Zum Hauptinhalt springen

Blaues Geblüt, rotes Gemüt

Von Friedrich Weissensteiner

Wissen

Die "Rote Erzherzogin" Elisabeth Marie, einziges Kind des Kronprinzen Rudolf und Lieblingsenkelin von Kaiser Franz Joseph, schockte das Haus Habsburg: Sie wurde engagiertes Mitglied der Sozialdemokratie.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Erzherzogin Elisabeth Marie, die Tochter des Kronprinzen Rudolf und Lieblingsenkelin Kaiser Franz Josephs, war in der österreichischen Sozialdemokratie eine ausgesprochen exotische Erscheinung. Ein Mitglied der traditionsbewussten, erzkonservativen Habsburgerdynastie, das sich dem gegnerischen politischen Lager anschließt, das war für die meisten ihrer aristokratischen Standesgenossen ein so unerhörter Schritt, dass man es ganz einfach nicht fassen konnte. Man brach jeden Kontakt mit der Abtrünnigen ab, mied sie wie der Teufel das Weihwasser. Es kümmerte sie wenig, sie hatte damit gerechnet. Auf Seiten der Sozialdemokratie reagierte man natürlich spiegelbildlich - seitenverkehrt. Man nahm die Kronprinzentochter mit offenen Armen auf, war erfreut über diesen ungewöhnlichen Mitgliederzuwachs, den man herzeigen und publizistisch ausspielen konnte.

Erzherzogin Elisabeth Marie, deren Todestag sich am 16. März zum 50. Mal jährt.
© Verlag Piper, Cover/Biografie, Ausschnitt.

Die Erzherzogin war eine extravagante, ins Auge stechende Persönlichkeit. Groß gewachsen, schlank, stets vornehm und modisch gekleidet, war sie mit ihrem scharf geschnittenen Profil bis in ihr mittleres Alter eine attraktive Person. So austromarxistisch war man zur Zeit eines Otto Bauer auch wieder nicht, dass für eine Persönlichkeit dieses Formats, für eine habsburgische Renegatin aus dem Zentrum des Kaiserhauses, in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartie nicht Platz gewesen wäre.

Ehekrieg um Kinder

Ob die Genossin Elisabeth Marie Windisch-Graetz - auf diesen Namen ist ihr Mitgliedsausweis ausgestellt - Otto Bauer, die dominierende Persönlichkeit in der österreichischen Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit, jemals im persönlichen Gespräch begegnet ist, ist nicht nachweisbar. Mit anderen führenden Sozialdemokraten, etwa mit Karl Renner, Julius Deutsch oder Theodor Körner, hatte sie jedenfalls Kontakt.

Rückblende in die Nachkriegszeit: Die k. u. k. Doppelmonarchie ist in ihre Einzelteile zerfallen, im klein gewordenen republikanischen Österreich regieren Hunger und Not. Die Kaiserenkelin, die mit ihren vier Kindern auf ihrem Herrschaftssitz in Schönau an der Triesting (NÖ) lebt, den sie mit dem Geld des Großvaters 1911 erworben hat, spürt davon nicht allzu viel. Die Ehe mit ihrem Mann, dem leichtlebigen Fürsten Otto zu Windisch-Graetz, ist längst in die Brüche gegangen.

Um die Kinder, drei Knaben und ein Mädchen, tobt zwischen den Eltern ein unerbittlicher, gerichtsanhängiger Ehekrieg. Schließlich werden die beiden älteren Kinder der Obhut der Mutter, die beiden jüngeren dem Vater zugesprochen. Als sich die Fürstin weigert, das Gerichtsurteil zu akzeptieren, fällt der zuständige Richter einen Exekutionsbeschluss. Die Kinder sollen, wenn nötig, dem Vater "gebunden und gefesselt", übergeben werden. Am Tag der Vollziehung der richterlichen Entscheidung, am 21. März 1921, kommt es im und vor dem Schloss zu stürmischen Szenen. Die Arbeiterschaft aus Schönau und Umgebung ergreift Partei für die Fürstin und verhindert die Auslieferung der beiden Knaben. Die Angelegenheit löst in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung aus, der bis in den Plenarsaal des Parlaments weht.

Die Ehe wird schlussendlich von "Tisch und Bett getrennt." Eine Scheidung ist damals gesetzlich nicht möglich.

In diesen turbulenten Tagen lernt die vierzigjährige Kronprinzentochter dann Leopold Petznek kennen, den Mann, der in ihrer zweiten Lebenshälfte ihr unzertrennlicher Partner sein wird. Petznek kommt gesellschaftlich ganz von unten, Elisabeth Marie von ganz oben. Die Beziehung zwischen den beiden ist eine filmreife Love-Story aus dem vorigen Jahrhundert.

Leopold Petznek, um zwei Jahre älter als seine Partnerin, entstammt dem kleinbäuerlichen Milieu. Der begabte Bub wird nach dem frühen Tod seiner Eltern in einem Waisenhaus militärisch streng erzogen und erhält einen Freiplatz am Niederösterreichischen Lehrerseminar in St. Pölten. Nach der Matura unterrichtet er an einer Volksschule, später an einer Bürgerschule Deutsch, Geschichte und Geographie. Der Junglehrer schließt sich der Schulreformbewegung des sozialdemokratischen Pädagogen und späteren Amtsführenden Präsidenten des Wiener Stadtschulrates Otto Glöckel an und tritt der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) bei.

Petznek ist ein besonnener, fleißiger, pflichtbewusster Mann. Nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg widmet er sich zunehmend der Parteiarbeit, macht Karriere und bringt es bis zum Zweiten Präsidenten des Niederösterreichischen Landtages.

In der österreichischen Innenpolitik geht es in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts tumultuarisch zu. Die politischen Gegner sind einander spinnefeind. Die ideologischen Gegensätze zwischen den Christlichsozialen, den oppositionellen Sozialdemokraten und den faschistischen Heimwehren werden nicht am Verhandlungstisch, sondern häufig mit brutaler physischer Gewalt ausgetragen. Bei Aufmärschen und Kundgebungen, die sie veranstalten, kommt es immer wieder zu Straßenschlachten, Wirtshausraufereien und bewaffneten Auseinandersetzungen. Es gibt Tote und Verwundete.

Die Fürstin Windisch-Graetz begleitet ihren Bekannten zu den politischen Veranstaltungen. Sie richtet in Schönau einen Kindergarten ein, unterstützt die benachbarte Leobendorfer Parteiorganisation bei der Errichtung eines Arbeiterheimes und stellt den Roten Falken einen Teil der weitläufigen Schönauer Schlossanlage zur Verfügung. Vor allem aber tut sie dann den letzten, entscheidenden Schritt: Sie wird Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. War es Dankbarkeit für die Unterstützung im Kampf um ihre Kinder, die heftig entbrannte Liebe zu ihrem Gefährten oder waren es andere Motive, die sie zu dieser Entscheidung veranlasst haben? Sie selbst hat in einem Interview mit einer Zeitung dazu Stellung bezogen.

Wege zum Sozialismus

Man könne auf mancherlei Wegen zum Sozialismus gelangen, sagte sie. Sie selbst habe erst durch die Schule des Lebens gehen müssen; die Sozialdemokraten, von denen sie es am wenigsten erwartet hätte, seien ihr in den schwersten Stunden ihres Lebens zu Hilfe gekommen und sie seien es schließlich, die im Gegensatz zu anderen Weltanschauungen den Frauen im Kampf um ihre Rechte beistünden. Das klingt doch ein wenig nach Ideologie. Wie auch immer.

Die selbstbewusste Frau, die gelernt hat ihren Willen durchzusetzen, nimmt ihre Mitgliedschaft ernst. Sie betätigt sich in der sozialdemokratischen Frauenbewegung und beteiligt sich an den Feiern zum 1. Mai. "Sie marschiert bei diesen odiösen Aufzügen mit, sie verkauft rote Nelken auf der Straße", mokiert sich ihr Stiefvater, der ungarische Graf Elemer Lonyay. Ihre Mutter, die adelsstolze Stephanie von Belgien, mit der sie jeden Kontakt abgebrochen hat, hat Lonyay 1900 geheiratet und führt auf Schloss Orosvàr, seinem Herrensitz, ein Leben nach Herzenslust.

Die "rote Erzherzogin" schert sich um Kritik von dieser und von anderer Seite herzlich wenig. Sie geht den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Freilich, an ihrem Lebensstil ändert sich nichts. Fürstin Windisch-Graetz residiert mit ihrem Lebensgefährten nach dem Verkauf der Herrschaft Schönau in einem kleinen, aber feinen Palais am westlichen Stadtrand von Wien (Linzerstraße 452). Zur Villa gehört ein 27.000 Quadratmeter großes Areal mit einem reichen Bestand an alten Bäumen, das die Fürstin mit Gebüsch und Blumenbeeten großzügig ausgestalten lässt. Das geräumige Gebäude ist von unten bis oben angestopft mit kostbaren Einrichtungs- und Wertgegenständen, Teppichen, Schränken, mit Tafelgeschirr, Vasen, Gemälden bedeutender österreichischer und ausländischer Maler, dazu kommt eine wertvolle Bibliothek.

Die Erzherzogin ist eine steinreiche Frau. Sie hat all das von ihrem Vater und den kaiserlichen Großeltern geerbt. Zu Geld hat sie überhaupt keine Beziehung, sie hat nie eines verdient, selten welches in der Hand gehabt.

In ihrem Kleinschönbrunn ist sie die absolute Herrin. Sie trifft alle Anordnungen, erteilt Befehle und behandelt ihr Dienstpersonal nicht eben mit aristokratischer Noblesse. Feine Manieren hat hingegen ihr Lebensgefährte. Leopold Petznek ist ein kultivierter Mann, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Der Fürst ist er.

Die Beziehung zwischen den beiden Partnern ist harmonisch. Elisabeth Marie liebt ihren Leopold, dieser fügt sich geduldig ihren Wünschen und Launen. Wenn er in heiklen Lebenssituationen Hilfe benötigt, steht sie hinter ihm, kann er voll auf sie zählen. Als er im Zuge der Februarereignisse des Jahres 1934 wegen seiner sozialdemokratischen Gesinnung verhaftet und eingesperrt wird, besucht sie ihn, sooft das gestattet ist, im Gefängnis und setzt sich für seine Enthaftung ein.

Generös zu Genossen

Großzügige Hilfe lässt sie auch vielen anderen Gesinnungsgenossen angedeihen, unterstützt sie finanziell, kauft Kleidung, ermöglicht notwendige Erholungsaufenthalte. Eine Karteisozialdemokratin ist diese unbeugsame Frau gewiss nicht.

Es brechen schwere Zeiten an. Nach dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wird Leopold Petznek in das KZ Dachau verbracht und kehrt nach dem Zweiten Weltkrieg schwerkrank in die Heimat zurück. Die Villa wird zunächst von den Russen heimgesucht, dann von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Das mittlerweile verheiratete Paar verbringt ein Jahrzehnt in einem nahe gelegenen, desolaten Ausweichquartier.

Petznek stirbt 1956, ein Jahr nach dem Wiedereinzug in der Villa. Genossin Windisch-Graetz bleibt einsam, gichtgeplagt und an den Rollstuhl gefesselt zurück. Ein schwerer Schlaganfall macht sie auf Dauer bettlägerig. Sie ist bei jedem Handgriff auf das Pflegepersonal angewiesen, jedes Umbetten verursacht Schmerzen, die sie tapfer erträgt. Am 16. März 1963 erlöst sie der Tod. Zu ihrem Begräbnis auf dem Hütteldorfer Friedhof finden sich etwa fünfzig Trauergäste ein, unter ihnen ihre langjährige Bekannte Rosa Jochmann, die Frauenvorsitzende der SPÖ. "Beim Begräbnis hat es mich erschüttert", erinnert sie sich", dass es einen großen Kranz der Kinderfreunde unserer Partei gegeben hat und daneben lag der Kranz eines Offiziers aus der k. u. k. Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Das hat mich tief bewegt."

Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher, u. a. "Die Frauen der Genies" oder "Große Herrscher des Hauses Habsburg" (alle erschienen im Piper Verlag, München).

Der Autor verfasste die Biografie "Die rote Erzherzogin. Das ungewöhnlich Leben der Elisabeth Marie, Tochter des Kronprinzen Rudolf." Verlag Piper, München, 5. Auflage 2009.