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Blauer Kampf gegen linke Utopien

Von Walter Hämmerle

Politik
© stock.adobe.com/luftklick

Vorrang für den Staat: Der "Atterseekreis" will die Ideologie der FPÖ-Politik schärfen.


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Wien/Attersee. Die FPÖ ist keine Partei, die sich leicht fassen lässt. Das irritiert ihre schärfsten Gegner und verwirrt mitunter ihre treuesten Anhänger. Umso interessanter ist die Spurensuche nach deren Selbstverortung in der modernen Ideengeschichte.

Dazu muss man wissen, dass sich die Freiheitlichen, mehr als die beiden anderen traditionellen Parteien der Republik, immer wieder gehäutet und neu erfunden haben, seitdem sie aus den nach 1945 politisch wie moralisch diskreditierten Resten des Dritten Lagers von ehemaligen Nationalsozialisten 1956 neu begründet wurden. Seitdem finden sich zumindest zwei Herzen in ihrer Brust, ein (deutsch-)nationales sowie ein liberales, und nicht immer schlagen sie im Takt.

1971 rief der damalige FPÖ-Obmann Friedrich Peter den "Atterseekreis" ins Leben, ein Gesprächs- und Nachdenkzirkel im oberösterreichischen Salzkammergut, der die liberalen Kräfte bündeln und stärken wollte. Auf Peter, den ehemaligen SS-Obersturmführer, der nach 1945 zum Demokraten wurde, setzte Bruno Kreisky seine Hoffnungen auf eine sozialliberale FPÖ, um die ÖVP dauerhaft in Opposition zu halten. Jörg Haider setzte dem dann ab 1986 ein Ende, womit auch der "Atterseekreis" zusehends an Bedeutung verlor.

2012 machte sich die oberösterreichische FPÖ daran, diese Runde als intellektuelle Plattform neu zu beleben, seit 2017 steht Norbert Nemeth, der Direktor des Freiheitlichen Parlamentsklubs, an der Spitze des "Atterseekreises". Der 48-jährige Jurist hat es sich zum Ziel gesetzt, "linke Irrtümer" zu enttarnen und diesen ein "solides konservatives Werte- und Ideenfundament entgegenzuhalten", erklärte Nemeth kürzlich in einem Interview.

Konservativ? Zumindest diese Zuschreibung nahm die FPÖ bisher nicht in Anspruch, zumal die bürgerlich-liberale Revolution von 1848, in deren Nachfolge sie sich betrachtet, von den konservativen Kräften zu Fall gebracht wurde. "Die FPÖ ist", so Nemeth im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", "gesellschaftspolitisch konservativ im Sinne einer Politik gegen alle linke Utopien, die sich zum Ziel setzen, einen ‚neuen Menschen‘ zu schaffen, und verfassungsrechtlich progressiv", wenn es darum gehe, die Macht aus den Händen der Fürsten in jene des Volkes zu legen.

Überhaupt das Volk! Für Nemeth steht nicht die Nation im Zentrum des freiheitlichen Denkens, sondern der Staat: "Ich bin, was diese Frage angeht, ein totaler Etatist." Die Frage nach dem Nationalismus hält er dementsprechend für völlig überbewertet, denn "ohne den Staat ist das Volk nichts, erst der Staat setzt das Volk in sein Recht".

Deshalb ist Nemeth auch das Diskriminierungsverbot von EU-Bürgern durch die EU-Staaten ein Dorn im Auge. Der Staat habe heute zu wenige Möglichkeiten, zwischen seinen Staatsbürgern und allen anderen zu unterscheiden. Es ist dieses Gebot der Gleichbehandlung, das im politischen Alltag etlichen blauen Wünschen zur Bevorzugung von Staatsbürgern entgegensteht. Diese Kritik am Gleichbehandlungsgebot ist für Nemeth aber längst kein Grund aus der EU auszutreten, vielmehr könne er sich in anderen Bereichen auch eine weitergehende europäische Integration vorstellen, zum Beispiel bei der Straßenverkehrsordnung.

Und was ist für den Kritiker linker Utopien dran am Vorwurf, dass die FPÖ in der Sozialpolitik einen linken bis linkspopulistischen Kurs fährt, was durch den Umstand erhärtet wird, dass die Blauen die SPÖ als Arbeiterpartei abgelöst haben? Umverteilung ist für Nemeth "ein notwendiges Übel", und trotzdem bleibt diese ein Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum. Entscheidend sei hier, "den Richtigen" zu helfen, also denjenigen, die "Teil der Solidargemeinschaft" sind, die sich aus der Gesamtheit der Staatsbürger ergibt. Da ist er wieder, der spezifisch freiheitliche Etatismus.

Bleibt die Frage, weshalb sich das Dritte Lager weit schwerer getan hat, sich in die Republik zu integrieren, als Christlichsoziale und Sozialdemokraten? Zumal es die Republik war, die die 1848 versprochenen Freiheiten endlich eingelöst hat. Nemeth macht dafür den Bruch von 1918 verantwortlich: Bis dahin sei ein Freiheitlicher "im Durchschnitt vermögend, gebildet, sozial angesehen und aktiv gewesen". Danach sei dessen Welt in Trümmern gelegen.

Am Samstag trifft sich der "Atterseekreis" in Seewalchen zum Thema "Europa - von der Utopie zur Dystopie?".