Die KPÖ wuchs mit Politik für Mieter zur Großpartei. Nun wandert das Wohnressort zur FPÖ. Was nun?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Graz. Ernest Kaltenegger ist in Graz für viel bekannt, aber wahrlich nicht für ausufernde Rundumschläge. Doch bei einer Pressekonferenz vergangene Woche ließ der Vater des Grazer Politikphänomens KPÖ, der sich eigentlich schon lange aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hatte, seinem Zorn freien Lauf: "Den Umgang bei den Regierungsverhandlungen habe ich als skandalös betrachtet. Es war von Anfang an klar, dass eine sozial engagierte Politikerin kein Ressort bekommt, das einen sozialen Touch hat. In meinen Augen würde ich das nur einem rachsüchtigen Kleingeist zutrauen." Und er ließ noch klarere Worte folgen: "Letztklassig, ich als Bürgermeister würde mich schämen." Was war geschehen?
Die Grazer KPÖ hatte einst unter Kalteneggers Führung von 1998 weg das Wohnungsressort der Stadtregierung unter anderem als eine Art Caritas für Wohnungsnotleidende interpretiert und sich damit nicht nur einen Namen, sondern viele Freunde gemacht - was sich in kontinuierlichen Wahlerfolgen nahe der 20-Prozent-Marke manifestierte. Als im Februar erneut zur Urne geschritten wurde, war das nicht anders. Doch die Verteidigung des zweiten Platzes ging nicht mit der Beibehaltung des Vizebürgermeisterstuhls einher. Die Bürgermeisterpartei ÖVP mit Siegfried Nagl an der Spitze hatte schon vorab eine weitere Zusammenarbeit mit den Kommunisten ausgeschlossen. Immerhin hatten herbstliche Streitigkeiten um das Murkraftwerk - die KPÖ wollte eine Volksbefragung, die ÖVP nicht - eine ÖVP-KPÖ-Koalition vorzeitig beendet. Nach den Wahlen sahen sich beide alten Koalitionsparteien als Sieger. Die ÖVP siegte klar und konnte den größten Zugewinn verzeichnen; die KPÖ behauptete Platz zwei, entriss der SPÖ den letzten Stadtratssitz und stellt zwei der sieben Proporzregierungsmitglieder. Nur: Nutzen werden die Kommunisten nur schwer daraus ziehen können.
Demonstrationszonen und Ordnungswachen
Die ÖVP holte sich nämlich - es heißt: widerwillig - die FPÖ als Koalitionspartner ins Boot, die eine grundlegende Forderung stellte: Das Wohnressort, das seit 19 Jahren fest in KPÖ-Hand war.
Die österreichweit einzigartige Stärke der KPÖ in Graz ergibt sich aus wohnungspolitische Schritten, die sie in den 90er Jahren setze: die Einführung des "Mieternotrufs", die Finanzierung juristischer Auseinandersetzungen von Mietern mit Vermietern und das Anprangern von Missständen im Wohnungswesen in den Medien. Seither wuchs die Partei in Graz nach und nach. Anfang der 80er Jahre stand die Partei noch bei 1,8 Prozent, 2003, 2012 und 2017 bei rund 20 Prozent. Der Verlust des Ressorts trifft die Kommunisten ins Mark, für die neue Regierung gibt es aber gute Gründe dafür.
Aus Sicht der FPÖ: Nachvollziehbar, um Kernklientel von der KPÖ zurückzuerobern. Aus Sicht der ÖVP: Nachvollziehbar, um die Nummer zwei zu schwächen. Aus Sicht des gemeinen Grazer Bürgers ohne Parteibuch: Ein Politikum per definitionem, das allerdings große Spannung birgt. Die KPÖ wird künftig die Bereiche Verkehr und Gesundheit verantworten - Ressorts, die als ähnlich undankbar gelten wie das Wohnressort vor der kommunistischen Überantwortung 1998. Mit einem großen Unterschied: Die neuen Bereiche sind weit weg von den Kernkompetenzen der Partei, weil ihr soziales Potenzial zwar vorhanden, kommunal aber tendenziell schwer auszunutzen ist. Aber auch für die FPÖ wird es nicht ganz so einfach, ähnlich zu strahlen wie die linken Vorgänger. Weil ihre Mandatare nicht wie die Kollegen von der KPÖ auf Gehälter verzichten werden, um notleidende Bürger zu unterstützen, wird das Team rund um Vize-Bürgermeister Mario Eustacchio neue Wege finden müssen. Die KPÖ fürchtet, einer davon könnte in Tradition der schwarzblauen Bundesregierung der Nullerjahre die Privatisierung von Gemeindewohnungen sein.
Im ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm mit dem markigen Titel "Agenda 2022" ist davon nichts zu lesen. Vielmehr steht dort, man plane die Errichtung von mindestens 500 neuen Sozialwohnungen. Auch sollen Gemeindewohnungen künftig nur noch an Menschen vergeben werden, die zumindest fünf Jahre in Graz wohnhaft waren. Ein Modell, das in ähnlichere Form bereits seit 2014 in Innsbruck angewandt wird. Wer sonst grobe soziale Einschnitte oder gar Diskriminierung von Migranten erwartet, darf die Macht der FPÖ im Verbund mit der starken Grazer ÖVP nicht überschätzen. Siegfried Nagl und seine Nummer zwei, Kurt Hohensinner, der neben Integration und Sport fortan auch die Sozialagenden betreut, stehen für eine weltoffene Politik mit (Ober-)
Grenzen. Bei Integrationsfragen wird die Koalition daher zum "situationselastischen" Pakt und selten im Gleichschritt stimmen. In einem Bereich sind sich die Parteien aber schon lange einig: Sicherheit.
Ankämpfen gegen die Bedeutungslosigkeit
Siegfried Nagl erlangte in seiner bisher 14 Jahre andauernden Bürgermeisterschaft den Ruf eines liberalen Konservativen mit Faible für Verbote. Für diese Vorlieben ist die FPÖ der ideale Partner. Geplant ist etwa, Demonstrationszonen einzuführen, damit die Innenstadt seltener blockiert wird. Auch soll die von Nagl installierte Ordnungswache aufgestockt werden, um künftig auch vermehrt in Gemeindebauten nach dem Rechten zu sehen - bei Verstoß gegen die Hausordnung droht da dann gar der Rauswurf. Was Graz aber wirklich im Wohnungsbereich zu erwarten hat, lässt sich vielleicht mit einem Blick gen Norden erahnen. In Oberösterreich regieren bereits seit Herbst 2015 ÖVP und FPÖ gemeinsam - auf Landesebene. Auch diese Ehe entstand mehr aus Vernunft als aus tiefer Zuneigung. Die FPÖ verantwortete dort schon zuvor das Thema Bauen und Wohnen und setzte bei der Wohnbeihilfe den Sparstift an. Als Manfred Haimbuchner dann zum Vize-Landeshauptmann aufstieg, wurde man mehr dem selbst auferlegten Slogan der Heimat- als jenem der Sozialpartei gerecht: Wohnbauförderungen wurden ebenso gekürzt wie die Mindestsicherung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte.
Ein Ausrufezeichen setzte die ÖVP, als Josef Pühringer den Landeshauptmannstuhl vorzeitig für Thomas Stelzer räumte. Mit einem Rücktritt von Nagl ist in Graz nicht zu rechnen, dafür ist er zu jung und zu beliebt. Was sich für die Grazer aber am Beispiel Oberösterreich zeigt, ist, dass es dort weniger strukturelle neue Ideen für Reformen gibt als Kürzungen.
Das Grazer Politikphänomen KPÖ will weiterhin ihr Lieblingsthema besetzen und damit gegen den Fall in die Bedeutungslosigkeit ankämpfen. Der Mieternotruf solle gar ausgebaut werden. Man könne einer Partei Ressorts, aber keine Kompetenz entziehen, sagte die abgelöste Vizebürgermeisterin Elke Kahr bei der eingangs erwähnter Pressekonferenz. Bei der es auch aus Ernest Kaltenegger noch einmal ausbrach. Auch aus dem Verkehrsressort werde man etwas machen, meinte er nahezu trotzig, "und zwar so, dass ÖVP und FPÖ es dann wieder haben wollen, wie beim Wohnen".