bahnhöfe, die gar keinen Aufzug und nicht einmal eine Kinderwagenrampe auf den steilen Treppenstufen haben!
Dass die Zugtür zu schnell zugehen könnte, ist jedenfalls die geringste Sorge jener Eltern, die mit den Einstiegsstufen zu kämpfen haben. Der letzte Schnellbahnzug mit Stufeneinstieg wurde 1987 gebaut. Warum hat man es seither noch immer nicht geschafft, diesen Typ zu ersetzen? Seit 1996 gibt es barrierefreie Doppelstock-Wendezüge, 2004 wurde der Talent eingeführt - davon hätte man längst mehr Garnituren bestellen können. An den Kosten kann es ja wohl nicht liegen. Schließlich ist genug Geld für neue Basistunnel, schönere Bahnhöfe und noch komfortablere Fernreisezüge da. Im Nahverkehr aber müssen sich Eltern mit Kinderwagen noch fünf bis zehn Jahre lang in Züge hinein mühen, die älter sind als sie selbst.