Vor einem Jahr erschütterte der Ibiza-Skandal die Republik und ließ die Bundesregierung zerbersten. Wohin geht die FPÖ?
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Was da am 17. Mai 2019 über das Land hereinbrach, war kein Balearenlüfterl, es war ein Tropensturm. Freitagabend, kurz nach 18 Uhr, viele in den heimischen Redaktionen waren gerade am Absprung ins Wochenende, tauchten erste Meldungen über ein Video mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) in den sozialen Medien auf. Es wurde dann doch noch ein langer Abend an den Schreibtischen.
Ein noch längerer Abend dürfte es für die FPÖ geworden sein. Und auch in den Tagen darauf war bei den meisten Funktionären wohl nicht an guten Schlaf zu denken. Denn das, was da an heimlich aufgenommenem Bildmaterial aus einer Villa in Ibiza mit Strache und Klubchef Johann Gudenus in den Hauptrollen an die Öffentlichkeit drang, war eine politische Bombe. Der lockere Plausch mit einer vorgeblichen Oligarchennichte über kreative Wege, das Parteispenden-Gesetz zu umgehen, und millionenschwere Staatsaufträge sprengte nicht nur die noch keine eineinhalb Jahre bestehende türkis-blaue Regierung. Sie sprengte auch - nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte - die Freiheitlichen.
Rosenkrieg im dritten Lager
Noch am Tag nach Veröffentlichung des Videos trat Strache als Vizekanzler und Parteichef zurück, Johann Gudenus als Klubobmann. Norbert Hofer übernahm den Parteivorsitz, Herbert Kickl den Klubchef-Sessel. Bei der Neuwahl im September stürzte die FPÖ von 26 auf 16 Prozent ab. Und keine drei Monate später gründete sich in Wien ein politisches Gebilde namens DAÖ ("Die Allianz für Österreich"), mit dem einige abtrünnige Gemeinderäte der FPÖ um Karl Baron ihrem für sie ungebrochenen Helden Heinz-Christian Strache den Weg zum Antritt bei der Wien-Wahl im kommenden Oktober ebneten.
Der Ex-Bundesparteiobmann hofft mit dem Projekt mit dem noch wackeligen Namen - der soll ja geändert werden - auf eine Fortsetzung seiner politischen Karriere. Dass er deren zumindest vorläufiges Ende ein Jahr danach noch keineswegs verdaut hat, zeigten auch seine jüngsten Aussagen in Interviews. "Ein Fehler" sei es gewesen, neben dem Rücktritt als Vizekanzler auch gleich den Parteivorsitz zurückzulegen. Die aktuelle Parteispitze kritisierte Strache - selbstredend schon im Wahlkampfmodus - im selben Aufwasch scharf. Unter Kickl und Hofer würden "die wahren freiheitlichen Werte" keine Rolle mehr spielen.
Aus dem Büro von FPÖ-Chef Hofer heißt es dazu gegenüber der "Wiener Zeitung", dass ein inhaltliches Programm der DAÖ ihrerseits "Fehlanzeige" sei. Die FPÖ sei im vergangenen Jahr zusammengerückt. Und mit dem Wechsel an der Parteispitze habe man sich nicht nur strenge Compliance-Regeln verpasst, sondern auch gleich den Personenkult um die Parteiführung abgeschafft. Rosenkrieg, wie man ihn aus dem "dritten Lager" schon aus der Vergangenheit kennt. Mit dem Ibiza-Skandal will man - obgleich Strache bekanntlich Bundesparteiobmann der FPÖ war - weiterhin "nichts zu tun" haben.
Straches Rücktritt - ein Fehler?
Aber welche Positionen tragen die Freiheitlichen unter Hofer und Kickl nach außen? Und welche Perspektiven hat das erneut in seinen Grundfesten erschütterte dritte Lager in seiner - nach Jörg Haiders Putsch gegen Norbert Steger am Innsbrucker Parteitag 1986 und den Ereignissen rund um Knittelfeld 2002 - nächsten großen wie selbst herbeigeführten Krise der jüngeren Geschichte?
Hört man sich in der Partei um, zeigt sich schnell: Strache ist mit seiner Ansicht, wonach sein Rücktritt als Parteichef ein Fehler gewesen sei, keinesfalls alleine. So hält auch Andreas Mölzer, einst langjähriger blauer EU-Abgeordneter, diese Einschätzung gegenüber der "Wiener Zeitung" für "nicht ganz unrichtig". Ibiza selbst hätten die Menschen nach Abwahl des Bundeskanzlers, Nationalratswahl, neuer Regierungsbildung mit den Grünen und der aktuellen Corona-Krise schließlich fast wieder vergessen.
Allerdings: Was auch Mölzers Einschätzung nach bleibt, sind die Vorwürfe rund um die Spesen-Affäre und die strafrechtlichen Vorwürfe rund um Fotos von Bargeld in Sporttaschen im Zusammenhang mit Mandatskauf-Vorwürfen. Gegen Strache wird unter anderem wegen Veruntreuung ermittelt, er bestreitet sämtliche Anschuldigungen. Das Konvolut an Vorwürfen könnte für Strache auch noch strafrechtliche Folgen haben, meint Mölzer: "Wenn Strache heute sagt, er steht für eine saubere Politik, ist das deshalb eher zum Fremdschämen."
Die Ermittlungen haben potenziell wohl vor allem Konsequenzen für Strache selbst. Die FPÖ aber hat in jedem Fall noch ein anderes politisches Problem, meint Mölzer: Sie sei schon vor Ibiza zu einer monothematischen Partei geworden, hätte sich alleine auf das Ausländer-, Migrations- und Asylthema reduziert, während sie in der Ära Jörg Haider "noch stark gegen die Proporzherrschaft aufgetreten" sei. Tatsächlich tut sich die FPÖ inhaltlich schwer, seit sich die ÖVP unter Sebastian Kurz ihr zentrales Thema angeeignet hat. Der inhaltliche Fokus, mit dem sie in ihrer Wählerschaft über viele Jahre gepunktet hat, ist kein blaues Alleinstellungsmerkmal mehr.
"Vakuum lässt sich nicht füllen"
Entscheidend seien in der Politik letztlich immer der Wahlerfolge, sagt Peter Fichtenbauer, Ex-Nationalratsabgeordneter der FPÖ und im Vorjahr als blauer Volksanwalt ausgeschieden. "Ob die Reaktion auf den Ibiza-Schock in diesem Sinne die richtige war, darüber kann man verschiedener Meinung sein." Wohl niemand in der Partei würde den Rücktritt Straches von seinen Regierungsämtern als Fehler sehen. Beim Rücktritt von Parteiämtern sei das aber "differenzierter", meint Fichtenbauer, der während dessen Obmannschaft als Strache-Intimus galt. Denn das Vakuum, das ein Parteichef hinterlasse, der seine Partei im Wesentlichen hinter sich vereint habe, sei in keiner Partei rasch zu füllen.
Was sind die Perspektiven für die gerüttelte Partei, die in bundesweiten Umfragen aktuell bei zehn bis zwölf Prozent liegt? Die Aus- und Nachwirkungen der Corona-Krise aus Rezession, ökonomischem Druck, Abstiegsängsten und steigender Unzufriedenheit in zahlreichen Branchen könnte der FPÖ unter anderen Umständen entgegenkommen. Genau auf diese Karte scheint die Partei aktuell auch zu setzen, wenn Hofer aktuell von Covid-19 als einem "Grippevirus" spricht und eine schnellstmögliche Lockerung der Maßnahmen fordert.
"Mit ihrer Neigung zu populistisch verkürzten Antworten auf diese Themen wäre für die FPÖ eigentlich angerichtet", meint Politikberater Thomas Hofer. Das Nachwirken der Ibiza- und Spendenaffäre würde dieses Potenzial aber fast vollends abgraben. Wie schon nach Knittelfeld habe das gesamte dritte Lager massiv an Zutrauen in seine Regierungsfähigkeit verloren. Zudem sei Norbert Hofer nicht der ideale Oppositionspolitiker für diese Situation.
Anhaltende Negativspirale
Die Negativspirale des vergangenen Jahres sei deutlich noch nicht überwunden, meint auch Mölzer: "Man wird wohl auch über die Wien-Wahl hinaus noch schwere Niederlagen zu verwalten haben." Und die so wichtige Wahl in der Hauptstadt, traditionell eine der FPÖ-Hochburgen, wird für die Freiheitlichen in jedem Fall schmerzhaft werden. Erreichte man 2015 noch fast 31 Prozent, prophezeien Umfragen für den Herbst einen Absturz auf etwa zehn Prozent.
Der noch wenig etablierte Wien-Chef Dominik Nepp wird nicht nur in direkten Wahlduellen gegen den so routinierten wie talentierten Wahlkämpfer Strache antreten müssen. Er wird nach einer schweren Wahlniederlage auch noch mit zunehmend eisigem Gegenwind auch innerhalb der Partei rechnen müssen.
Dass Nepp weder ein charismatischer Stimmenfänger noch eine auch nur ansatzweise etablierte politische Marke ist, hält Mölzer dennoch nicht unbedingt für einen Nachteil: "Wir hatten an der FPÖ-Spitze zuerst den Messias und Volkstribunen Haider und dann den charismatischen Parteiführer Strache", sagt Mölzer. "Das hat die Verführung mit sich gebracht, dass diese Leute alle abheben und glauben, die Partei, die Ideologie und das Geld - das sei alles ihres."